„… wie weit kann man denn gehen?“ – Arbeiten in den neuen Medien

Interview mit Thomas Deutzmann (Hamburg)

Serie Journalismus online

Du hast über mehrere Jahre in einigen kleinen Multimedia-Agenturen gearbeitet. Was hast Du genau gemacht?

Deutzmann: Ich habe gemäss meiner Ausbildung als „Pixelkneter“ angefangen, also Grafiker. Aber ich habe mich auch für Codierung, HTML, Programmierung und die Maschinen interessiert. In meiner Internetbude brauchten sie damals einen Menschen für den Server. Da wurde ich Webmaster, dann Systemadministrator und später IT-Consultant; also Berater für Kunden, wie Technik umzusetzen ist.

Das sind viele Berufe und eine schnelle Karriere …

Es ist kein geschützter Beruf dabei. Ich war eigentlich nur dafür zuständig, dass die websites das machten, was von ihnen erwartet wurde. Dafür musste ich möglichst immer präsent sein.

Klingt nach „Mädchen für alles“!?

Ja klar. Die eierlegende Wollmilchsau wird von jedem verlangt, der bei uns in der Branche tätig ist.

Ist es stressig, wenn man jeden Tag mit neuen Fragen konfrontiert wird?

Ja, das ist stressig. Andererseits ist es natürlich auch interessant. Man kann die Arbeit hochstilisieren zu einem Erfolgserlebnis. Dass man sich überall `reinfuchsen kann. Das man alles zum Laufen kriegt.

Wie groß waren Deine Firmen, die Du eben „Internetbuden“ genannt hast?

Die erste Firma bestand aus neun Leuten. Relativ flache Hierarchie. Der Chef war letztlich der Kollege am Monitor gegenüber. Die größte Firma hat heute fünfmal soviel Mitglieder und ist eben nicht mehr den neuen Agenturen zuzuordnen. Das ist dann schon ein Konzern.

Auf wieviele Betriebe hast Du es denn gebracht?

Ich habe in dem ersten Betrieb verhältnismässig lange gearbeitet, nämlich zwei Jahre. Da ist es mir dann schwer gefallen, zu kündigen. Allerdings wurde es dann so schlimm, dass ich es doch gemacht habe. In dem nächsten Betrieb habe ich die Probezeit ablaufen lassen und nicht verlängert. Dann habe ich auch als Selbstständiger neun Monate gearbeitet. An meiner jetzigen Arbeitsstelle bin ich seit Mitte Januar. Aber das ist keine Internetbude, sondern die IT-Zentrale eines traditionellen Konzerns.

Was war denn so schlimm, dass Du die „Internetbuden“ nicht mehr ertragen wolltest?

Die Strukturen. Im ersten Betrieb waren wir anfänglich mehr oder weniger alle Produzenten: Grafiker, Programmierer, Techniker. Die miteinander kommuniziert haben, weil sie es mussten. Als der Laden kontinuierlich wuchs, kamen immer mehr wirtschaftlich Studierte – BWLer, wie wir immer etwas abfällig sagten – und übernahmen Projektleiter-Funktionen. Aber nur von der Definition her, nicht wirklich. Eine künstliche Hierarchie wurde eingezogen, die aber nicht spürbar war beim „command and control“, nur bei der Arbeitsbelastung.

Denn je mehr Leute wir sind in dem Laden, desto mehr Kosten haben wir auch. Und das Wir-Denken war in den kleinen Klitschen verhältnismäßig ausgeprägt. Da wurde dann Druck aufgebaut, dass immer mehr produziert werden musste. Bei kontinuierlich fallenden Preisen für unsere Leistungen. Da gab es dann Spannungen, auch mit der Betriebsführung. Der alte Laden wurde dann wegfusioniert an eine Multimediafabrik. Das war für mich der finale Grund zu gehen. Weil ich nicht in dieser großen Fabrik arbeiten wollte.

Vieles von dem könnte man sich auch für einen traditionellen kleinen Medienbetrieb vorstellen. Wo siehst Du den spezifischen Unterschied bei den Neuen Medien?

Ich habe früher mal in einem kleinen traditionellen Druckereibetrieb gearbeitet, auch mit einem hohen Maß an Eigenverantwortung. Abe es gab auch einen Feierabend. Dann habe ich die Maschine ausgemacht und am nächsten Morgen weitergedruckt. Und es wurde betriebsintern organisiert, dass der Auftrag trotzdem fristgerecht abgefrühstückt wurde. In den neuen Medien wusste ich die deadlines teilweise gar nicht. Oder es war von vorne herein klar, dass sie nicht zu halten waren. Aber es war genauso klar, dass man daran sitzt und das man jetzt machen muss. Du bist in dem Widerstreit, dass Du Dir Befehle geben musst, obwohl der Angestellte in Deinem eigenen Kopf schon aus dem letzten Loch pfeift.

Oder der Chef im eigenen Kopf? Wo kommt der plötzlich her im Neue Medien-Betrieb?

Das hat vielleicht was mit diesem Branchen-Hype zu tun. In einer Branche, die vorgeblich und oberflächlich betrachtet fernab jeder Tradition ist. Das Idealbild ist ja, dass sich irgendwelche Codierer, Programmierer, Grafiker zusammentun – das berühmte Bild vom Garagenbetrieb – und die haben dann etwas zusammen angefangen. Das setzt sich bei jedem im Kopf fest. Das ist ein unterstelltes gemeinsames Interesse aller Beteiligten. Das Wachwerden, wer denn im Endeffekt profitiert und wer die Zeche zahlt – diese Erkenntnis wächst erst langsam, wenn man merkt, dass man irgendwann rausfällt, zum Problem für die Kollegen wird. Dann reflektiert man: Warum kann ich eigentlich nicht mehr mithalten, warum sind die anderen schneller, warum geht es hier so brutal zu?

Hast Du das konkret erlebt? Du oder der Kollege neben Dir konnte nicht mehr und wurde daraufhin fertig gemacht?

Am eigenen Fell habe ich es nicht erlebt. Aber es gab Auseinandersetzungen mit der Geschäftsführung, die nicht einsehen konnte, dass auch Tobsuchtsanfälle nichts nützen, wenn bestimmte technische Vorgänge einfach ihre Zeit brauchen. Durchaus erlebt habe ich es bei anderen Kollegen. Da wurde gefragt: Warum brauchst Du eigentlich so lange? Der Kollege Soundso braucht dafür x Zeit weniger. Dass dies auf Dauer Druck aufbaut, liegt auf der Hand.

Aber in den „alten“ Betrieben gibt es zunehmend auch solche Phänomene.

Man kann die Neuen Medien und die Debatten um sie als Versuchslabor betrachten, wo Unternehmer mal ausprobieren: Wie weit kann man denn gehen? Was kann man denn machen? Und in den Neuen Medien gibt es keine Traditionen. Wir haben einfach angefangen, zu arbeiten. Irgendwie. Ungeregelt. Die Lachnummer war die Handelskammer, die uns einen Meistertitel aufdrücken wollte. Das war so fernab, dass man sich damit gar nicht beschäftigt hat.

Verdient man denn wenigstens gut als begehrte Arbeitskraft in der boomenden Industrie der Neuen Medien?

Paulus Neef von Pixelpark oder Peter Kabel werden nicht am Hungertuch nagen. Projektleiter verdienen auch nicht schlecht. Dass Programmierer reich wären – nö. Der Traum, sich über Aktien einen vorzeitigen Ruhestand zu besorgen, ist geplatzt. Wir verdienen nur gut, wenn man es von der anderen Seite betrachtet: In welchem Beruf wird man denn ohne die sonst notwendigen Zeugnisse und Zertifikate von einem Betrieb gnädig aufgenommen, nur weil man sagt: OK, ich kann das, ich versuche es. Der Berufsanfänger verdient dann zwischen 3500 und 4000 Mark hier im Norden.

Wieviel wird dafür gearbeitet?

Man muss unterscheiden: Online-Buden, die verlagsnah angesiedelt sind an traditionelle Verlage, haben immerhin schon mal was gehört von Tarifverträgen. Da muss man Unternehmern auch nicht beibringen, dass es unter 24 Tagen Urlaub nicht geht, weil das Gesetz ist.

Aber woanders ist alles frei verhandelt im Endeffekt. Die Gehälter sind so hoch, wie ich es verhandelt habe und mich getraut habe, zu fordern. Selbstgänger wie Tariferhöhungen gibt es nicht.

Wie sehen die täglichen Arbeitszeiten aus?

Viele, die ich kenne, arbeiten mit Enthusiasmus. Sie sehen ihre Arbeitszeit nicht als Arbeitszeit, sondern als Teil von sich. Der Effekt ist, dass man nicht mehr trennt zwischen Arbeitszeit und privater Zeit. Das geht ineinander über. Viele, die in der Branche arbeiten, würden dasselbe auch als Hobby machen. Sie haben es geschafft, ihr Hobby zum Beruf zu machen. Für einige Leute ist das auch ein Traumzustand. Und zu Spitzenzeiten geht das bei einigen Kollegen dann locker hoch auf über 60 Stunden in der Woche.

Und wie hast Du Dich verhalten?

Ich habe mir irgendwann ein sehr altes Boot gekauft. Ich musste mindestens jede Woche einmal vorbei kommen, um das Boot leer zu schöpfen, damit es nicht absäuft. Klingt vielleicht ein bisschen albern – aber so konnte ich nicht jedes Wochenende in dieser Internet-Bude sitzen. Denn das sollte ich, um nicht bei Umstrukturierungen im Netzwerk und an den Servern den laufenden Betrieb zu stören.

Wie haben die Kolleginnen und Kollegen reagiert?

Da erntet man zuerst Lachen und Schulterklopfen. Und jeder entdeckt ähnliche Mechanismen an sich selbst. Aber wenn mal etwas Spitz auf Knopf erledigt werden musste, gab es schon mal Bemerkungen wie: „Na ja, wenn man am Wochenende lieber segeln geht …“.

Aber wenn sich ein Einzelner Grenzen setzt, funktioniert das individuell?

Das ist mit Sicherheit eine Frage des Bewusstwerdens. Meine Lehre ist gewesen, dass man sich ab und zu die Zeit nehmen sollte, in Ruhe zu überlegen, was mache ich hier eigentlich?

Wie denken die Beschäftigten über Gewerkschaften?

Positiver, als immer verbreitet wird. Sie haben auch diffuse Vorstellungen, wozu Gewerkschaften da sind. Das betrifft aber eher andere Arbeitszusammenhänge, nicht den eigenen. Gewerkschaft der Automobilarbeiter – streiken – durchsetzen – das ist richtig. Dass das auch in der eigenen Branche der Neuen Medien theoretisch möglich wäre, ist aber nicht vorstellbar. Da gibt es irgendwie ein missing link. Ich weiss nicht, warum. Aber es ist so. Aber Projekte wie „TIM“ versuchen ja, da anzusetzen und zu überlegen, wie kommen die Gewerkschaften in die Neuen Medien herein?

Tragen auch die Gewerkschaften dazu bei, dass „Internet-Buden“ bis heute fast gewerkschaftsfrei sind?

Die Frage ist, ob die Gewerkschaften von ihrer Struktur her in der Lage sind, die Buden zu betreuen. Es gibt Druckereibetriebe, wo der klassische Gewerkschaftsfürst mit einer Ansprache 1500 Kollegen auf einmal erreicht. In einer Bude ist das eher Mund-zu-Mund-Beatmung: Ein hauptamtlicher Kollege redet mit drei bis fünf Beschäftigten in einem nahezu privaten Umfeld. Das ist das Problem: Wie gehen die Gewerkschaften damit um, dass es soviele kleine Buden gibt?

Heute arbeitest Du in einem Betrieb der old economy. Welcher Unterschied fällt Dir als erster ein?

Das sind unterschiedliche Welten. In der new economy duzen sich Hinz und Kunz. Was auch alle diese Distanzverluste mit sich bringt. In der old economy ist es ein förmlicher, antiquierter Umgang miteinander. Mein Arbeitszusammenhang ist auch anders. Jetzt kann ich mir die Zeit nehmen, aus Projekten auch wirklich Projekte zu machen. Nicht wie damals, wo man eigentlich noch mitten in der Planung war, aber gleichzeitig schon mitten in der Umsetzung.


 

  • Mit Thomas Deutzmann sprach Achim Nuhr Thomas Deutzmann ist 33 Jahre alt und arbeitet heute als IT-Manager. Er ist aktiv im Vorstand der IG Medien Hamburg und Mitgründer des Arbeitskreises pixelundbits, der sich auch an die Mitarbeiter der „Internet-Buden“ richtet.

     

 

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