Nachdem die Beschäftigten der Produktionsgesellschaft UFA, einer Tochter der zu Bertelsmann gehörenden RTL Group, im vergangenen Jahr einen Betriebsrat gewählt hatten, werden sie in diesem Herbst erneut zu den Wahlurnen gerufen. Grund ist das Ausscheiden von zwei der neun Betriebsratsmitglieder, so Marion Jenke, die seit dem vergangenen Jahr als freigestellte Betriebsrätin in Potsdam tätig ist. Es ist die erste Freistellung eines Betriebsrates bei der UFA überhaupt.
Das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) sieht vor, dass beim Ausscheiden von Betriebsräten der komplette Betriebsrat neu gewählt werden muss, wenn es keine Nachrücker gibt. Das ist bei der UFA der Fall. Diese „starren Vorgaben“, dass außerordentliche Wahlen die Kontinuität der Arbeit unterbrechen, dass nicht nachgewählt werden kann, sieht Marion Jenke als Problem, vor allem in der Medienbranche. Es ist eine Sache, dass jedes Mal ein Wahlausschuss gegründet und geschult werden muss, dass jedes Mal Kandidaten gefunden und überzeugt werden müssen, aber eine andere Sache ist, dass Medienschaffende – selbst wenn sie angestellt und damit weisungsgebunden sind – ganz anders ticken und arbeiten als in anderen Betrieben. Ebenfalls eine Rolle spielt, dass viele nur Zeitverträge haben. Das heißt, dass sie unter Umständen keine komplette Wahlperiode der Firma angehören.
„Medienproduktionen arbeiten projektbezogen. Deren Beschäftigte wollen sich in den Projekten beweisen, wollen dort ihre Visionen umsetzen, durch sie weiterkommen“, umreißt Marion Jenke das Denken der Kreativen. Hinzu kommt, dass ein Projekt immer volle Aufmerksamkeit verlangt, so dass man es selbst für die Dauer einer Betriebsratssitzung nicht verlassen kann – insbesondere, wenn der Abgabetermin drückt. Zudem hat das Engagement im Betriebsrat für die meisten keinen Reiz, weil sie glauben, dass es ihnen nichts bringt. Die UFA hat eine lange Tradition mit Betriebsräten und es kamen und kommen immer genügend Betriebsräte zusammen. Jedoch sind es im Grunde immer dieselben, wodurch gerade die Diversität in Bezug auf ältere und junge Mitglieder leidet.
Wenn man aber eher an sich, als an das Ganze denkt, gerät zu oft aus dem Blick, dass die Arbeitnehmervertretung für Augenhöhe mit der Chefetage sorgt, auf der Verhandlungen erst möglich werden. „Ohne Betriebsrat stehen Vergünstigungen auf dem Spiel“, sagt Jenke nüchtern. Vergünstigungen, die nur aufgrund von Verhandlungen und eines starken Gegenübers entstanden sind und erhalten bleiben. Als das muss aber durch entsprechendes Engagement stets neu belebt werden. Der Betriebsrat wird nicht immer als Partner wahrgenommen, sondern vielleicht eher als Gegner, gibt Marion Jenke zu bedenken. Daraus ergeben sich schwierige Ausgangslagen für Verhandlungen: rechtzeitige Information muss eingefordert, Beteiligung „aufgedrängt“ und an Mitbestimmung muss erinnert werden.
So gehören zu den Herausforderungen der Zukunft die Notwendigkeit kollektiver Regelungen wieder stärker ins Bewusstsein der Kolleg*innen zu rücken – also genau das, wofür Betriebsräte im BetrVG vorgesehen sind. Durch Besserstellung in Individualfragen werden häufig Absprachen/Regelungen getroffen, die für die Beschäftigten eine Betriebsvereinbarung nicht (mehr) sinnhaft erscheinen lassen. „Da hier aber die Problematik des Gießkannenprinzips bzw. das Goutieren Einzelner bestehen könnte, ist es wichtig, einen Mindeststandard für alle Beschäftigten festzulegen“, sagt Marion Jenke und warnt: „Die zunehmende Individualisierung der Gesellschaft fördert auch hier das Denken, die Beschäftigten könnten dies allein für sich regeln. Das ist nicht immer der Fall.“
Im Zweifelsfall wird der Individualisierungsgedanke durch das mobile Arbeiten noch verstärkt. “Was macht mobiles Arbeiten mit der Unternehmenskultur, mit dem Zusammenhalt in der Firma“, fragt sich Marion Jenke auch in Hinblick auf die Gewinnung von Betriebsräten in der Zukunft. Diese Frage stellt sie sich nicht als einzige, aber in einer Branche, die stark von Individualität und wechselnden Teams lebt, bekommt sie eine ganz andere Dimension.
Zugleich drücken die starken Veränderungen in der Produktionslandschaft, die durch die wachsende Bedeutung der Streaming-Anbieter (etwa Netflix, Disney+, RTL+) für die Inhalteproduktion auftreten. Dabei eine Balance von individuellen und gemeinsamen Interessen zu finden, ist die wahre Aufgabe. Um hier nicht alleine zu stehen, sondern auch firmenübergreifend Ideen und Lösungen zu finden, versucht Marion Jenke eine Vernetzung mit Betriebsräten aus anderen Produktionsunternehmen der Medienbranche aufzubauen. Ziel ist es, sich über Ansätze und Lösungen auszutauschen, mit denen den spezifischen Parametern der Film- und Fernsehproduktionswirtschaft begegnet werden kann.
„Wir wollen sehen, wie es in anderen Betrieben aussieht. Wie sie dort etwa die Flexibilität hinbekommen, die in der Branche gefordert wird, aber auch welche Auswirkungen das Ringen, um die Worte des Gesetzes haben, das ja einen Rahmen vorgibt. Denn dabei können durchaus Präzedenzfälle entstehen“, beschreibt Marion Jenke den Prozess, in dem zwischen den sich ständig ändernden Herausforderungen des Wettbewerbs sowie Arbeitnehmerinteressen ein fließender Ausgleich gefunden werden muss. „Durch die Bewegung im Markt, kann ich schon verstehen, dass man flexibel sein muss“, sagt Marion Lenke. „Aber ich habe vor allem den Auftrag, die Interessen der Beschäftigten zu vertreten.“