Frischer Wind für den Auslandsjournalismus

Tag des Auslandsjournalismus 2023, Foto: Journalists Network

Ukrainekrieg und weltweiter Klimanotstand – der Blick über den Gartenzaun bleibt für Medien und Öffentlichkeit immens wichtig. Über eine „Zeitenwende“ in der Berichterstattung diskutierten etwa 200 Teilnehmende am „Tag des Auslandsjournalismus“ in München, zu dem das Journalists Network eingeladen hatte, das die außenpolitische Kompetenz des Medien-Nachwuchses fördern will. Die Expert*innen waren sich einig: Das Interesse beim Publikum steigt, globale und sicherheitspolitische Themen dominieren, der Druck auf Reporter*innen nimmt zu und internationale Kooperationen sind notwendig.

Mit dem Ukrainekrieg mitten in Europa sei das Interesse an Sicherheitsfragen enorm gestiegen, konstatierte der Politikchef der „Süddeutschen Zeitung“ (SZ) Stefan Kornelius. Stefanie Schöneborn, Leiterin des ZDF-Auslandsjournals, konkretisierte: „Wir wurden aus unserer Komfortzone rausgerissen und müssen plötzlich ein Kriegsvokabular benutzen, das wir vorher nicht kannten.“ Die ehemalige Südasien-Korrespondentin ergänzte, das entstandene Machtvakuum versuche China für sich zu nutzen. Bereits jetzt führe das Land einen Cyberkrieg gegen Taiwan, um die Demokratie zu unterwandern. Da sei es naiv, an die Autoexporte nach China und die Arbeitsplätze in Deutschland zu denken. Kritische Berichterstattung aus Peking werde immer schwieriger: Auslandsreporter*innen können nicht mehr einreisen, wenn sie für das Regime heikle Informationen veröffentlichen. Besonders gefährlich sei das für lokale Stringer, die „ihren Kopf hinhalten“.

Wer bezahlt den Auslandsjournalismus?

Wie dieser Prozess der Zeitenwende im Auslandsjournalismus verläuft, wurde in Debatten und Workshops vertieft – durch kritische Bestandsaufnahme und hoffnungsvolle Ausblicke. Im Eingangspanel zu sinkenden Budgets und schrumpfenden Korrespondenten*innennetzen, kritisierte Christina Schott, Geschäftsführerin der „Weltreporter“, dass Redaktionen keine Reisekosten mehr bezahlten und freie Auslandsjournalist*innen bei ihren Recherchen auf Stiftungsgelder und NGO-Unterstützung angewiesen seien. Damit ihre Unabhängigkeit nicht auf der Strecke bleibt, müssten sie etwa „mit dem einen fahren, bei dem anderen wohnen“.

Freie Netzwerke wie „Weltreporter“ oder „Deine Korrespondentin“ seien in die Bresche gesprungen, als die Auslandsbudgets schrumpften und müssen nun unterstützt werden, forderte Marc Engelhardt, freier Auslandsreporter in Genf. In der Schweiz, wo er Geschäftsführer des Recherchenetzwerks „Correctiv“ ist, werde auch über staatliche Fördergelder diskutiert. Birgit Wentzien vom Deutschlandradio und Susanne Glass vom Bayerischen Rundfunk konnten sich „das für öffentlich-rechtliche Medien nicht vorstellen“. Wentzien sagte, es gebe nicht nur eine „finanzielle, sondern auch eine kreative Krise“, man müsse die jüngere Generation besser erreichen und Ausgaben anders priorisieren. Auch SZ-Chefredakteurin Judith Wittwer setzte auf Umverteilung, wenn für die Auslandsberichterstattung mehr Korrespondent*innen in Osteuropa gebraucht werden.

In Netzwerken kooperieren

Weg vom Einzelkämpfertum und hin zu Netzwerken – darin sehen freie Auslandsreporter*innen die Chance, unabhängig für verschiedene Medien zu berichten: „Man nimmt sich nichts weg, ist nicht Konkurrenz, sondern schafft Mehrwert“, so Weltreporterin Schott, deren Plädoyer mit einer Debatte über Crossborder-Recherchen unterfüttert wurde. Elisa Simantke von „Investigate Europe“ erläuterte diesen Mehrwert internationaler Kooperationen am Beispiel des Themas „Ausbeutung von LKW-Fahrern auf deutschen Autobahnen“. Deutsche Freelancer interviewen Lastwagenfahrer auf Parkplätzen, polnische Kolleg*innen recherchieren bei Behörden, die Lizenzen ohne Prüfung ausstellen. In Belgien, wo die Polizei effektiv kontrolliert, findet man Belege, dass Bußgelder mit Firmenkarte bezahlt werden und in Frankreich Papiere, auf denen die gesamte Ausbeutungskette dokumentiert ist. Eine solche facettenreiche Recherche ist nur durch gegenseitiges Vertrauen und Teilen von Information möglich, war sie sich einig mit ihren Mitdiskutanten Frederik Obermaier vom Investigativteam „paper trail media“ und Jan Strozyk vom Recherchenetz OCCRP, das Organisierte Kriminalität und Korruption aufdeckt. Obermaier berichtete, in vielen Redaktionen gebe es für solche Netzwerkrecherchen noch wenig Verständnis, aber das System werde sich durchsetzen. Für Arbeitsgrundlagen wie Informationsfreiheitsgesetz und Finanzierungsfragen sei politische Lobbyarbeit notwendig, so Elisa Simantke.

Gute Berichte brauchen Diversität

Für mehr Facettenreichtum und Vielfalt in der Auslandsberichterstattung sorgt nicht nur internationale Kooperation, sondern auch personelle Diversität in Redaktionen. Doch in Deutschland dominieren dort immer noch weiße Männer. Er sei mit dem Bild von Uli Gack aufgewachsen, der ohne Sprachkenntnisse, embedded von der Bundeswehr, über den deutschen Kundus-Luftangriff aus Afghanistan berichtete, so der österreichisch-afghanische Journalist Emran Feroz. Er betonte, wie wichtig es für den Zugang zu differenzierten Informationen ist, die Landessprache zu beherrschen und sich unter die Menge mischen zu können. Auch SZ-Politikredakteurin Dunja Ramadan hat bei ihrer Katar-Berichterstattung erfahren, wie sie durch ihre Arabisch-Kenntnisse Kontakte zu Menschen bekam, die nicht mit deutschen Medien sprechen wollten. Deren Berichterstattung war ihnen zu einseitig und negativ: „Menschenquäler“, “keine Fußballkultur“ oder „feiern ohne Bier“. Für journalistischen Nachwuchs mit Migrationsgeschichte sei jetzt „eine gute Zeit, Fuß zu fassen. Pocht auf eure Chance!“

Wie auch deutsche Journalist*innen nuancierter aus fremden Ländern berichten können, erläuterte Stella Männer, freie Korrespondentin im Libanon und Trainerin zu Genderstereotypen im Journalismus. Es gelte, die eigene Weltwahrnehmung zu reflektieren und Netzwerke aufzubauen, um ein „Gefühl für das Leben der Menschen im Land“ zu bekommen. So ergäben sich Kontakte und man könne Stereotype aufbrechen – wie das der „unterdrückten, leidenden Frau“ im arabischen Raum. So habe sie nach der Explosion im Beiruter Hafen 2020 eine Woche lang bewusst nach einer weiblichen Protagonistin gesucht, da sich auch viele Frauen beim Wiederaufbau engagierten. Als Freelancerin würde sie allerdings schneller Geld verdienen, wenn sie gängige Vorurteile bedient und einen der sechs Männer interviewt hätte, die sich in der Zwischenzeit meldeten.

Internationale Perspektive auf globale Themen

Wie wichtig eine differenzbewusste und internationale Perspektive für die Berichterstattung ist, wird bei den Themen Klima- und Umweltschutz besonders deutlich, denn CO2-Emmissionen machen nicht an Grenzen Halt. „Wir nähern uns einer Hochzeit des Auslandsjournalismus, weil das nicht national zu lösen ist,“ konstatierte denn auch Sven Egenter, Chefredakteur des Mediendienstes „Clean Energy Wire“ und des Portals „klimafakten.de“.  Allerdings reiche es nicht, Fakten zu vermitteln, man müsse „Nähe“ zum heimischen Publikum schaffen, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Südostasien-Korrespondentin Lena Bodewein baut auf Parallelen, etwa zwischen Überschwemmungen in Australien und Flut im deutschen Ahrtal, um Betroffenheit für den Klimanotstand zu erzeugen. Mut machen könnten beispielhafte Lösungen wie das „Zukunftslabor Singapur“, das demonstriere, wie Städte Energie sparen, luftiger und grüner gebaut werden können.

Das „Überlebensthema“ Klimanotstand müsse in allen Geschichten mit erzählt werden, so Egenter. Man dürfe aber nicht dabei stehen bleiben, was jeder persönlich tun kann, sondern müsse Strukturen in den Blick nehmen, so Katharina Mau, Redakteurin des Newsletters „Onboarding Klimajournalismus“. In der Berichterstattung zu den Lützerath-Protesten vermisste sie etwa eine frühzeitige und kontinuierliche Thematisierung der Studien zum dortigen Braunkohlebergbau. Oft blockierten Redaktionen solche Themen wegen wirtschaftlicher Aspekte, meinte Egenter und Bodewein berichtete, dass die in Australien dominierenden Murdoch-Medien wegen ihrer Nähe zu Kohleindustrie und Klimaleugnern versuchten, eine kritische Berichterstattung zu verhindern. Durch internationale Teams und länderübergreifende Berichterstattung könne der Druck auf nationale Redaktionen erhöht werden, „ressortübergreifend das Klima-Thema zu covern, und Lösungen aus anderen Ländern zu zeigen“.

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