Wie Pressefreiheit im Lockdown leidet

Zur Berichterstattung von Protesten debattierten (v.l.n.r. und von oben): Jantine van Herwijnen, Monique Hofmann, Tamara Filipovic Stevanovic und Emmanuel Vire. Sccreenshot: www.ecpmf.eu

Am gefährlichsten für Journalist*innen in Deutschland sei es momentan, über Demonstrationen zu berichten. Das erläuterte dju-Bundesgeschäftsführerin Monique Hofmann bei der europaweiten Online-Konferenz „Locked Down: Protecting Europe’s Free Press“. Medienleute hätten es nicht nur mit tätlichen Angriffen aus einer aufgebrachten Menge zu tun, sondern auch mit Missachtung der Pressefreiheit und Behinderung durch die Polizei.

In der viertägigen virtuellen Veranstaltung der erst vor einem Jahr gegründeten „Media Freedom Rapid Response“, die noch bis zum 20. März dauert, dreht sich alles um die Pressefreiheit als Voraussetzung der Demokratie in den Ländern der EU und ihrer Beitrittskandidaten. Dabei ging es in elf Runden – Kurzbiographien der Referent*innen jeweils in der Ankündigung – um journalistisches Arbeiten unter Aspekten der Lockdowns, die als Pandemiebekämpfung, aber auch als Informationseinschränkung gedeutet werden können. Denn der Ausnahmezustand hat in verschiedenen Staaten zu einer die Presse (noch weiter) einschränkenden Gesetzgebung geführt, wie die UN-Sonderberichterstatterin für Meinungs- und Pressefreiheit, Irene Khan, in ihrer Eröffnungsrede am Beispiel Ungarns betonte. Solche Gesetze „machen Regierungen zum Schiedsrichter über die Wahrheit“, Covid-19 diene als Vorwand für repressive Maßnahmen.

Um ihrer Aufgabe der freien Berichterstattung ungefährdet nachgehen zu können, brauchen Reporter*innen mitunter den Schutz durch die Polizei. Wie sich deren Rolle aber in Behinderung und sogar Verfolgung verwandeln kann, schilderten am zweiten Konferenztag Journalist*innen in zwei Panels. Unter dem Titel „Protect or Persecute“ ging es um staatliche Verfolgung investigativer Journalisten in Bulgarien. Polizei, Gerichte bis hin zu Regierungsstellen versuchten, die Aufklärung über die weit verbreitete Korruption, die auch EU-Hilfen betreffe, zu verhindern. Schikanen der Polizei gegenüber Journalist*innen, die aus Flüchtlingscamps auf griechischen Inseln berichten wollen, waren ein weiteres Beispiel. Nicht nur Schikane, sondern Prügel, Haft und juristische Verfolgung erlebten Medienleute in Frankreich bei den Demonstrationen ab November 2020 gegen ein neues Gesetz, das Videos von Polizeieinsätzen verhindern soll. Davon sprach ein syrischer Fotograf, der nach Frankreich als dem „Land der Freiheit“ geflohen war, sowie in der Runde danach Emmanuel Vire von der Journalistengewerkschaft SNJ in der CGT.

Corona-Demos als europaweite Brennpunkte

Protests: A Media Freedom Flashpoint across Europe“ hieß diese Runde, moderiert von Jantine van Herwijnen von Free Press Unlimited in den Niederlanden. Hier berichteten auch Tamara Filipovic Stevanovic vom serbischen Unabhängigen Journalistenverband und Monique Hofmann, Bundesgeschäftsführerin der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union dju in ver.di über Demonstrationen in Serbien und Deutschland. Im Vergleich zu 2019 haben sich Angriffe auf Journalist*innen in Deutschland im Jahr 2020 auf zirka 250 bis 350 bekannt gewordene Attacken verdoppelt, erklärte Hofmann. Dies hänge vor allem mit den Protesten gegen die Pandemiemaßnahmen zusammen, an denen sich verschiedene Gruppen von Querdenkern bis hin zu Rechtsextremen beteiligten. Die Polizei reagiere dabei oft unverhältnismäßig, schütze angegriffene Reporter*innen nicht, sondern behindere sie und registriere ihre Daten für unbekannte Zwecke. Häufig fehle es bei den Polizist*innen an Kenntnissen über Rolle und Rechte der Presse.

Dies betonte auch Renate Schroeder von der Europäischen Journalistenföderation für Frankreich. Man habe deshalb bei den französischen Protesten den „Pressefreiheit und Polizei-Kodex“ verteilt. In Deutschland, so Hofmann, setze man zusätzlich auf Runde Tische mit Polizei und Justiz und sei mit den Ministerien etlicher Länder in Gesprächen über Trainings für die Einsatzkräfte und eine auf Angriffe spezialisierte Staatsanwaltschaft, wie sie für „Hate Speech“ bereits eingerichtet ist. Berichterstatter*innen bietet die dju Seminare an, in denen erfahrene Kolleg*innen und Jurist*innen Rat für brenzlige Situationen geben, auch zum Nachlesen.

In Serbien gebe es einen konstanten Austausch von Journalistenverbänden mit Polizei und Justiz, beschrieb Tamara Filipovic Stevanovich. Da jedoch der politische Wille fehle, die Pressefreiheit zu schützen, blieben diese Runden folgenlos. In Frankreich arbeiteten die großen TV-Teams bei Demos nur noch mit einem Kordon von Sicherheitsleuten, sagte Emmanuel Vire. Auf Klagen der Journalistengewerkschaften reagierten Behörden und Ministerien nicht. Presseausweise zählten für die Einsatzkräfte nicht, Kameras würden zu Waffen umdefiniert, Schutzausrüstung sei Journalist*innen verboten und Reporter*innen würden ohne Unterschied verfolgt wie gewalttätige Demonstrant*innen.

In Berlin ist zu Jahresbeginn ein neues Versammlungsgesetz in Kraft getreten, das auch das Recht zur freien Berichterstattung bei Demonstrationen formuliert. Wie gut sich dies in der Praxis auswirke, werde man genau beobachten, kündigte Monique Hofmann an.

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MFRR ist ein 2020 gegründetes Netzwerk, das vom Europäischen Zentrum für Presse- und Medienfreiheit (ECPMF) in Leipzig angeführt wird. Zu diesem Netzwerk gehört unter anderen die Europäische Journalisten-Föderation, in der auch die dju in ver.di Mitglied ist. MFRR wird finanziert von der Europäischen Kommission.

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