Nicht der politische Film ist politisch, sondern der nicht-politische. Dies ist das Fazit von „Lost in Politics“, der Auftaktveranstaltung der Woche der Kritik, einer vom Verband der deutschen Filmkritik veranstalteten Film- und Diskussionsreihe, die parallel zur Berlinale läuft. Wie man politisches Kino machen kann, stand unter anderem zur Debatte.
Bereits in seiner Begrüßung wies Frédéric Jaeger vom Verband der deutschen Filmkritik (VDFK) die knapp 300 Anwesenden im vollbesetzten, ehemaligen Andachtsraum eines aufgegebenen Krematoriums in Berlin-Wedding darauf hin, dass man – wenn man davon spricht, dass Kino politischer werden solle – in Wirklichkeit meine, dass es thematischer sein müsse. Das eröffne natürlich Spielräume. Die griechische Regisseurin, Schauspielerin und Produzentin Athina Rachel Tsangari erzählte, dass ihr 2015 entstandener Film „Chevalier“ – eine vom Sujet her über jeden politischen Verdacht erhabene Buddy-Komödie, in der sich sechs Männer auf einer Yacht einen absurden Besten-Wettbewerb liefern – als hochpolitisch angesehen wurde: „Schon allein die Tatsache, dass eine Frau Regie bei einem Film mit sechs Männern führt, wurde in Griechenland als politisch betrachtet“, berichtet sie. „Anderseits ist in einem Land, das gerade auseinanderfällt, alles politisch. In dem Film hat man auch eine Allegorie auf die Situation des Konsumenten in Griechenland gesehen.“
Filme mit Botschaften chancenlos?
Tsangari machte in der Einschätzung dieser Reaktionen auf ihren Film wahrscheinlich das radikalste Statement des Abends, ohne dass sich das Publikum tatsächlich über seine Tragweite klar wurde: „Es ist die falsche Frage, nach dem Politischen im Film zu fragen – es geht doch darum, dass man einen Film gerne sehen möchte.“ Aber wenn es nur darum geht, einen Film aus welchen Gründen auch immer „gerne“ sehen zu wollen, sind Filme mit Botschaften, also Filme, die man gemeinhin als politisch bezeichnet, ohnehin chancenlos, da sich keiner gerne belehren lässt. Und Kritiker, die diese Filme loben, bringen niemanden ins Kino, der solche Filme ‚sehen sollte‘.
So schwang, unausgesprochen, permanent die Frage mit: Was kann ein politischer Film eigentlich verändern? Die Antwort darauf wurde tatsächlich gegeben, und sie lautet: Nichts! Etwas komplexer formulierte es Alexander García Düttmann, Philosoph und Professor für Kunstwissenschaft und Ästhetik an der Berliner Universität der Künste: „Das politische Kino ist nicht an Themen interessiert. Es geht ihm um Erkennbarkeit. Und das ist sein Manko, denn am Ende gibt es keine Disruption.“ Ergo: der Zuschauer will sich nur bestätigt sehen, aber nichts lernen, seine Position nicht verändern, sich nichts überstülpen lassen. „Wenn ich aber etwas Unerträgliches, nicht Tolerierbares, Schreckliches sehe, also konfrontiert werde, dann wird es politisch“, so Düttmann. Eine Aussage, die so ähnlich – „Das Politische findet sich auch in Filmen, die nach außen hin nicht politisch sind.“ – schon Jaeger in seiner Begrüßung traf und zu der das Podium variiert immer wieder zurückfand. Bei Athina Rachel Tsangari hieß es: „Das Politische transzendiert durch die Geschichte, durch die Handlung. So sollte es sein!“
Was Film mit dem Zuschauer macht
Für Carlos Gerstenhauer, Redaktionsleiter „Kino und Debüt“ beim Bayerischen Rundfunk, ist es sehr viel wichtiger, welche Wirkung ein Film letztendlich hat. „Deshalb sollte man als Kritiker über das Resultat schreiben, über das, was der Film mit dem Zuschauer macht“, fordert er. „Denn wir dürfen auch nicht vergessen, das Film Kunst für die Massen ist und damit eine ganz andere Funktion hat als Bücher oder Bildungsfernsehen.“ Was aber ein Film mit einem macht, ist subjektiv; über das Resultat zu schreiben biete daher Anlass für viele Missverständnisse. Wird hier doch die Kampflinie zwischen Filmemachern und Kritikern sichtbar, die zwischen Intention und Wahrnehmung liegt: Der Kritiker schreibt über das, was er sieht, der Filmemacher ist unzufrieden, weil sich darin nicht spiegelt, was er eigentlich erzählen wollte.
Noch eine weitere Erkenntnis brachte das Podium: Das Label ‚politisch‘ nutzt dem absichtlich oder unabsichtlich politischen Film nichts – es schadet eher, da es als Marke ge- oder doch besser miss-braucht wird „und so seinen Sinn verliert“, wie Azize Tan sagt, die von 2006 bis 2015 das Istanbul Film Festival leitete. „In der Kosslick-Ära hat die Berlinale das Label politisch bekommen, doch den politischsten Film der letzten Jahre – „American Honey“ – habe ich in Cannes gesehen“, so Carlos Gerstenhauer, der mit dieser Anmerkung darauf aufmerksam machen wollte, dass Marken nicht immer halten, was sie versprechen.
Die 3. Woche der Kritik läuft vom 8. bis 18. Februar 2017 im Hackesche Höfe Kino in Berlin. Ihre Vorstellungen und Diskussionsrunden im Anschluss sind ausdrücklich für das interessierte Publikum zugänglich. Mehr hier.