Warum die Wahrheit im Kriegsfalle keine Rolle spielt und das Privatleben des Außenministers für öffentlich erklärt wird
Unter Berliner Journalisten verdichtet sich ein schlimmer Verdacht: Die Medien sind während des Kosovo-Krieges von der rot-grünen Bundesregierung offenbar nach Strich und Faden belogen worden. „Es war der Höhepunkt an Desinformationspolitik und Manipulation dieser Bundesregierung“, empört sich Jens König, Leiter der „taz“-Parlamentsredaktion.
Bis heute, klagt König, sei die Regierung Schröder nicht bereit, „diese Dinge aufzuarbeiten“ und selbstkritisch zu reflektieren. „Am Rande des geistigen Ausnahmezustandes“ erlebte der erfahrene Fernsehmann Friedrich Küppersbusch die Bundesregierung und ihre Interpreten während des Kosovo-Krieges. Phasenweise sei den Akteuren auf der Berliner Bühne „die Selbstkontrollfähigkeit“ verlustig gegangen. „Die waren von ihrem eigenen Handeln so erschrocken“, mutmaßt Küppersbusch, „dass sie den größtmöglichen Beelzebub herbeirufen mussten.“ Ohne Rücksicht auf die Wahrheit.
Nach all den Anwürfen kam von der stellvertretenden Regierungssprecherin Charima Reinhard („Das ist ein ganz schwieriges Thema für mich“) auf dem taz-Kongress „Die verschwiegene Republik“ (mehr darüber hier) nur ein dünnes Dementi: „Das war damals eine sehr heikle, schwierige Sache.“ Deshalb wolle sie auch nicht sagen, dass die Informationspolitik während des Kosovo-Krieges „super Klasse“ gelaufen sei. Immerhin, heischte die Regierungssprecherin um Verständnis, habe das NATO-Bombardement die rot-grüne Koalition „an den Rand des Koalitionsbruchs gebracht“. Mag schon sein, aber darf eine Regierung deshalb ungeniert Desinformation betreiben?
Was es heißt in einem privaten Medienunternehmen „mit liberal-konservativer Ausrichtung“ zu arbeiten, flatterte den Redakteuren des Berliner Radiosenders „Hundert,6“ jetzt via „Arbeitsplatzbeschreibung“ auf den Tisch. Bei den Richtlinien zur Nachrichtenauswahl kommt die Senderleitung bei Punkt eins gleich zur Sache: „Grundsätzlich gilt: Die Meldungen werden nach dem Gewicht der jeweiligen politischen Partei und des politischen Inhalts bemessen. Wo unser Haus steht, ist hinlänglich bekannt. Etwaige Unklarheiten beseitigt gerne die Chefredaktion.“ Woran in diesem Fall keinerlei Zweifel besteht. Chefredakteur des zur Kirch-Gruppe gehörenden Berliner Radiosenders „Hundert,6“ ist der als Rechtsausleger bekannte Georg Gafron, der in der Hauptstadt auf vielen medialen Klavieren die immer gleiche politische Melodie spielt. Gafron ist zugleich auch Chef des Springer Boulevardblatts „B.Z“ und des Kirch-Ballungsraumsenders „TV.Berlin“. Alle Unklarheiten beseitigt?
Warum die angebliche Ehekrise von Außenminister Joschka Fischer längst nicht mehr nur ein Thema für die Klatschpresse sein kann, darüber belehrt uns „Max“-Chefredakteur Hajo Schumacher: „Dass die lautstarkten Kräche der Fischers in den führenden Pizzerien Berlins nun ihren Weg in die Medien finden, ist die konsequente Folge fortgeschrittener Publicity-Sucht eines Medialschizophrenen, der es fertig bringt, ein Rudel Fotografen aufs Widerlichste anzumaulen, die das Auswärtige Amt auf sein Geheiß hat anmarschieren lassen.“ Niemand habe Fischer „zum öffentlichen Striptease“ gezwungen, verteidigt der ehemalige „Spiegel“-Rechercheur Schumacher den publizistischen Tabubruch, als seriöser Magazin-Macher im Privatleben des Außenministers herumzuschnüffeln. „Es war seine eigene Entscheidung, sich als Gesamtkunstwerk aus Gustav Stresemann, Dieter Baumann und Atze Biedermann zu gerieren. Denn bei aller Klatschsucht gilt in Deutschland, anders als in Großbritannien oder USA, die Regel, dass Prominente weitgehend selbst entscheiden, wie weit sie ihr Privatleben öffentlich machen.“ Das klingt klug – ist aber reichlich dumm. Schließlich gehören zu einer Ehe immer zwei. Und Fischers Ehefrau, die Reuters-Journalistin Nicola Leske, ist alles andere als publicitysüchtig und mediengeil. Wer schützt eigentlich ihr Privatleben vor solchen „Max“-Mätzchen?
Immer häufiger dringen Spitzenpolitiker bei TV-Talkshows auf vorherige Absprachen, welche Fragen sie sich vor laufender Kamera gefallen lassen wollen. So machte Kanzler Gerhard Schröder seine Zusage bei ARD-Talkerin Sabine Christiansen nicht nur von einem Solo-Auftritt abhängig. Zugleich bestand er darauf, beim Thema Lafontaine gefälligst den Ball flach zu halten. Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping lehnte es ab, sich von der hartnäckigen ntv-Befragerin Sandra Maischberger zum Kosovo-Krieg vernehmen zu lassen. Erst als es um das publicityträchtige Thema „Tour de France“ ging, hatte Radfreund Scharping für Maischberger plötzlich Zeit. Friedrich Küppersbusch, Produzent des ntv-Talks, offenbarte die ungeschriebenen Gesetze der Branche: „Entweder sie kommen und du fragst nicht, was du willst. Oder du fragst, was du willst – und sie kommen nicht.“