Wir alle bauen keine neue Bank

Glosse

Haben Sie heute schon erfolgreich fusioniert? Nein? Im Gegenteil, Sie haben grässlich laienhaft beim Fusionieren versagt? Dann schämen Sie sich, denn es lacht die ganze Welt über Sie! Ja, ja, auch über Sie oder über dich, liebe Kollegin, lieber Kollege. Denn auch du hast dich der unverzeihlichen Peinlichkeit schuldig gemacht, die Fusion der Deutschen und der Dresdner Bank in den Sand zu setzen; auch Sie, Mann auf der Straße, Frau in der Küche, sind kläglich vor aller Welt gescheitert.

Das glauben Sie nicht? Sie haben noch nie Banken fusioniert und haben das auch nicht vor? Das stimmt nicht, Sie geben es nur nicht zu. „Wir Deutschen können das eben nicht und sind so in ein Desaster geschlittert“, sagt nämlich streng der „Finanzexperte“ mit der Fliege im Fernsehen und guckt mich missbilligend aus dem Bildschirm an. „Aber“, sage ich kleinlaut zu ihm, obwohl ich ja weiß, dass er nicht auf mich hören wird, „ich will das doch gar nicht können und ich habe doch gar nicht…“

Da lächelt mich die Moderatorin verlegen an und spricht: „Die ganze Londoner Börse lacht über uns Deutsche.“ „Was?“ schreie ich empört, „was hat irgendein Börsendödel in London über mich zu lachen, womit habe ich das verdient?“ Ich habe es verdient, denn, so zitiert der Hörfunkredakteur aus Zeitungskommentaren, „wir haben eine ungeheure Blamage eingefahren, weil wir erst noch lernen müssen, was Franzosen und Engländer längst beherrschen.“

Ich will das aber, inflexibel und betonmäßig wie alle Deutschen auch sein sollen, gar nicht lernen, wie man zwei Banken so fusioniert, dass daraus die allergrößte Mega-Super-Weltbank wird! Aber ich habe keine Chance, denn, so tönt schon der nächste Kommentator hämisch aus dem Radio: „Wir haben es der internationalen Finanzwelt wieder einmal peinlich vorgeführt, wie dilettantisch bei uns solche Verhandlungen geführt werden.“

Nix da, ich habe nichts vorgeführt und nichts geführt, aber irgendwie fühle ich mich nun plötzlich doch schuldig. Wenn alle bedeutenden Medienfutzis uns und damit auch mir solche Vorhaltungen machen, muss ich mich tief innerlich natürlich fragen: Was habe ich nur falsch gemacht? Hätte ich Herrn Breuer zur Seite stehen müssen, hätte ich Herrn Walter liebevoll bestärken müssen, hätte ich Aktien kaufen, verkaufen, handeln müssen? Kurz über das Börsenparkett schlittern sollen, damit die beiden Herren nicht ins Desaster schlittern?

Was soll ich jetzt nur tun, wo mein persönlicher Dilettantismus uns alle in aller Welt der Lächerlichkeit preisgibt? Soll ich Engländerin werden und dort lernen, wie man Banken fusioniert, denn „die Engländer können das schon lange“? Alle, alle können das, nur wir nicht? Oder soll ich eine Anzeige aufgeben im Londoner Börsenblatt: „Ich lege Wert auf die Feststellung, dass ich, obwohl Deutsche qua Geburt und Wohnsitz, weder ein Bankendesaster herbeigeschlittert habe, noch lernen will, wie man eine solche Katastrophe vermeidet. Ich versichere öffentlich, dass ich mich niemals an Bankendesastern und Fusionsfiebern beteiligt habe oder beteiligen werde und verbitte mir dieserhalb ein für alle Mal, dass jemand bei Ihnen auf ihrem Parkett über mich lacht!“

Ich hatte mich daran gewöhnt, dass ich regelmäßig für die erstolperten Ergebnisse der Deutschen Fußballnationalmannschaft in Haftung genommen werde, wenn „wir“ schon wieder verloren haben. Na gut, das kann man akzeptieren, seit dem Gewinn der ersten Fußballweltmeisterschaft ist klar, dass wir alle irgendwie immer mitspielen und gemeinsam gewinnen und verlieren.

Dass ich aber neuerdings von Journalistenkollegen und -kolleginnen für gescheiterte Bankenfusionen verantwortlich gemacht werde, geht mir entschieden zu weit. Ich war neulich schon zutiefst erschüttert, als das lokale Boulevardblatt mir entgegenschrie: „Hamster für Werbung ermordet! Können wir das zulassen?“ Nein, dachte ich bei mir, da müssen wir alle zusammenstehen, der Deutsche und die Deutsche sind tierlieb, das kann man nicht zulassen, diese Hamstermorde. Wenn aber die Banken hamstern wollen, und dann zu blöde sind, ihre Beute anständig unter Dach und Fach oder wie das bei Hamstern heißt, zu bringen, dann will ich, verdammt noch mal, damit nichts zu haben.

Ich wäre nicht so dämlich, was zu verkünden, was ich noch gar nicht fusioniert habe! Aber das glaubt mir das Fernsehen nicht: „Wir sind immer schon Weltmeister im Ankündigen gewesen“, behauptet ein „Wirtschaftsexperte“. Woher weiß er das bloß von mir? Hat das was mit „Big Brother“ zu tun, dass die jetzt immer alles von mir wissen, auch, dass ich mich einen Dreck um die Sorgen von Herrn Breuer gekümmert habe? Und hat dann nicht auch der „Wirtschaftsexperte“ versagt, er und alle diese gewichtigen Expertenkollegen (nur nebenbei: Kolleginnen haben zu Bankendesastern nix zu sagen, die sitzen nur am Schalter, aber in Haftung genommen werden sie auch, genau wie harmlose freie Journalistinnen wie ich oder meine ahnungslose Mutter oder mein netter Metzger).

Wir alle haben tatenlos zugesehen und wussten nicht, dass „wir Deutschen auf den internationalen Finanzmärkten noch viel lernen müssen“. Ja, was hat er denn selber gelernt, der Herr Kommentator? Er ist doch auch „wir“ oder was? Ich glaube, das ist übrigens derselbe, der immer schon gesagt hat „wir Deutschen haben jahrelang über unsere Verhältnisse gelebt“ und dabei wohlgenährt und nett gekleidet ist und meine Verhältnisse überhaupt nicht kennt. Aber wer weiß das heute schon noch, wo wir Deutschen doch alle eine Familie sind?

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