Wiki über die Klagen der Hohenzollern

Oben von links: Moderatorin Anja Reinhardt, DLF; Manja Schüle, Brandenburgs Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kultur; Sophie Schönberger, Prof für Öffentliches Recht, Kunst- und Kulturrecht an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Co-Direktorin des Instituts für Deutsches und Internationales Parteienrecht und Parteienforschung.
Unten von links: Michael Haller, Ex-Prof. Uni Leipzig und Wiss. Direktor Europ. Institut für Journalismus und Kommunikationsforschung Leipzig; Martin Sabrow, Prof. Neueste und Zeitgeschichte an der Humboldt-Uni Berlin und Direktor des Leibniz-Zentrums für Zeithistorische Forschung in Potsdam. Screenshot: Susanne Stracke-Neumann

Über 600 Interessierte waren am 15. Juni dabei, als der Verband der Historikerinnen und Historiker sein „Hohenzollern-Klage-Wiki“ vorstellte. Seit im November 2019 die Verhandlungen um mögliche Restitutionen öffentlich wurden, ging Prinz Georg Friedrich von Preußen in über 70 Fällen juristisch gegen Historiker*innen und Journalist*innen vor. Die Dokumentation bietet einen Überblick der historischen und juristischen Aspekte des Streits.

Eine Frage, die wissenschaftliche Gutachter im Auftrag der streitenden Parteien beschäftigt hatte, war, ob der damalige Kronprinz Wilhelm „dem Nationalsozialismus erheblichen Vorschub geleistet“ habe. Mit dieser Begründung lehnte die zuständige Behörde des Lands Brandenburg 2015 den Antrag auf Entschädigungsleistungen nach dem Ausgleichsleistungsgesetz ab, wogegen Prinz Georg Friedrich vor dem Verwaltungsgericht Potsdam Klage erhob (www.klagen-der-hohenzollern.de ). Weitere Ansprüche, zum Beispiel zum niederländischen Haus Doorn oder der Burg Rheinfels, werden auf dem Wiki ebenfalls dargestellt.

Durch die Veröffentlichung der Gutachten begann eine breite Berichterstattung und eine öffentliche wissenschaftliche Diskussion um die Rolle des Kronprinzen in der Weimarer Republik und seine mögliche Unterstützung des Nationalsozialismus sowie die Ansprüche auf den einstigen Hohenzollern-Besitz. Es sei wichtig, unterstrich Juraprofessorin Sophie Schönberger, maßgeblich an der Erarbeitung des Wikis beteiligt, dass es Grenzen für den öffentlichen Diskurs gebe, wo es um die Verletzung von Persönlichkeitsrechten gehe. Die Besonderheit im Hohenzollern-Fall sei aber, dass hier mit Hilfe des Zivilrechts gerichtlich über historische Tatsachen entschieden werden solle.

Eva Schlotheuber, Vorsitzende des Historikerverbands, und Schönberger, beide an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, fassten mit Unterstützung der Universitätsleitung und von Kolleg*innen den Plan, die von Abmahnungen und Klagen mit hohem Streitwert unter Druck gesetzten Wissenschaftler*innen durch eine Dokumentation zu unterstützen. Denn, so Schlotheuber, es müsse möglich sein, sich wissenschaftlich öffentlich zu äußern, „ohne scharf formulierte und vielfach sehr polemisch gehaltene Anwaltsbriefe mit kurzen Fristen zu bekommen“. Dabei arbeiteten sie mit der Initiative „Frag-den-Staat“ zusammen, die für die „Verteidigung der Wissenschafts- und Meinungsfreiheit“ den „Prinzenfonds“ für betroffene Journalist*innen und Forscher*innen eingerichtet hat.

Über 70 Fallbeispiele versammelt das „Hohenzollern-Klage-Wiki“ bisher. Laut Martin Sabrow, Direktor des ebenfalls in Auseinandersetzungen verwickelten Leibniz-Zentrums für Zeithistorische Forschung in Potsdam, gebe es noch mehr Fälle. Aber nicht alle Medien seien aus Vorsicht vor weiteren juristischen Schwierigkeiten an einer Wiki-Darstellung interessiert. Jedenfalls empfinde er es als „Genugtuung“, dass der Streit jetzt „nicht mehr vereinzelt“ geführt werde. Auch diese ver.di-Publikation „M – Menschen Machen Medien“ geht gegen eine „Einstweilige Verfügung“ des Prinzen wegen eines Artikels gerichtlich vor.

Für Brandenburgs Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kultur, Manja Schüle (SPD), ist es wichtig, dass die Verhandlungen um „Kulturschätze von immenser Bedeutung für das Land“ aus dem „Geheimstadium heraus“ gekommen seien. Sie weigere sich allerdings, mit einer „Privatperson“ weiter zu verhandeln, die Wissenschaftler*innen verklage und Kunstschätze zu entziehen drohe. Die Äußerung des Prinzen in einem Interview in der „Welt“ am Tag vor der Vorstellung des Wiki , die öffentlichen Verhandlungen nicht zu scheuen, kommentierte sie mit der Bemerkung, der Prinz habe seit der Veröffentlichung ja weiterverhandeln können, klage aber gegen diese Öffentlichkeit mit Bezug auf Verschwiegenheitspflichten der Behörde. Schönberger antwortet auf eine Frage der Moderatorin Anja Reinhardt, dass sich ihr der Eindruck aufdränge – wobei sie betonte, inzwischen auch jedes Wort auf juristische Folgen abzuklopfen – , der Prinz würde die Angelegenheit gerne wieder aus dem öffentlichen Diskurs herausbringen.

Michael Haller, Direktor des Europäischen Instituts für Journalismus- und Kommunikationsforschung in Leipzig, zeichnete das Bild der Pressefreiheit auch als „Indikator für zivile Diskursfähigkeit“. Journalist*innen müssten aber wissen, dass dieses Thema mit „rechthaberischer Härte“ im „Streit um die Meinungshoheit“ ausgetragen werde. Das Landgericht Berlin, das der Prinz wegen des Rechts auf „fliegenden Gerichtsstand“ wählen könne, habe seine Goldwaage für den Prinzen „auf den Millimeterbereich“ eingestellt, kommentierte Haller.

Stephan Malinowski, einer der Gutachter, Senior Lecturer University of Edinburgh Screenshot: Susanne Stracke-Neumann

Der nächste Historikertag werde sich unter Berufung auf die griechische Muse der Geschichtsschreibung Klio mit dem Thema unter der Überschrift „Klio vor dem Kadi“ beschäftigten, kündigte Sabrow an. Stephan Malinowski, einer der bisher vier Gutachter und Senior Lecturer an der Universität von Edinburgh, werde im September eine neues Buch zur Geschichte der Hohenzollern vorlegen.

Die ganze Veranstaltung zum „Hohenzollern-Klage-Wiki“ wird ab dem 21. Juni auf L.I.S.A., dem Wissenschaftsportal der Gerda-Henkel-Stiftung, zu sehen sein.

 

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Buchtipp: Sprache des Kapitalismus

Über gendersensible Sprache läuft schon seit Jahren eine hochemotionale Debatte. In Bayerns Schulen, Hochschulen und Behörden gilt seit dem 1. April sogar ein Genderverbot. Über Begrifflichkeiten wie „steigende Preise“ oder Finanzkrisen, die wie ein „Tsunami“ über uns kommen, wird dagegen weniger gestritten. Sie beherrschen längst unser Denken und Sprechen, sind in unseren Alltag eingedrungen. Wer in diesem Wirtschaftssystem sozialisiert wurde, nutzt sie automatisch, ohne weiter darüber nachzudenken.
mehr »

Von Erbsensuppe und neuen Geschichten

„Vielfalt schützen, Freiheit sichern – 40 Jahre duale Medienordnung im föderalen Deutschland“. Dies war das Thema des Symposiums, das am 23.  April in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften stattfand. Ausrichter war die Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM).  Teilnehmer waren Verantwortliche aus Medienpolitik und -wissenschaft, Rundfunkregulierung und Medienunternehmen.
mehr »

Preis für behinderte Medienschaffende

Zum zweiten Mal schreibt in diesem Jahr die gewerkschaftsnahe Otto Brenner Stiftung zwei Preise und Stipendien für Journalist*innen mit Behinderung aus. Damit soll „ein klares Signal für die Förderung von Diversität als unverzichtbaren Wert in unserer demokratischen Gesellschaft“ gesetzt werden, sagt Jupp Legrand, Geschäftsführer der Stiftung. 
mehr »

Italien: Neun Jahre Haft für Recherche?

Drei Reporter*innen der italienischen Tageszeitung Domani müssen mit bis zu neun Jahren Gefängnis rechnen. Die Staatsanwaltschaft Perugia ermittelt gegen sie, weil sie vertrauliche Dokumente von einem Beamten angefordert und erhalten und das Geheimhaltungsprinzip der Ermittlungen verletzt haben sollen. Die dju-Bundesvorsitzende Tina Groll kritisierte, dass „hier investigative Berichterstattung über Mitglieder der italienischen Regierung unterdrückt werden soll."
mehr »