Ukraine-Berichte verengen den politischen Diskurs

Dr. Bärbel Röben lebt als freie Journalistin und Medienwissenschaftlerin in Attendorn/Sauerland. 2013 veröffentlichte sie das Buch "Medienethik und die Anderen. Multiperspektivität als neue Schlüsselkompetenz", das Aspekte einer verantwortungsethischen Berichterstattung auslotet. Foto: Jan-Timo Schaube

Meinung

Deutschland liefert immer mehr Waffen in die Ukraine – befeuert durch eine Berichterstattung, die das als zielführender für eine Beendigung des Krieges darstellt als Verhandlungen. In der Bevölkerung dagegen wächst die Sorge, Panzer würden weniger zur Friedenssicherung als zur Eskalation des Konflikts beitragen und im Lande die soziale Spaltung verschärfen. Wir Journalist*innen sollten deshalb mehr Perspektivenvielfalt in den politisch verengten medialen Diskurs bringen!

Mitte Dezember 2022 veröffentlichten die Medienforscher Marcus Maurer, Jörg Haßler und Pablo Jost die erste empirische Studie zur Ukraineberichterstattung in deutschen Medien. Mittels einer quantitativen Inhaltsanalyse hatten sie rund 4.300 Beiträge untersucht, die von Kriegsbeginn am 24. Februar bis Ende Mai in acht deutschen Leitmedien erschienen. Mit Ausnahme des „Spiegel“ präsentierten alle – „FAZ“, „Süddeutsche Zeitung“, „Bild“, „Zeit“, ARD-Tagesschau, ZDF-Heute und RTL Aktuell – die militärische Unterstützung der Ukraine, insbesondere durch die Lieferung schwerer Waffen als „deutlich überwiegend sinnvoll und auch als sinnvoller als diplomatische Maßnahmen“. Als Kanzler Scholz mit der Waffenlieferung abwartete, wurde er „als Zauderer kritisiert“.

Diese mediale Diskursverengung setzte sich im Laufe des Jahres fort. So monierte Bascha Mika, ehemalige Chefredakteurin von „taz“ und später „Frankfurter Rundschau“ im Juni die Diskrepanz zwischen veröffentlichter und öffentlicher Meinung: „Wie Journalist*innen in Sachen Krieg ihre Schwerpunkte setzen und was die Bevölkerung umtreibt, hat oft wenig miteinander zu tun… Da tummeln sich Pressevertreter*innen maulheldenhaft in Schützengräben, überschlagen sich bei der Forderung nach noch schwereren Waffen, treiben die Regierung wegen angeblicher Zögerlichkeit vor sich her und spotten über die Warnung des Friedensinstituts Sipri vor einem Atomkrieg.“ Zur Sorge vor eine Eskalation im Ukraine-Krieg habe sich bei sehr vielen Menschen eine weitere Angst gesellt, die sie ungeheuer bedrücke: Die Angst, dass sich die soziale Ungleichheit in der Gesellschaft drastisch verschärft.

Mika bezieht sich auf die repräsentative Erwerbspersonenbefragung der Hans-Böckler-Stiftung vom Mai 2022, in der konstatiert wird: „Sehr viele Befragte haben kein Vertrauen, dass die Lasten der Ukraine-Krise fair verteilt werden und fühlen sich schon jetzt nicht ausreichend unterstützt. Das schwächt auch ihr Vertrauen in die Bundesregierung und demokratische Institutionen insgesamt.“ Mika warnt: „Wer diese Gefahr nicht erkennt, versteht nicht, was sich hier aufbaut. Wird die Demokratie instabil, kann sie sich behaupten? Vielleicht sollten sich Publizist*innen mal verstärkt diesen Problemen widmen, statt Panzer zu zählen.“

Noch stärker als innenpolitische Folgeprobleme des Ukraine-Krieges wird die Suche nach seiner friedlichen Beendigung in der Berichterstattung vernachlässigt. So fragte die Redaktion der „KONTEXT-Wochenzeitung“ in ihrem Editorial zu Weihnachten, ob es sich nicht „lohnen würde, die Kriegslogik zu überdenken, die die Welt derzeit im Griff hat?“ Sie stellte den Christmas-Appeal des ukrainischen Pazifisten Yurii Sheliazhenko vor, der in Kiew Solidarität für Kriegsdienstverweigerer organisiert und sich nun an die Regierungen der Kriegsparteien wendet: „Lasst die Waffen schweigen. Schenkt den Menschen einen Moment des Friedens und öffnet den Weg zu Verhandlungen!“

Es gibt sie noch, die anderen Perspektiven auf den Ukraine-Krieg! So präsentierte das ZDF-Magazin Frontal Ende Januar dieses Jahres einen Beitrag „Deutsche Panzer, Putins Krieg“, in dem in wohltuender öffentlich-rechtlicher Ausgewogenheit beide Positionen zu Wort kommen: Diejenigen, die mit den Waffenlieferungen eine Eskalation des Konflikts befürchten und diejenigen, die sie als Beitrag zur Friedenssicherung betrachten.

Die Fokussierung auf die Perspektive Deutschlands und westlicher Staaten in der Ukraine-Berichterstattung zeigte sich besonders im ersten Halbjahr 2022, als die „Marginalisierung der Länder des Globalen Südens“, in denen 85 Prozent der Weltbevölkerung leben, „ein beispielloses Ausmaß“ erreichte, so Ladislaus Ludescher. Der Autor der Langzeit-Studie „Vergessene Welten und blinde Flecken“  erläutert, die ARD-Tagesschau habe dem Ukraine-Krieg und seinen Auswirkungen etwa 41 Prozent ihrer Sendezeit, aber nur 0,5  Prozent dem globalen Hunger gewidmet: „Dabei wäre gerade im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg und den hierdurch ausbleibenden Weizenlieferungen ein deutlich größeres Interesse an den von Mangel- und Unterernährung betroffenen Krisenregionen der Welt zu erwarten gewesen.“ UN-Generalsekretär António Guterres warnte immerhin vor einer beispiellosen Welthungerkrise und Hilfsorganisationen machten wiederholt auf die Zuspitzung der globalen Hungersituation infolge des Ukraine-Krieges aufmerksam.

Der Blick über den Tellerrand eröffnet auch neue Chancen für eine Beendigung des Blutvergießens in der Ukraine – durch Länder im Globalen Süden, die sich nicht in den Krieg hineinziehen lassen wollen. So fragte „Africa Positive“-Chefredakteurin Veye Tata nach dem russischen Angriff in ihrem Editorial: „Warum denken die USA und ihre Verbündeten, ihre Feinde müssen auch die Feinde der afrikanischen Länder sein?“ und Brasiliens Präsident Lula schlug jüngst die Bitte von Kanzler Scholz ab, Munition in die Ukraine zu liefern. Sein Land werde stattdessen mit anderen Ländern zusammenarbeiten, um Frieden in der Ukraine zu erreichen, sagte er. Veye Tata ist der Meinung, „dass jeder Mensch, der die Menschlichkeit achtet, gegen jede Form des Krieges sein muss – diejenigen, die von der Herstellung und dem Verkauf von Waffen profitieren, einmal ausgenommen.“ Da lohnt es sich, nachzufragen, wer Interesse am Krieg hat und die Verflechtungen zwischen Politik und Rüstungsindustrie in Deutschland stärker unter die Lupe zu nehmen.

Zur Lösung von Konflikten, aber auch zu ihrer Verhinderung ist eine perspektivenreiche In- und Auslandsberichterstattung notwendig. Steffen Dobbert, der mehrere Recherchereisen in die Ukraine gemacht hat, kritisiert, dass der Krieg, den das Land „seit acht Jahren gegen Wladimir Putins Russland führen muss“, in Deutschland nicht wahrgenommen wurde. Die Ukrainer*innen seien sich sicher, dass hiesige „Redaktionen den Teil dieses Krieges, den man als Desinformation-War oder old school als Propaganda bezeichnet, nicht rechtzeitig gecheckt haben.“

Wir brauchen mehr Perspektivenvielfalt in der Berichterstattung, denn Putin destabilisiert westliche Demokratien nicht nur durch seinen Angriff auf die Ukraine, sondern auch durch das Anheizen innergesellschaftlicher Ungleichheitslagen und internationaler Lagerbildungen. Da gilt es, rechten Spalter*innen den Wind aus den Segeln zu nehmen und Gelder nicht in Waffen, sondern in die notwendige soziale und ökologische Transformation zu stecken. Dies kommt auch den medial vernachlässigten Ländern des Globalen Südens zugute, die von Klimawandel und sozialen Verwerfungen noch stärker betroffen sind – und zur Lösung des Ukrainekonflikts beitragen können. „Der Wunsch nach stärkerer Repräsentation und Perspektivenvielfalt in der Berichterstattung gehört insgesamt zu den besonders häufig geäußerten Wünschen von Mediennutzenden“, stellte das Bonn Institute denn auch nach einer Befragung zur Kriegsberichterstattung im Dezember vergangenen Jahres fest.

 

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