Was darf Recherche?

Youth Media Convention lotete Distanz zwischen Ethik und Größenwahn aus

Um das „Fuß fassen“ im Journalismus ging es bei der Youth Media Convention im vergangenen Jahr. Dieses Mal sollte der Blick von der Oberfläche in die Tiefe gelenkt werden: Unter dem Bild des „Tiefseetauchers“ drehten sich die Referate und Gespräche an Bord der „Kronprins Harald“ zwischen Kiel und Oslo um die Recherche. „Journalisten, Erfahrungen, Geschichten, Handwerk“ war der Untertitel der dreitägigen Veranstaltung, die auch in diesem Jahr von der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di und der Jugendpresse Deutschland gemeinsam veranstaltet wurde.

Nach einem Impulsreferat von Christoph Fasel, dem kurz zuvor zurückgetretenen Leiter der Henri-Nannen-Schule, über „Recherche heute- zwischen Fiktion und Realität“ diskutierten Fasel, der Publizist Günter Wallraff, Stern-Redakteur Markus Grill („Der Pharma-Skandal“, 2005), Julia Friedrichs („McKinsey und ich“ in der Zeit, 2006), Manfred Redelfs, Leiter der Recherche-Abteilung bei Greenpeace, und dju-Sprecher und Presseratsmitglied Manfred Protze mit den rund 150 Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Oslo-Fahrt über den „Goldenen Weg zum investigativen Journalismus“ und die Frage „Wie viel Ethik brauchen wir?“. Die Sparte Handwerk bedienten Protze und Redelfs mit Beispielen zu den Folgen schlechter Recherche und Informationen zum Auskunftsrecht für Presse und Bürger, das durch das Umweltinformationsgesetz und gerade erst durch das Informationsfreiheitsgesetz gestärkt wurde.
Mit besonderer Spannung erwarteten die jungen Medienmacher, darunter viele Studenten und Volontärinnen, die drei Recherchebeispiele, die in der Zunft für Aufmerksamkeit gesorgt hatten: Julia Friedrichs Selbstversuch im Bewerbungsverfahren bei der Beraterfirma McKinsey, Markus Grills Nachforschungen zu den merkwürdigen Vertriebsmethoden bei Ratiopharm und anderen Generika-Firmen, und schließlich Volker Lilienthals Recherche über Schleichwerbung in der ARD-Serie „Marienhof“ (2005), die der epd-medien-Redakteur wegen einer einstweiligen Verfügung und einer Hauptklage auf Unterlassung vom Frühjahr 2003 zwei Jahre lang unterbrechen musste – bedroht von einer möglichen Zahlung von 1,5 Millionen Euro. Einer Summe, die weder für epd medien, noch für Volker Lilienthal zu den Beträgen gehört, die man eben mal aus der Portokasse begleicht.

Ab wann kriminell?

Ein kontrovers diskutiertes Thema war die verdeckte Recherche. Dazu konnten zwar eher die Referenten als die jungen Teilnehmerinnen und Teilnehmer eigene Erfahrungen beitragen, aber ausgelöst durch einen Fernsehbeitrag, in dem es um das Einschleichen in einen Pädaophilenring ging, wurde die die schwierige Situation des verdeckten Rechercheurs – ähnlich der des verdeckten Ermittlers – deutlich: Ab wann wird aus der Recherche ein Dulden krimineller Taten, vielleicht sogar ein gewisses Mitmachen um die Camouflage aufrecht zu erhalten.
Anekdoten wie die von Volker Lilienthal hören sich eher komisch an, der sich erst als Repräsentant für Apfelsaft und dann für Schuhe ausgab, um zu schauen, wie man Schleichwerbung am besten platziert. Auch wenn Manfred Redelfs schildert, wie er als Mitglied des „Vereins der Freunde großer Handelsschiffe“ in Westafrika der Asbestschrottverarbeitung hinterher recherchierte, ist man eher zum Schmunzeln geneigt. Der von einer Zuhörerin erwähnte Fall der verdeckten Recherche im Milieu der Kinderpornographie oder ein früherer Auftrag von Fasel, der sich als menschenhandelnder Teppichaufkäufer ausgeben sollte, stimmen da schon bedenklich. Kein Wunder, dass der junge Christoph Fasel froh war, seine Recherchen an die Kripo übergeben zu können.
Wie weit darf man also bei verdeckter Recherche gehen, fragten die jungen Leute. Wann geht der Journalist, die Journalis­tin den Opfern zuliebe besser zur Polizei? Wann wird eine Recherche über Drogenhandel auf dem Schulhof zur Anstiftung zum Verbrechen? Wann ist es nur noch Abenteuerlust, Größenwahn oder Voyeurismus und nicht mehr ein berechtigtes Interesse der Öffentlichkeit an Aufklärung? Journalisten brauchten in solchen Fällen eine psychische Betreuung, forderte eine Teilnehmerin.
Doch auch im nicht-kriminellen Milieu ist die Unterscheidung, an welchen Themen die Öffentlichkeit ein berechtigtes Interesse hat, nicht immer einfach. Wer definiert dieses öffentliche Interesse? Ist das Bewerbungsverfahren einer Beraterfirma von öffentlichem Interesse? Die Meinungen gingen in den Diskussionen am Abend auseinander. Ja, so die einen, die Firma verdiene immerhin ziemlich gut an öffentlichen Geldern und das Verfahren verdeutliche das Menschenbild dieser inzwischen überall mitmischenden Berater. Nein, so die anderen, das sei eine firmeninterne Angelegenheit, die keinerlei Verstoß darstelle.
Nicht Detektiv zu spielen und die eigenen Grenzen zu erkennen, riet Fasel dem journalistischen Nachwuchs. Doch hier, wie so oft, können die Erfahrenen den Jungen keine absoluten Regeln weitergeben. Es komme auf den Einzelfall an und darauf, dass man sich im Mediengeschäft einen inneren ethischen Kompass bewahre.

Journalistische Ethik kein verstaubtes Thema

Bringt journalistische Recherche wirklich etwas, können gute Artikel die Welt verändern, war eine weitere Frage der jungen Reporterinnen und Reporter. Von einer häufig sehr resignativen Stimmung bei jungen Menschen, die man kaum noch aufrütteln könne, berichtete ein Bremer Fachjournalismusstudent. Und eine gerade ausgebildete Volontärin war schon nach ihren ersten Jahren praktischer Erfahrung im Journalismus auf der Suche nach ihrem früheren Idealismus. Hier hielten Wallraff mit seinen eigenen Erfahrungen, Redelfs mit dem jüngsten Beispiel zum Genmais, Grill mit der Hoffung auf eine transparentere Arzneimittelpolitik und Lilienthal mit der Beobachtung einer gewissen Zurückhaltung bei den öffentlichen-rechtlichen Sendern dagegen. Das jüngste, bisher folgenlose Beispiel der ARD, die einen Vertrag mit dem Radprofi Jan Ullrich schloss, ließ den erfahrenen Medienrechercheur deshalb nur mit Kopfschütteln reagieren.
Journalistische Ethik, das hat sich auf dieser Youth Media Convention wieder gezeigt, ist für junge Menschen auf dem Weg in den Medienberuf keineswegs ein altbackenes oder verstaubtes Thema. Sie wünschen sich manchmal eher mehr Reaktion auf unethische Berichterstattung, kritisierten sie Protze als Vertreter des Presserats. Zu hören, dass die Bildzeitung, die ein Praktikant „voller unheimlichem Zynismus“ erlebte, keineswegs nur abgebrüht auf drohende Rügen reagiere, war ihnen nicht genug. Dass der Presserat keine größeren Sanktionsmöglichkeiten habe, fanden viele unbefriedigend.

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