Zensur und kein Ende (47)

Internet im Zangengriff

Während lauthals Einschränkungen der Medienfreiheit in zahlreichen Diktaturen beklagt werden, schälen sich subtilere Formen der Bedrohung eines demokratischen Internet erst langsam aus dem Dunkel. Ob in China Autoren kritischer Web-Seiten von der Internet-Polizei aus dem Verkehr gezogen werden, Saudi-Arabien mit einem Zentralrechner auch die privatesten Äußerungen kontrolliert und reglementiert oder die wenigen laotischen Nutzer dieses Mediums mit Strafen bis zur Verbannung spielen (müssen): vergleichbare Einschränkungen gibt es in den ,entwickelten‘ Ländern nicht. Selbst wenn man sich hierzulande nämlich darauf einigt, Neo-Nazi-Seiten zu schließen (die dann prompt woanders wieder auftauchen), ist ein solches Verbot weder in England, noch in den USA durchsetzbar.

In umgekehrter Richtung sieht das freilich anders aus. Da ein Großteil der Internet-Strukturen – ein Beispiel dafür ist die weltweite Rolle von Microsoft – von US-Konzernen beherrscht werden, lassen zuweilen amerikanische Gerichte Web-Seiten auch im Ausland sperren und setzen damit nationales Recht außer Kraft. Gleichwohl bleibt diese Art von immerhin gerichtlich legitimierter Zensur vergleichsweise ungefährlich angesichts der immer noch wachsenden ökonomischen Macht multinationaler Konzerne. Wer deren Interessen stört, dem kann es ergehen wie dem Musiktauschdienst Napster. Statt nämlich das Urheberrecht der Musikautoren (das Sony gern weiterverwerten möchte) nur mit juristischen Mitteln zu sichern, greift man da auch nach anderen Methoden. In der „Süddeutschen Zeitung“ vom 5. Dezember zitierte Stefan Schmitt den SONY-Vizepräsidenten: „Wir werden Napster an der Quelle mit Firewalls bekämpfen – wir werden es bei ihrem Kabelbetreiber blockieren – wir werden es bei ihrer Telefongesellschaft blockieren – wir werden es bei ihrem Internet-Provider blockieren – wir werden es mit Firewalls an Ihrem PC bekämpfen“. Zensur als Macht über die Märkte – und nicht zuletzt über deren Publikum.

Werbungs-Freiheiten

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts war nicht ohne Pikanterie. Am 12. Dezember verwarf sein Erster Senat zwei Urteile des Bundesgerichtshofs, der 1995 dem italienischen Bekleidungsunternehmen Benetton dessen Schockwerbung verboten hatte. Dabei ging es um drei ganzseitige Anzeigen im „Stern“ aus den Jahren 1993 und 1994: eine ölverschmutzte, auf Ölteppichen schwimmende Ente, das Foto schwer arbeitender Kinder in der 3.Welt und die Abbildung eines menschlichen Gesäßes, auf das die Worte ,H.I.V. Positive‘ aufgestempelt waren. Die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs hatte Benetton aufgefordert, solche Veröffentlichungen zu unterlassen; dem war das Landgericht und schließlich der Bundesgerichtshof mit der Begründung gefolgt: „Wer im geschäftlichen Verkehr mit der Darstellung schweren Leids von Menschen oder Tieren Gefühle des Mitleids ohne sachliche Veranlassung zu Wettbewerbszwecken ausnutze, verlasse…die guten Sitten im Wettbewerb.“

Dagegen entschied das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) nun, das Verbot der Anzeigen „schränkt die Beschwerdeführerin (Stern) in ihrer Pressefreiheit ein“ und begründet das: „Alle drei streitigen Werbefotos…veranschaulichen allgemeine Missstände und enthalten damit zugleich ein (Un)Werturteil zu gesellschaftlich und politisch relevanten Fragen… Meinungsäußerungen, die dies (das Elend der Welt anzuprangern) bezwecken und damit die Aufmerksamkeit des Bürgers auf allgemeine Missstände lenken, genießen den Schutz des Art. 5 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes in besonderem Maße.“

Kadavergehorsam von Staatsanwälten

Es geschah am 21. Juli vergangenen Jahres in der fränkischen Kleinstadt Weissenburg (südlich von Nürnberg). Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) wollte das neu hergerichtete ,Fränkische Seenland‘ einweihen – Gelegenheit für eine kleine Demonstration der Ökologisch-Demokratischen Partei (ÖDP). Ihr Kreisvorsitzender Reinhard Ebert hatte sie brav angemeldet, sie war genehmigt worden und so entrollte er mit ein paar Freunden ein Transparent, auf dem zu lesen war: „Die ÖDP grüßt den Möchtegern-Bayern-Kini Edi S. – den Freund der Ölscheichs, Genmultis und Atombarone“.

Freilich: noch bevor Stoiber kam, beschlagnahmte Kriminalpolizei den unbotmäßigen Gruß, weil – so die Ansbacher Staatsanwaltschaft – der Ober-Bayer sich ja hätte beleidigt fühlen können. Allein der vorbeugende Kadavergehorsam zahlte sich nicht aus, denn der angeblich Beleidigte klagte schon deshalb nicht, weil er die Beleidigung gar nicht kannte. Und so stellte das Amtsgericht vor den kleinlaut gewordenen Staatsanwälten das Verfahren ein. Doch die – sozusagen päpstlicher als der Papst – leiteten nun ein eigenes Ermittlungsverfahren wegen Beleidigung ein. Das Amtsgericht gibt sich vorerst sprachlos.

Urteil

In einer Berufungsverhandlung hob das Berliner Landgericht im Januar das Urteil der Vorinstanz gegen den Balladensänger Wiglaf Droste (2100 DM Geldstrafe) zwar nicht auf, setzte es aber zur Bewährung aus (Zensur und kein Ende 46). Die Bezeichnungen „Kettenhunde“ und „Waschbrettköpfe“ für Feldjäger seien durch die Meinungsfreiheit gedeckt, befand das Gericht.

Zensurgegner

Der Weltverlegerverband (WAN) will gegen die Unterdrückung und Verletzungen der Pressefreiheit vorgehen und Angriffe auf Herausgeber und Journalisten mit einem internationalen Netzwerk erfassen, erklärte BDZV-Präsident Helmut Heinen im November.

 

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