Sein 20jähriges Bestehen konnte das Netzwerk Recherche (nr) wegen der Pandemie nur mit einem kleinen Get-together unter den Hamburger Elbarkaden feiern – nach der abermals virtuellen nr-Jahreskonferenz am vergangenen Samstag. Neben einer Preisverleihung gab es dort Webinare zu aktuellen Themen wie „fehlender politische Wille“ zur Rettung afghanischer Medienschaffender oder journalistisches Versagen bei der Klima-Berichterstattung.
Die „Verschlossene Auster“, der nr-Negativpreis für den „Informationsblockierer des Jahres“ ging an die Hohenzollern. Ihr Umgang mit Journalist*innen und Wissenschaftler*innen zeige, „wie das allgemeine Persönlichkeitsrecht instrumentalisiert werden kann, um eine öffentliche Debatte zu ersticken“, so Sophia Schönberger, Professorin für Kunst- und Kulturrecht, in ihrer Laudatio. Nachdem Jan Böhmermann historische Gutachten zur Verstrickung der Adelsfamilie in den Nationalsozialismus thematisiert hatte, ging ihr Sprecher, Georg Friedrich Prinz von Preußen, juristisch gegen die Folgeberichterstattung vor. Er überzog Medienhäuser und einzelne Journalist*innen mit Klagen. Inzwischen sind mindestens 80 Klagen in einem Wiki dokumentiert. Der Gegenwehr der Beklagten, die Zeit, Geld und viel Energie kostete, sei es zu verdanken, dass man nun – nach zweitinstanzlichem Urteil, das einige erkämpft hatten, – „relativ frei über die Causa Hohenzollern sprechen“ könne, so Schönberger.
Afghanistan: „Der politische Wille fehlt!“
Während deutsche Journalist*innen gegen Einschüchterung kämpfen, geht es bei ihren afghanischen Kolleg*innen ums pure Überleben. Im Gespräch mit nr-Urgestein Kuno Haberbusch betonte Christian Mihr von „Reporter ohne Grenzen“ (RSF)) die Dringlichkeit, bedrohte Journalist*innen und ihre Familien aus dem Land zu holen. Wegen der instabilen Machtverhältnisse drohe ein Bürgerkrieg oder Krieg mit Nachbarstaaten. Er sei „hochgradig schockiert“ gewesen, als das Bundesinnenministerium vor Ausreise der Gefährdeten eine Sicherheitsüberprüfung durch deutsche Behörden in Afghanistan verlangte, zumal es diese vor Ort gar nicht mehr gab. Nun sei eine Überprüfung per Email möglich. Ronja von Wurmb-Seibel, die zwei Jahre lang als Journalistin in Afghanistan arbeitete, hat Kontakt zu ehemaligen Mitarbeitenden dort und sagt, der „eigentliche Skandal“ sei, „dass es kein geordnetes Verfahren“ gebe, dass nur diejenigen mit Kontakten nach Deutschland Druck machen könnten, das Land zu verlassen. Es „fehlt an politischem Willen“ zu helfen.
Das zeigte sich auch bei einer privaten Initiative von RSF, Seawatch und anderen, die mit ihrer „Luftbrücke Kabul“ etwa 200 gefährdete Menschen ausfliegen wollten. Aber das Vorhaben „scheiterte an den deutschen Behörden“, so Mihr, sodass sie mit ihrer selbst gecharterten Maschine nur 18 Menschen retten konnten. Nun werde versucht, den Bedrohten die Flucht auf dem Landwege über Pakistan zu ermöglichen. Ronja von Wurmb-Seibel kritisierte die „eigenen Strukturen“ im Bundesinnenministerium, das die Einreise von Menschen aus Afghanistan begrenzen wolle. Aber Deutschland habe eine „handfeste Verantwortung“ für die Ortskräfte in Afghanistan. Andere Länder wie Neuseeland dagegen sagten: “Alle, die für uns gearbeitet haben, können herkommen!“
Klimakrise: „Warnung ist unser Job!“
Über den Journalismus in Zeiten der Klimakrise diskutierte der tags zuvor gewählte erste Vorsitzende des Netzwerks Recherche Daniel Drepper mit den freien Journalist*innen Sara Schumann, die sich im Netzwerk Klimajournalismus engagiert, und Toralf Staud, der u.a. für das Wissenschaftsportal klimafakten.de arbeitet. Obwohl viele Journalist*innen über die Klimakrise berichten, habe die Profession versagt, konstatierte Schumann. Klima sei zu lange als „Fachthema“ behandelt und wissenschaftliche Erkenntnisse seien als „Meinung“ präsentiert worden. Es entstehe z.B. ein „verzerrtes Bild“, wenn die Äußerungen einer Wissenschaftlerin wie Maja Göpel in einer Talkshow gleichgestellt würden mit denen von Wirtschaftsminister Peter Altmaier, dessen Position von der „Klimaschmutzlobby“ beeinflusst sei.
„Wir haben unseren Job nicht gemacht“, stimmte Staud ihr zu. Der menschengemachte Klimawandel sei seit 30 Jahren wissenschaftlich nachgewiesen, „aber wir haben das journalistisch nicht rübergebracht“. Chancen zum Umsteuern würden verhindert durch „Lobbyeinwirkung“ und psychologische Verdrängung: “Viele Menschen wollen die existentielle Bedrohung nicht wahrhaben!“ In den Redaktionen fehle es an Wissen, Politiker*innen „können den größten Quatsch erzählen“. Es brauche mehr Faktencheck und einen „anderen Blick“, der auch die Folgen für das Klima thematisiert. Wenn etwa über den 60prozentigen Wiederanstieg des Flugverkehrs nach Corona berichtet wird, müsse auch der damit verbundene vermehrte CO2-Ausstoß erwähnt werden. Die Dringlichkeit der Klimakrise solle zudem durch eigene Recherchen – etwa zum Zusammenhang zwischen Hitzespitzen und Krankenhauseinweisungen im Sommer – verdeutlicht werden.
Auch Schumann plädierte für mehr Faktenwissen „in der Breite der Redaktionen“ wie in der Coronapandemie, um die Klimakrise politisch besser einordnen zu können. Chefredaktionen sollten Mitarbeitenden Zeit für die Einarbeitung ins Thema geben oder einen „Klima-CvD“ ernennen. Es gelte, die Dringlichkeit einer Klimapolitik und gleichzeitig auch ihre positiven Effekte zu thematisieren. So solle man klare Zeiträume für die „Verkehrswende“ nennen, aber auch, dass sie zu einem „besseren Leben“ mit weniger Lärm und sauberer Luft führe. „Warnung ist unser Job“, sagte Staud, aber die Botschaft „Man kann etwas tun“ müsse mitgeliefert werden.
„Handwerk und Haltung“ ist Titel eines Magazins zum 20. Jubiläum von Netzwerk Recherche, s. https://netzwerkrecherche.org/blog/20-jahre-netzwerk-recherche-das-magazin-zum-jubilaeum/