Über den Tellerrand der Schrebergartenseligkeit

Plädoyer für einen ansprechenden Lokaljournalismus für mündige Bürger

Man kennt das. Gestern war man bei einer spannenden Veranstaltung, bei der brandheiße politische Eisen an einem lokalen Veranstaltungsort debattiert wurden. Am nächsten Tag schaut man in die Zeitung. Weil man der Ansicht ist, dass solch wegweisende Gedanken, die dort im Bürgerhaus oder im kirchlichen Gemeindezentrum zum Thema „Krieg im Irak“ etwa geäußert wurden, öffentlich dokumentiert gehören. Doch bittere Enttäuschung!

Kein Wort darüber. Solche Themen landen im Lokaljournalismus meistens in Ablage P und damit auf dem Müllhaufen der ungeschriebenen Geschichte im Zeitungswesen. Im Rückblick werden Historiker nach ausführlicher Medienauswertung sicherlich feststellen, wie unpolitisch die Menschheit zur Jahrtausendwende gewesen sein muss. Deshalb ist es gut, heute schon die Frage zu stellen: Wie konnte es soweit kommen?

Für den überregionalen Teil ist das Geschehen zu popelig, das muss man einsehen. Für den lokalen Teil einer Zeitung im südlichen Teil Deutschlands jedoch sei das Sujet uninteressant, so die meist gleichlautende redaktionelle Stellungnahme. Weil der Professor für Öffentliches Recht, der den Vortrag „Krieg gegen Irak: Recht des Stärkeren oder Stärke des Rechts“ hält, an der Universität Hamburg zu Hause ist. Also nicht aus dem Ort, den das Blatt in seinem Namen führt. Weder lebt, noch lehrt er hier. Es geht zudem nicht um einen Krieg hierzulande, sondern eben im Irak. Anderes Beispiel: Ali Al-Nasani, Algerien-Experte von amnesty international, kommt eigens aus Berlin angereist, um „Menschenrechte im Islam“ zu diskutieren. Pech gehabt. Das Argument, warum die Veranstaltung durch das Raster der Lokalberichterstattung fällt: Dito. Veranstalter witzeln manchmal bereits sarkastisch, ob man demnächst solche politischen Debatten vielleicht in Mundart abhalten solle. Um auf diese Weise dem brisanten Thema öffentlich Gehör zu verschaffen.

Exempel aus Ulm: Der Leiter der örtlichen Volkshochschule Lothar Heusohn versteht die Welt nicht mehr. Eine brandaktuelle Veranstaltungsreihe über Krieg und Frieden, hochkarätige Referenten, das Haus ist voll, die Debatte erregt, die ganze Stadt spricht darüber. Doch anderntags kein Wort in der Zeitung. So war es bereits zu Zeiten des Kosovo-Kriegs. Und so lief es auch wieder bei der mehrteiligen Reihe im letzten Jahr zum Thema „Der 11. September 2001 und die Folgen“. Als nach zwei Veranstaltungen zur „Globalisierung“, von jeweils rund 200 Leuten besucht, davon eine mit Professor Elmar Altvater, die lokale Presse wieder beharrlich schweigt, schreibt eine Teilnehmerin einen erbosten Leserbrief: Ob der „Südwest Presse“ das Thema wohl nicht so recht gefallen habe? Geholfen hat es nichts.

Falscher Wohnsitz?

Die Beispiele sind vielfältig: Am Frankfurter Amerika-Haus wollten sich Menschen anketten, um gegen das über Abu Jamal verhängte Todesurteil zu demonstrieren. Die Initiative ist aus Heidelberg. Demzufolge keine Zeile im Lokalteil. Da hilft es auch nichts, dass ein Vertreter der VVN aus Frankfurt eine Rede hält, in der er das Geschehen in den historischen Vergleich mit dem Nationalsozialismus stellt. Hätte die Initiative ihren Wohnsitz verändert – bitteschön!

Angesichts der Zeitungskrise erheben renommierte Medienforscher wie Horst Röper die Stimme: Lokaljournalismus sei das sicherste und krisenfesteste Metier der Zeitungen. Das Lokale gehöre also aufgewertet. Denn hier versage die Konkurrenz Internet, und schließlich gelte die örtliche Nähe des Geschehens ja nicht umsonst als journalistisches Kriterium. Je näher dran am Geschehen, desto brennender das Interesse daran, lautet das Credo.

Da staunt der Großstädter

Doch aufgrund der engen Auslegung des Lokaljournalismus herrscht vielerorts über entscheidende lokale Ereignisse im Blätterwald Totenstille. Und zwar meist bei politischen Themen, in denen über den Tellerrand der Schrebergartenseligkeit hinausgeschaut wird. Fragt sich, wer hat bloß jenen Hexenhammer des Lokaljournalismus verfasst, der Menschen, die sich nicht nur für den Hundehaufen neben der eigenen Haustür interessieren, derart ächtet? Indes passieren manchmal wunderliche Dinge in der lokalen Berichterstattung, über die so mancher Großstädter nur staunen kann: Nachdem den Lesern noch ganz schlecht wegen ausufernder Weihnachtsmarktberichterstattung ist (Glühwein und Lebkuchen in diesem Stadtteil, Lebkuchen und Glühwein in jenem Stadtteil), werden bereits wieder die ersten erblühenden Gänseblümchen gefeiert. Jedes Jahr das Gleiche. Der Katastrophenalarm wegen der nächsten Marienkäfer-Plage steht schon im System und wartet darauf, wieder leicht aktualisiert auf die Leser losgelassen zu werden. Warum bloß? Ganz einfach: Glühwein, Gänseblümchen und Marienkäfer, alles leicht verdaulich.

Deshalb an dieser Stelle ein Hilfeschrei: Die Aufwertung der lokalen Berichterstattung sollte sich nicht nur in zunehmender Seitenzahl auswirken, sondern auch qualitativ. Statt zunehmender Provinzialisierung der Lokalthemen wäre ein Journalismus angebracht, der auch jene Menschen anspricht, die sich in ihrem Stadtteil als mündige Bürger zur globalen Entwicklung verhalten: „Think global, act local“.

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