dju-Debatte über aktuelle Sprachverwirrung
Die Idee war Klasse, das Podium fast ausschließlich hochkarätig besetzt, die Zuhörerschaft überdurchschnittlich interessiert. Und doch wollte nach dreistündiger Debatte keine rechte Zufriedenheit aufkommen. Die Diskussionsveranstaltung „Schönreden oder Schlechtschreiben?“ über die Sprache der Wirtschafts- und Sozialpolitik in Zeiten der „Agenda 2010“, zu der die dju mit weiteren ver.di-Bereichen nach Berlin eingeladen hatte, darf eher als Teststart gewertet werden.
„Rolle und Verantwortung der Journalistinnen und Journalisten im politischen Zeitgeschehen“ sollten den besonderen Diskussionsschwerpunkt bilden. Ein nicht nur löbliches, sondern angesichts der „schroffsten Veränderungen“, die der Bundesrepublik Deutschland in den vergangen fünfzig Jahren „zugemutet werden“ (Nagel), sogar dringliches Unterfangen. Der Kulturwissenschaftler und Theatermann Prof. Ivan Nagel, der sich im Frühjahr mit mehreren Beiträgen zu aktuellen Sprachverwirrungen im Feuilleton der „Süddeutschen Zeitung“ zu Wort gemeldet hatte, lieferte die profunde Diskussionsgrundlage.
Eckart Spoo, einst Vorsitzender der dju, bemühte sich wie Nagel ernsthaft um Zustandsbeschreibung, darüber hinaus auch um die Suche nach Ursachen in grundlegenden ökonomisch bedingten Strukturen und nach gesellschaftlichen Alternativen. Moderator Alfred Eichhorn vom „InfoRadio“ Berlin-Brandenburg agierte professionell und konnte nicht umhin, mitunter aus der Rolle zu steigen und eigene journalistische Erfahrung zu vermitteln.
Fehlende Kontroversen
Soviel zum Positiven. Alles Weitere ist mit Einwänden behaftet. Das Hauptproblem: „Unser Geschäft hier ist Sprachkritik“ hatte Ivan Nagel postuliert. Da es aber um Sprache im Bereich Wirtschaft und Soziales, um ein ganzes „Falschwörterbuch der Sozialreformen“ ging, wo von der „Reform“ über „die Wirtschaft“ und eigentlich klar definierte Begriffe wie „Lohnnebenkosten“ bis hin zu euphemistischen Fügungen im Stile der „Flexibilisierung des Arbeitsmarktes“, „Differenzierung der Lohnstrukturen“ oder „Eigenverantwortung der Arbeitnehmer“ quasi alles zu hinterfragen sei, war Abgrenzung eine Gratwanderung.
Nur selten gelang sie. Über weite Strecken wurde über wirtschaftliche Hintergründe, Tendenzen, politische und unternehmerische Schein- und Sachzwänge mehr debattiert als über ihre angemessene sprachliche Benennung und Erläuterung in den Medien. So hatte auch Dr. Bernhard Seidel, vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, eher aktuelle Probleme der Volkswirtschaftslehre (so die Rolle des Flächentarifs) zu referieren als auf Fragen ihrer sprachlichen Darstellung zu antworten. Das lag freilich auch an den Fragestellern. Gestandene Medienleute und journalistische Praktiker bildeten darunter die Minderheit. Und diese verkniff sich teilweise sogar noch Meinungsäußerungen – aus Rücksicht darauf, wie unkritisch eine Kollegin aus der Parlamentsredaktion des „Berliner Tagesspiegel“ auf dem Podium die gesellschaftliche Rolle von Journalisten und Medien im „Agenda-2010“-Alltag beschrieb.
Verantwortung angemahnt
Wo auf Kontroverse verzichtet wird, fehlt der Debatte die Würze. Zumindest dem Satz der Tagesspiegel-Redakteurin, dass „viel zu wenige Journalisten ökonomische Zusammenhänge wirklich hinterfragen“, stimmten Podium und Zuhörer mehrheitlich zu. Spoo forderte „gründliches Nachdenken auch über das Vokabular“ und mahnte die Verantwortung jedes einzelnen Journalisten an. Eine Diskussionsrednerin gab zu bedenken, dass Politiker momentan der Öffentlichkeit die scharfen sozialen Einschnitte „eigentlich nicht vermitteln“ und dass es so auch „Journalisten schwer gemacht wird, an die Kernfragen zu kommen“. Bei der nächsten Debatte – es ist an eine regelmäßigen Veranstaltungsreihe gedacht – sollte noch mehr Sorge dafür getragen werden, dass die Einladung auch die erreicht, die die Problematik direkt betrifft. Zum Wesen des Themas vorzudringen und seine verschiedenen Facetten streitbar zu beleuchten, dürfte dann leichter fallen.