Gewerkschaften machen die medienorientiertere Öffentlichkeitsarbeit, Arbeitgeberverbände kommen in der Berichterstattung aber besser weg. So ein interessantes Fazit der Studie zu Tarifkonflikten in den Medien, die jetzt von der Otto-Brenner Stiftung (OBS) vorgelegt wird. Es handelt sich um eine erste, breite empirische Analyse von Quellen und Mustern der Berichterstattung über Tarifkonflikte. Ergebnis: ein „facettenreiches Bild“.
Verfasst wurde die OBS-Studie von Christina Köhler und Pablo Jost, Medienwissenschaftler_innen an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Sie untersuchten mittels einer quantitativen Inhaltsanalyse, wie überregionale Tageszeitungen sowie die Nachrichtenagentur dpa über elf Tarifkonflikte zwischen Juni 2003 und August 2015 berichten. In die gewichtete Stichprobe gingen außer den insgesamt 1309 Medienartikeln auch 128 Pressemitteilungen von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden ein.
Da Journalist_innen vor allem über Tarifkonflikte berichten, von denen sie meinen, dass große Teile der Bevölkerung betroffenen sind, unterteilen die Forscher_innen die untersuchten Arbeitskämpfe in drei Gruppen: Die meisten sind die „mit unterstellter geringer Betroffenheit“. Dazu zählen die beiden Tarifkonflikte der Redakteure 2004 und 2011, der Gebäudereiniger 2009, der Versicherungsangestellten und Finanzberater 2011, der Bankangestellten 2012, der Telekom-Mitarbeiter 2011 und der Arbeitskampf in der Metallbranche 2015. Eine „mittlere Betroffenheit“ wird bei zwei Tarifkonflikten angenommen – beim Ärztestreik 2010 (Marburger Bund contra Vereinigung kommunaler Arbeitgeber) und beim Ausstand des Bodenpersonals bei Lufthansa 2013. Zu den „Konflikten mit unterstellter hoher Betroffenheit“ zählt die Tarifauseinandersetzung zwischen der Deutschen Bahn und der Lokführergewerkschaft GDL 2014-2015 sowie die zwischen der Lufthansa und der Pilotenvereinigung Cockpit, die 2014 begann und erst im Februar 2017 mit einer Schlichtung endete.
Gewerkschaftliche Öffentlichkeitsarbeit sehr medienspezifisch
Köhler und Jost analysierten zunächst die Quellen der Berichterstattung, um zu ermitteln, wie sich die Kommunikationsaktivitäten beider Tarifparteien in den Artikeln niederschlagen. Ergebnis: Die Öffentlichkeitsarbeit der Gewerkschaften ist medienorientierter, denn sie publizieren insgesamt 67 Prozent mehr Pressemitteilungen als die Arbeitgeberseite und bereiten sie zudem medienspezifischer auf – durch direkte Zitate, Personalisierung, Betonung der Konflikthaftigkeit, Emotionalisierung. So etwa in einer Pressemitteilung der GDL, die dem Bahnvorstand vorwirft, „die Fahrgäste und Güterkunden verantwortungslos im Regen stehen“ zu lassen (20.04.2015).
Unterschiede gibt es auch beim Timing der Presseinformationen. Während Gewerkschaften sich auf die Verhandlungsphase konzentrieren, sind die Arbeitgeber vor allem während der Streikzeiten kommunikativ aktiv, um die mediale Aufmerksamkeit nicht allein den Gewerkschaften zu überlassen. Die Medienberichterstattung fokussiert am stärksten auf die Konfliktphase: 59 Prozent aller Artikel erscheinen während der Streiks, 29 Prozent in den Verhandlungsphasen. Interessant ist, dass die Arbeitnehmer_innen in der Berichterstattung zwar präsenter sind, die inhaltlichen Deutungen des Tarifkonflikts aber mehr Parallelen zu den Pressemitteilungen der Arbeitgeberseite aufweisen – sei es bei den Konsequenzen des Konflikts oder der positiven Präsentation ihrer Angebote, die tendenziell besser bewertet werden als die Forderungen der Gewerkschaften.
Große Betroffenheit – mehr Rückenwind für Arbeitgeber
„Konflikt“ und „Betroffenheit“ erweisen sich in der Studie als zentrale journalistische Auswahlkriterien und Berichterstattungsmuster. So erscheinen 75 Prozent der untersuchten Medienberichte anlässlich der Lokführer- und Piloten-Tarifkonflikte mit „vermeintlich hoher Betroffenheit“, die 2014 auch unter den Top-10-TV-Nachrichtenthemen rangieren. Knapp zwei Drittel der Berichterstattung entfallen auf die Streik-Perioden. Tarifauseinandersetzungen mit vermeintlich „niedriger Betroffenheit“ machen dagegen nur zehn Prozent der Berichterstattung aus. „Mit dem Betroffenheitsgrad dreht sich das Bild und die Arbeitgeberverbände erfahren in der Berichterstattung über Tarifkonflikte mit hoher Betroffenheit eher Rückenwind“, resümieren die Forscher_innen.
Das zeigt sich zum Beispiel bei der Thematisierung von Konsequenzen der Tarifkonflikte. Die Folgen für die Beschäftigten, deren Arbeitsbedingungen eigentlicher Grund für die Auseinandersetzung sind, stehen nämlich nur dann im Fokus, wenn die Konsequenzen für andere kaum spürbar sind. Bei Tarifkonflikten mit unterstellter niedriger Betroffenheit (Metaller, Redakteur_innen, Telekom-Mitarbeitende etc.) werden sie in 56 Prozent der Berichte thematisiert. Wenn es um Konflikte mittlerer und hoher Betroffenheit geht, dominieren aber die Folgen für Unternehmen, die Umsatzeinbußen erleiden bzw. für Konsument_innen, die auf Zeitung, Flug oder Zugfahrt verzichten müssen. Ein ähnliches Muster zeigt sich bei der Frage, wer für die Konfliktlösung verantwortlich gemacht wird. Bei den Auseinandersetzungen mit niedriger oder mittlerer Betroffenheit ist es die Arbeitgeberseite. Bei denen mit hoher Betroffenheit wird die Verantwortung den Gewerkschaften GDL und Vereinigung Cockpit zugeschrieben. So gibt die Bild-Zeitung 2014 dem GDL-Chef Claus Weselsky Schuld am Lokführerstreik und titelt: “Der Größen-Bahnsinnige“.
Anliegen der Gewerkschaften tritt in den Hintergrund
In den heißen Phasen der Konflikte drehe sich die Diskussion mit einem negativen Tenor fast ausschließlich um die öffentlich spürbaren Folgen, resümieren Köhler und Jost. Sie äußern die Vermutung, „dass es in diesem Berichterstattungsklima schwierig für Gewerkschaften wird, öffentliche Unterstützung oder zumindest Verständnis für ihre Anliegen zu generieren. Vielmehr scheint eine Solidarisierung mit den Leidtragenden von Arbeitskampfmaßnahmen – Endverbraucher und Arbeitgeber – durch die mediale Diskussion begünstigt zu werden.“ FAZ-Schlagzeilen wie „Dauerstörfall Lufthansa“ lassen Streiks immer noch als Störung zentraler öffentlicher Lebensbereiche erscheinen, bedauert OBS-Geschäftsführer Jupp Legrand in seinem Vorwort.
Diese Konzentration auf Konflikt, Negativismus und Betroffenheit zeigt sich besonders in der Berichterstattung der untersuchten Boulevardmedien Bild und Berliner Kurier, aber tendenziell auch bei – vor allem konservativen – Qualitätszeitungen, stellen die Forscher_innen nach einem Vergleich verschiedener Presseorgane fest. dpa berichte am ausgewogensten und bewerte die Tarifparteien gleichermaßen (negativ). Obwohl die liberalen Medien (Süddeutsche, Frankfurter Rundschau, tageszeitung) eher aus der Perspektive der Arbeitnehmer_innen und die konservativen Zeitungen (Welt, FAZ, Handelsblatt) eher aus dem Arbeitgeber-Blickwinkel berichten, werden Gewerkschaften in beiden „deutlich negativer bewertet“, konstatieren Köhler und Jost. Sie erklären das mit der Dominanz der Tarifkonflikte hoher Betroffenheit in den untersuchten Artikeln, in denen die Lokführer und Piloten als egoistisch präsentiert werden. Die politische Tendenz einer Zeitung tritt demzufolge bei der Berichterstattung in den Hintergrund, wenn die Leserschaft sich durch Streiks in ihrem Alltagsleben gestört fühlt.
Trotz dieser Einzelbefunde heißt es im Fazit:„ Inhaltlich erweist sich die Berichterstattung über alle Medien und Konflikte hinweg als recht ausgewogen.“ Obwohl das negative Bild der Arbeitnehmer_innen-Seite mit den Streiks der Spartengewerkschaften GdL und Cockpit erklärt wird, die in der medialen Stichprobe dominieren, müssen auch Massengewerkschaften wie IG Metall und ver.di um öffentliche Akzeptanz kämpfen. Für die Wahl geeigneter Kommunikationsstrategien gibt die OBS-Studie viele Anregungen. Eine Lehre aus den vielen Einzelergebnissen könnte m. E. sein: Solange Medien Streiks als „Störfall“ präsentieren, sollten Gewerkschaften stärker herausstellen, dass die Interessen der Arbeitnehmer_innen auch die Interessen der Gesellschaftsmehrheit sind! Gerade in Konfliktphasen!