Zuhören gegen Medienverachtung

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„Zuhören“ ist für Jens Lönneker von der Kölner Marktforschungsagentur „Rheingold“ das Rezept, um das Vertrauen der Menschen mit Aversionen gegen Medien zurückzugewinnen. „Mit welchen personellen Ressourcen“, war die Frage von Redaktionsverantwortlichen im Webinar  zu seiner Studie „Medien zwischen Achtung und Ächtung – Eine Untersuchung zur Kluft zwischen Medienakzeptanz und Medienaversion in Ost- und Westdeutschland“.

Lönneker hatte mit seinem Ost-West-Team bei seiner Studie, die er im Auftrag der Stiftervereinigung der Presse mit Unterstützung des BDZV und der Stiftung Pressehaus NRZ (Essen) unternommen hat, nicht nur je 1000 Fragebogen an Menschen in Ost- und Westdeutschland ausgewertet, sondern auch 40 Tiefeninterviews mit (potenziellen) Mediennutzer*innen und 20 Journalist*innen, die jeweils gut zwei Stunden dauerten. Dabei habe sich nach und nach herausgeschält, was eigentlich hinter dem Frust über die Medien lag, nämlich oft persönlich Erfahrungen von Misslungenem, nicht Funktionierendem, das dann politisch verbrämt auf das System, die Politik und die Medien umgelegt werde.

Quelle: rheingold/Stiftervereinigung der Presse/BDZV

Mit Zwei-Stunden-Terminen für ein Interview können Lokalredaktion im Alltag kaum oder gar nicht mithalten, so die Diskussion. Aber Lönneker meinte, man könne zumindest versuchen, Menschen, die man eigentlich schon in Schubladen wie „Coronaleugner“, „Verschwörungstheoretiker“ oder ähnliches gedanklich einsortiert habe, etwas vorurteilsfreier zu begegnen: „Allein, sich vorzunehmen, zuzuhören, ohne direkt einzuordnen, kann schon helfen“, meinte der Psychologe vom „Rheingold-Institut“ zum Abschluss des Webinars.

Für Lönneker ist die Studie, die er bereits im September bei der vom BDZV organisierten „Konferenz der Chefredakteure“ vorgestellt hatte, „die wichtigste, die ich bisher gemacht habe, weil sie essenziell an den Grundlagen des Zusammenlebens in der Demokratie rüttelt“.

Feindselige Stimmung gegenüber Medienschaffenden

Seit Mitte der 2010er Jahre, so hätten ihm viele Journalist*innen berichtet, habe sich die Stimmung gegenüber diesem Beruf verändert und sei feindseliger geworden. Inzwischen, so zitiert er eine befragte Journalistin, überlege sie genau, ob sie Fremden gegenüber ihren Beruf nenne. Diesen Anfeindungen wollten die Auftraggeber in der Studie nachgehen lassen. „Rheingold“ plädierte dafür, die Studie nicht auf den Osten zu begrenzen, denn solche Stimmungen zeigten sich inzwischen auch im Westen Deutschlands.

Als Ergebnis berichtete Lönneker, dass bei insgesamt 75 Prozent der Befragten das Vertrauen in die Medien groß bis eher groß ist.  64 Prozent äußerten sich froh darüber, dass es Zeitungen gebe, 41 Prozent sehen Medien als Instanz, der man vertrauen könne, und 42 Prozent finden, die Medien leisteten gute Arbeit. Die Studie versucht nicht, dieses Vertrauen in verschiedene Mediengattungen aufzuschlüsseln, da dies auch die Befragten nicht machten.

Bei den 25 Prozent Medienkritiker*innen, oder, wie Lönneker sie auch nennt, Leuten mit „Medienaversion“, finden es noch 33 Prozent der „Aversen“ gut, dass es Zeitungen gibt. Aber Vertrauen und gute Arbeit nennen nur noch jeweils neun Prozent. Bei den „Medienaversen“ geben 32 Prozent an, die AfD zu wählen, 28 Prozent „eine andere Partei“, die sie nicht näher beschreiben wollen. Bei den prinzipiell Medienfreundlichen sind es nur neun Prozent AfD-Wähler.

Resümee von Lönneker: „Ein Viertel der Leute hat den Glauben an System, Politik und Medien verloren.“

Hauptthemen der Kritiker*innen, mit denen sie sich beschäftigen, sind oder waren Corona, Klima, Einwanderung und Geflüchtete, Ukraine und Russland, Inflation, Bildung und EU. Hervorgehoben wird dabei eine Konzentration auf das Nationale. Klimapolitik wollten nur die „Globalisten“, zum Schaden von Deutschland, und in die Kriege anderswo solle man sich nicht einmischen, so die Narrative. Die „Medienaversen“ hätten das Gefühl, kein Gehör zu finden, es sei denn, sie bedienten „Triggerpunkte“, also Aufregerthemen, weshalb Lönneker die Lektüre von Steffen Mau, Thomas Lux und Linus Westheuser, „Triggerpunkte“ empfahl.

Die Ablehnung Medien gegenüber hat Lönneker in drei Gruppen geordnet: Den Medien-Rückzug derjenigen, denen die vielen, vor allem schlechten, Nachrichten einfach zu viel sind, und die mehr Positives wollen. Dabei handele es sich zu zwei Dritteln um Frauen. Die Medien-Aggression von Menschen, die auf Verlustängsten und enttäuschten Lebensträumen beruhe und die den Medien vorwerfen, ihre Aufmerksamkeit nur auf andere Länder und nicht das eigene Volk zu richten. Und drittens das Medien-Bashing von Menschen, die sich im Widerstand wähnen und „alternative Medien“ rezipieren, durch deren Einfluss sie Besserung von einer Situation erhoffen, in der „Deutschland vor die Wand gefahren werde“. Was die etablierten Medien nicht wirklich berichten würden.

Strategien gegen Medienaversion

Was tun, war die Frage am Ende des Webinars: Neben Zuhören, was als Akzeptanz der Person und Zuwendung und somit wertschätzend aufgefasst werde, empfahl Lönneker den Medienleuten, mehr Zukunftsperspektiven aufzuzeigen, also „konstruktiven“ Journalismus.

Und er gab die Parole aus „Nahbereiche erobern, Regionalität ist Trumpf“, denn das Misstrauen richte sich eher gegen überregionale Medien.

Lokalmedien hätten durch Social Media und direkten Kontakt eher die Möglichkeit, neue Beziehungen aufzubauen.

Dass sich die Wünsche der drei Gruppen der „Medienaversen“ auch untereinander widersprechen, nämlich mehr Konstruktives zu bieten und gleichzeitig mehr vom „Untergang Deutschlands“ zu berichten, ließ sich in der Diskussion nicht auflösen. Auch nicht die Frage, wie Lokalreporter*innen es im Alltagsgeschäft der selten großzügig besetzten Redaktionen schaffen sollen, stundenlang ihren Widersacher*innen und möglichen Wiederleser*innen zuzuhören. Es sei denn, sie hätten mehr Kolleg*innen, um solche Aufgaben in die Redaktionsarbeit aufzunehmen. Das wäre dann die direkte Frage an die Zeitungsverleger*innen, die sich aus der Studie ergibt.

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