Zum Kuckucksei mutiert

Urteil des Bundesverfassungsgerichts – eine Niederlage für das Zeugnisverweigerungsrecht von Journalisten

Als „Weihnachtsgeschenk für Journalisten“ hat der Bundestagsabgeordnete der Grünen, Hans Christian Ströbele, noch im Dezember 2001 die geplante Erweiterung des Zeugnisverweigerungsrechts für die Medien bezeichnet. Dieses „Geschenk“ ist nun kurz vor Ostern dieses Jahres zu einem veritablen Kuckucksei mutiert. Ins Nest der Journalistinnen und Journalisten gelegt hat es das Bundesverfassungsgericht.

Allerdings sah auch Ströbele schon damals einen „Wermutstropfen“, der in den im Vermittlungsauschuss von Bundestag und Bundesrat erzielten Kompromiss eingeflossen sei. Ursprünglich hätten die Journalisten nach dem Willen von Rot-Grün ein weitreichendes Zeugnisverweigerungsrecht erhalten sollen, etwa so wie Rechtsanwälte oder Bundestagsabgeordnete. Dies aber wurde im Vermittlungsausschuss aufgeweicht.

Bislang stand den Journalisten zum Zweck des Informationsschutzes ein Zeugnisverweigerungsrecht nur bei Materialien zu, die sie von Dritten erhalten haben. Dieses Recht ist auf selbstrecherchiertes Material ausgedehnt worden. Die Ausnahme hiervon: Wenn die entsprechenden Aussagen zur Aufklärung von Straftaten beitragen können, die eine Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr vorsehen. Dann wiederum gilt dieser Informantenschutz nicht.

Der erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat nun mit Urteil vom 12. März 2003 (Aktenzeichen: 1 BvR 330/96 und 1 BvR 348/99) Verfassungsbeschwerden gegen gerichtliche Entscheidungen zurückgewiesen, mit denen die Erteilung von Auskünften über die Verbindungsdaten der Telefongespräche von Journalisten angeordnet worden waren. Von den betroffenen Journalisten wurde angenommen, dass sie mit mutmaßlichen Straftätern in Kontakt standen. Beschwerdeführer waren das ZDF und zwei seiner journalistischen Mitarbeiter sowie eine für das Magazin „Stern“ tätige Journalistin.

Die Sachverhalte: Für die ZDF-Sendung „Frontal“ recherchierten zwei Journalisten im Fall des Dr. Jürgen Schneider, der wegen Kreditbetruges in Milliardenhöhe und anderer Wirtschaftsstraftaten weltweit gesucht und später in den USA festgenommen wurde. Die Journalisten waren in den Besitz einer Tonbandkassette gelangt, auf der sich Dr. Schneider zu den gegen ihn geführten Ermittlungsverfahren äußerte. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft ordnete das Amtsgericht unter Berufung auf § 12 Fernmeldeanlagengesetz an, dass die Telekom Auskunft über die Verbindungsdaten für einen Mobilfunktelefonanschluss des ZDF zu erteilen habe, um Aufschlüsse über den Aufenthaltsort des zu diesem Zeitpunkt noch flüchtigen Beschuldigten gewinnen zu können.

Auskunft überVerbindungsdaten

Im zweiten Fall hatte eine „Stern“-Journalistin wiederholt über Hans-Joachim Klein berichtet. Dieser war als Mittäter an einem terroristischen Anschlag der RAF auf die OPEC-Konferenz im Jahre 1975 verdächtig. Nach ihm wurde wegen dreifachen Mordes gefahndet. Die Staatsanwaltschaft erhielt einen Hinweis, dass die Journalistin erneut im Fall Klein recherchiere und zu diesem in Kontakt stehen könne. Das Amtsgericht ordnete unter Bezugnahme auf § 12 Fernmeldeanlagengesetz die Auskunft über ihre Verbindungsdaten an, und zwar für abgehende wie für eingehende Gespräche. Klein wurde später auch aufgrund der so gewonnenen Daten lokalisiert und gefasst.

Das Bundesverfassungsgericht stellt in seiner Entscheidung zunächst fest, dass es sich in beiden Fällen um schwerwiegende Eingriffe in das Fernmeldegeheimnis gehandelt hat und dass diese nur dann verhältnismäßig (und damit zulässig) sind, wenn die Gegenbelange entsprechend gewichtig sind. Dabei hebt das Gericht naheliegenderweise bei dem Gewicht, das dem Strafverfolgungsinteresse zuzumessen ist, auf die Schwere und die Bedeutung der aufzuklärenden Straftat ab. Es müsse eine Straftat von erheblicher Bedeutung vorliegen und zudem ein konkreter Tatverdacht und eine hinreichend sichere Tatsachenbasis für die Annahme gegeben sein, dass der durch die Anordnung Betroffene (also der abgehörte Journalist) mit dem Beschuldigten über Telekommunikationsanlagen in Verbindung steht, also als Nachrichtenmittler tätig wird.

Sodann kommt das Gericht zur entscheidenden Abwägung, da es den bestehenden Eingriff in die Presse- und Rundfunkfreiheit gegen das Strafverfolgungsinteresse des Staates in Beziehung setzen muss. Dabei wird vor allem wie folgt argumentiert: Der verfassungsrechtliche Schutz der Informationsbeschaffung durch die Medien finde seinen tieferen Grund in deren Beitrag für die Information der Bürger und für die darauf aufbauende individuelle und öffentliche Meinungsbildung. Aber auch die Tätigkeit der Strafverfolgungsbehörden liege im öffentlichen Interesse. Dass das Strafverfolgungsinteresse grundsätzlich hinter dem Rechercheninteresse der Medien zurückzutreten habe – dafür sieht das Gericht keinerlei verfassungsrechtliche Begründung. Umgekehrt lasse sich auch nicht in abstrakter Weise feststellen, dass das Strafverfolgungsinteresse generell dem Interesse der Medien vorgehe. Vielmehr, so das Gericht, ist es angesichts der Vielgestaltigkeit der durch die Medien beeinflussten öffentlichen Kommunikation und der darauf bezogenen Aktivitäten Sache des Gesetzgebers, über die Anlässe und Reichweite einer Freistellung von Journalisten von strafprozessualen Maßnahmen zu entscheiden.

Recherche – häufig wesentlich erschwert

Presse- und Rundfunkfreiheit dürften dabei nicht nur vom Blickpunkt der Medien aus gesehen und nicht als umfassende Privilegierung für jegliche der Nachrichtensammlung und Nachrichtenverbreitung dienende Handlung verstanden werden. Es bedürfe der Abwägung durch den Gesetzgeber, ob und inwieweit die Erfüllung der publizistischen Aufgaben einen Vorrang der Medienfreiheit gegenüber dem Interesse an einer rechtsstaatlich geordneten Rechtspflege rechtfertigt und wie weit die Presse- und Rundfunkfreiheit ihrerseits an diesem Interesse ihre Grenzen findet.

Auch wenn im Einzelfall künftig abzuwägen und richterlich überprüft werden muss, wie weit das Strafverfolgungsinteresse gegenüber dem Interesse der Medien an der Geheimhaltung ihrer Recherchen zurücktreten muss, so bleibt dennoch festzuhalten: Diese Entscheidung stellt letztendlich eine Niederlage für das Zeugnisverweigerungsrecht der Journalisten dar. Zwar hängt die zulässige Überwachung von Telefongesprächen von Journalisten von drei gravierenden Faktoren ab: Erstens von der Schwere und Bedeutung der aufzuklärenden Straftat, zweitens von einem konkreten Tatverdacht gegen die konkrete Person, deren Aufenthaltsort ermittelt werden soll, und drittens von einer hinreichend sicheren Tatsachenbasis für die Annahme, dass der zu überwachende Journalist mit dem mutmaßlichen Straftäter überhaupt in Verbindung steht. Trotzdem: Auch wenn damit die Meßlatte für die richterliche Erlaubnis einer Überwachung recht hoch gelegt ist und Richter künftig jeden Einzelfall sorgfältig abwägen müssen – sicher ist: gerade in brisanten Fällen, die in der Öffentlichkeit großes Interesse wecken (was in der Regel ja gerade bei schweren Straftaten der Fall sein dürfte) wird die Recherche und die Informationsbeschaffung für Journalisten wesentlich erschwert, da kein gesuchter mutmaßlicher Straftäter mehr mit einem Journalisten telefonieren wird, läuft er doch Gefahr, gerade durch dieses Telefonat sich zu verraten. Wenn Informanten damit rechnen müssen, dass ihre Telefongespräche mit Journalisten aufgezeichnet, ihre Nummer registriert und ihre Bewegungen verfolgt werden, dann wird Recherche in diesen Fällen erschwert, zum Teil unmöglich gemacht. Vertrauensschutz zu Informanten aber ist integraler und unverzichtbarer Bestandteil journalistischer Arbeit.

Zweifel in der praktischen Umsetzung

Entsprechend kritisch sind die Reaktionen auf dieses Urteil ausgefallen. „Stern“-Chefredakteur Osterkorn erklärte: „Wenn sich Informanten in Zukunft nicht mehr hundertprozentig sicher sein können, dass Telefonate mit Journalisten nicht kontrolliert werden, können Journalisten ihrer Kontrollfunktion nicht mehr im nötigen Umfang gerecht werden.“ Das ZDF, das ebenfalls das Bundesverfassungsgericht in dieser Sache angerufen hatte, wertete das Karlsruher Urteil trotz der Zurückverweisung seiner Verfassungsbeschwerde dahingehend, dass der erste Senat „erstmals und ausführlich“ die engen Voraussetzungen für die Telefondatenüberwachung im Rahmen der Strafverfolgung beschrieben hätte. Insofern wurde vom ZDF das Urteil als „ein wichtiger Beitrag für den Schutz von Journalisten gegenüber staatlicher Ausspähung und Ausforschung“ gewertet. ZDF-Indendant Schächter bezweifelt aber gleichzeitig, dass die strengen Anforderungen des Gerichts in der Praxis künftig überall beachtet werden. Er apellierte deshalb an den Gesetzgeber zu prüfen, ob künftig Journalisten von der Telefondatenüberwachung im Wege einer gesetzlichen Nachbesserung nicht ebenso ausgenommen werden sollten wie es heute schon Strafverteidiger und Parlamentabgeordnete sind – eine Forderung, die ver.di schon immer vertreten hat.

Durch die Hintertür wieder ausgehebelt

Auch der deutsche Presserat betonte, dass der Gesetzgeber nunmehr den Schutz von Journalisten vor Aktionen der Telefonüberwachung dringend verbessern müsse. Presseratsprecher Kay Sattelmair wies darauf hin, dass man seit Jahren für einen umfassenden Informanten- und Quellenschutz eintrete.

Für ver.di betonte die dju-Bundesgeschäftsführerin Ulrike Maercks-Franzen, dass es schon bei der Neufassung des § 100 der Strafprozessordnung die Befürchtung gegeben habe, dass die an sich erfreuliche Neuerung des Zeugnisverweigerungsrechts, nämlich die Ausdehnung auf selbst recherchiertes Material, durch die Hintertür wieder ausgehebelt werden könnte – eine Befürchtung, die sich nun bewahrheitet hat. Journalistische Recherche dürfe nicht als „Vehikel der Strafverfolgungsbehörden mißbraucht“ werden. All diesen Aufforderungen zum Trotz erklärte Bundesjustizministerin Brigitte Zypries Mitte März, für eine Gesetzesänderung sehe sie keinen Grund. Eine Sprecherin der Ministerin teilte mit, dass auch die vielfachen Forderungen der Interessenverbände hier zu keinem Sinneswandel im Ministerium führen würden.

Begrüßt hat das Karlsruher Urteil die FDP-Landtagsfraktion in Nordrhein-Westfalen. Jan Söffing, rechtspolitischer Sprecher der Fraktion, erklärte, dass nun die „dringend notwendige juristische Klarheit“ geschaffen sei. Um aber „größeres Mißtrauen“ zwischen Medien und den Strafverfolgungsbehörden zu vermeiden, plädierte er für ein „Spitzengespräch“ zwischen den beiden Gruppen als „vertrauensbildende Maßnahme“.

Fragt sich nur, was ein „Spitzengespräch“ soll, wenn der „Spitzel“ womöglich schon in der Telefonleitung sitzt.

 

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