Digitalisierungskongress zu Chancen und Risiken von KI im ver.di-Haus
Wir wollen gestalten“, steckte der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske das Ziel des Digitalisierungskongresses ab, der am 21. und 22. Mai 2019 zum sechsten Mal im Berliner ver.di-Haus und zum zweiten Mal in Kooperation mit der Hans-Böckler-Stiftung stattfand. Unter dem Titel „Künstliche Intelligenz – Wer steuert wen?“ diskutierten diesmal unter anderem Bundesarbeitsminister Hubertus Heil sowie zahlreiche Expertinnen und Experten aus der „Enquete-Kommission Künstliche Intelligenz“ der Bundesregierung und der „High Level Expert Group Künstliche Intelligenz“ der EU.
Dabei sei die Frage, wer wen steuere, „keine banale Frage“, eröffnete Annette Mühlberg, Leiterin der Projektgruppe Digitalisierung bei ver.di, den Kongress. Zweifellos werde Künstliche Intelligenz (KI) die Welt verändern, offen sei aber noch, ob zum Besseren oder zum Schlechteren. So habe KI beispielsweise durchaus das Potenzial, humanere Arbeitsbedingungen zu schaffen, „aber wird sie auch im Interesse der Beschäftigen eingesetzt“? Bei der Technologie-Gestaltung gelte es daher, Chancen zu erkennen und Risiken zu vermeiden und den Menschen ins Zentrum zu stellen. Das könne nur durch demokratische Aushandlungsprozesse in der Gesellschaft und im Betrieb gelingen, durch die auch die „Nachvollziehbarkeit und Mitbestimmbarkeit von technologischen Neuerungen“ gewährleistet würden. Welche Rahmenbe-dingungen und Initiativen es dafür brauche, welche politischen und gewerkschaftlichen Gestaltungsvorhaben, das wolle man auf dem Forum des Digitalisierungskongresses erörtern, kündigte Mühlberg an.
Aufträge an Politik und Gewerkschaften
Die Gewerkschaften hätten dabei den Anspruch, nicht nur gute Arbeit, sondern auch gutes Leben zu ermöglichen, ergänzte Lothar Schröder, Mitglied des ver.di-Bundesvorstands und Sachverständiger in der „Enquete-Kommission Künstliche Intelligenz“, die ihre Ergebnisse voraussichtlich im Frühjahr 2020 vorlegen wird. Der zentrale Konflikt, dem man sich dabei stellen müsse, sei jedoch nicht derjenige zwischen Mensch und KI, sondern derjenige zwischen Mensch und Mensch: „Es geht um Interessen, es geht um Macht. Wir aber wollen nicht hinnehmen, dass wirtschaftliche und staatliche Macht uns den Algorithmen ausliefert.“
Klare Anforderungen an Politik und Gewerkschaften für den Umgang mit KI stellten zu Beginn des Digitalisierungskongresses Vertreter*innen unterschiedlicher Branchen. Von ver.di etwa wird nicht nur Unterstützung durch Lobbyarbeit bei der Politik erwartet, sondern auch ganz konkrete Unterstützung der Betriebsräte vor Ort, beispielsweise in Form von Leit-fäden und Checklisten, damit die Beschäftigten vom Einsatz Künstlicher Intelligenz in den Unternehmen profitieren können. Durch entsprechende Tarifverträge müsse zudem sichergestellt werden, dass Effi-zienzgewinne durch KI auch der Belegschaft dienten. Gestärkt werden könnten die Arbeitnehmervertreter*innen in den Betrieben darüber hinaus durch eine bessere Vernetzung untereinander, für die ver.di die Strukturen schaffen müsse.
Von der Politik forderten die Betriebsratsmitglieder dagegen unter anderem die Einigung auf ethische und moralische Grundsätze und deren Fixierung in Gesetzen sowie Möglichkeiten der Mitgestaltung durch die Arbeitnehmervertreter*innen. Außerdem solle es, so der Betriebsrat einer Online-Marketing-Agentur, verbesserte Schulungs- und Freistellungsmöglichkeiten für Betriebsratsmitglieder geben.
Wieder Utopien erdenken
Gestaltungsfelder für die Betriebsräte und die Gewerkschaften formulierten wiederum die beiden Sachverständigen Dr. Aljoscha Burchardt vom Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) und Lena-Sophie Müller von der Initiative D21. So müsse etwa dafür Sorge getragen werden, dass durch Effizienzsteigerungen freigesetzte Mittel den Beschäftigten zu Gute kämen. Im Vorfeld dazu sei zu definieren, welche entfremdenden oder monotonen Arbeiten man überhaupt an die Maschine delegieren möchte. Als Assistenzsystem könne KI zudem bei der Gestaltung guter Arbeit helfen, etwa in den Bereichen Work-Life-Balance, Weiterbildung oder auch Inklusion. Und warum sollte man nicht wieder Utopien erdenken, ermutigte Burchardt die Kongressteilnehmer*innen, beispielsweise zum Thema Sozialpartnerschaft? „Was bedeutet So-zialpartnerschaft in einer globalisierten, vernetzten, digitalisierten Berufswelt? Wer sind da die Gesprächspartner, die noch etwas miteinander aushandeln können?“
Die Sozialpartnerschaft und die Mitbestimmungssysteme neu denken, das trieb auch die Diskutierenden des Abschluss-Panels um. Sie versuchten, konkrete Projekte für den Umgang mit KI in der Arbeits- und Lebenswelt auszumachen. So beschwor der stellvertretende ver.di-Vorsitzende Frank Werneke einen „radikalen Kulturwechsel“ und forderte, dass bereits bei der Definition der Ziele künftiger Mitbestimmungsmechanismen partnerschaftlich vorgegangen werde. Aktuell gebe es sogar ganze Wirtschaftszweige, wo ein Verhandlungspartner für Tarifverträge fehlen würde. Als konkrete Maßnahmen nannte er in diesem Zusammenhang beispielsweise die Möglichkeit erleichterter Allgemeinverbindlichkeitserklärungen oder die Vergabe öffentlicher Aufträge allein an tarifgebundene Unternehmen. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil zeigte sich optimistisch, dass es mit Hilfe der Sozialpartnerschaft gelingen werde, den Wandel der sozialen Marktwirtschaft zu einer sozialen Datenökonomie zu gestalten. Dazu müssten die Rollen von Unternehmen, Staat und Gewerkschaften klar definiert sein. Der Staat könne dafür einen Rahmen schaffen, ohne jedoch die Tarifautonomie zu ersetzen.
Technologie in den Dienst des Menschen stellen
Dazu bedürfe es aber vor allem auch einer europäischen KI-Strategie, so Heil. Deren Leitbild müsse es sein, die Technologie in den Dienst des Menschen zu stellen. Voraussetzung dafür sei jedoch eine führende Rolle des Technologie-Standorts Europa. Denn nur „wenn wir ökonomisch mitspielen können, können wir uns auch mit unseren gesellschaftspolitischen Vorstellungen von Demokratie und sozialstaatlicher Marktwirtschaft behaupten“. Dass dazu eine europäische sowohl technische als auch ökonomische Infrastruktur geschaffen werden müsste, hob Werneke hervor. Für ihn habe dabei die Frage der Technologie-Eigentümerschaft einen besonderen Stellenwert, denn noch sei die technische Infrastruktur komplett in der Hand von US-amerikanischen oder chinesischen Konzernen.
Der ver.di-Vize warf auch die Frage nach dem Zugriff auf bisher vollkommen unregulierte Bereiche der Arbeitswelt auf und bezog sich dabei insbesondere auf die Plattformökonomie. Zustimmung erhielt er dafür vom Bundesarbeitsminister, der diese neuen hybriden Beschäftigungsformen, die sich unserem klassischen Arbeits- und Sozialrecht entziehen würden, als eines der wichtigsten Themen für die Agenda benannte. Auf der stünden außerdem die Einbeziehung der Selbstständigen in die Alterssicherung sowie die Sicherstellung von Qualifizierungsmöglichkeiten für Beschäftigte, um den sich im Zuge der Digitalisierung verändernden Anforderungsprofilen gerecht zu werden. Ein erster Schritt dazu sei mit dem im vergangenen Jahr verabschiedeten Qualifizierungschancengesetz bereits getan worden.