Frauen dürfen zu Corona nur wenig sagen

In der Corona-Berichterstattung offenbar das übliche Bild - hier bei Anne Will in der ARD am 19. April.
Screenshot: https://daserste.ndr.de/annewill/archiv

Frauen tragen die Hauptlast der Corona-Krise, sagt die Soziologin Jutta Almendinger und fürchtet einen Rückfall in alte Rollenbilder. Dazu passt der Eindruck, dass in den politischen und medialen Diskursen zur Corona-Pandemie vor allem die Meinung von Männern gefragt ist. Zwei aktuelle Studien der MaLisa-Stiftung liefern Zahlen zur Geschlechtergerechtigkeit in der Berichterstattung der vergangenen Monate.

Der komprimierte Befund: Unter den befragten Expert*innen auf dem TV-Bildschirm war nur eine von fünf weiblich. In der Online-Berichterstattung waren Frauen noch weniger gefragt: Sie lieferten ganze sieben Prozent der auf den Portalen erwähnten Fachmeinungen. Bei den von MaLisa beauftragten Analysen zu Geschlechterverteilung in der Corona-Berichterstattung standen die Fragen im Fokus, wie oft Frauen und Männer insgesamt zu Wort kamen und zu welchen Themen sie als Expert*innen gefragt waren.

Prof. Dr. Elizabeth Prommer und Julia Stüwe vom Institut für Medienforschung der Universität Rostock werteten dazu insgesamt 174 TV-Informationssendungen mit Corona-Bezug aus, die zwischen dem 16. und 30. April 2020 ab 18 Uhr in ARD, ZDF, RTL und Sat.1 ausgestrahlt wurden. Der Daten-Forscher Max Berggren untersuchte für denselben Zeitraum knapp 80.000 Artikel mit Corona-Bezug in den Online-Ausgaben von 13 Printmedien, darunter FAZ, „Focus”, „Der Spiegel”, Süddeutsche, taz und „Die Welt”.

Als Medizinische Experten kamen vor allem Männer zu Wort, so ein Kernergebnis der Studien. Die Iniator*innen halten das für besonders brisant, da die Hälfte der Mediziner*innen in Deutschland weiblich ist. Selbst von den im Fernsehen befragten Ärzt*innen ohne Leitungsfunktion war nur eine von fünf weiblich. Insgesamt kamen sowohl im Fernsehen als auch in den Online-Berichten der Printmedien mit Corona-Bezug auf eine Frau zwei Männer.

Kommunikationsforscherin Prommer: „Eines der wichtigsten Ergebnisse unserer Studie ist, dass Frauen nicht gefragt werden. Und zwar auch dann nicht, wenn es sie gäbe. Frauen sind die wahren Heldinnen in der Krise – und das erzählen uns: die Männer.”

Am wenigsten war die Expertise von Frauen in TV-Nachrichten oder Corona-Sondersendungen gefragt. Etwas besser stellte sich das Verhältnis in Talk-Shows dar, wobei auch hier – das genaue Verhältnis lag bei 28 zu 72 Prozent ­– auf eine Frau mehr als zwei Männer gekommen seien. Selbst in den Themenbereichen Medizin und Pflege, in denen Frauen überproportional vertreten sind, wurden sie nur zu 17 Prozent befragt. Am häufigsten, so das Ergebnis aus Rostock, wurden Expertinnen in Sachen Bildung (45 Prozent) und Soziales (31 Prozent) herangezogen.

In der Corona-Berichterstattung der Online-Medien standen 30 Prozent Frauen 70 Prozent Männern gegenüber. Als Expertinnen wurden Frauen nur zu rund sieben Prozent erwähnt. Als Forscherin erscheinen sie in Beiträgen zu fünf, als Virologin zu vier Prozent, so die Ergebnisse der automatisierten Analyse von Berggren.

Fazit von MaLisa-Co-Gründerin Maria Furtwängler: „Bereits unsere Studie zu TV und Film von 2017 hat besonders im Bereich der Expert*innen eine große Schieflage aufgezeigt. Dass diese sich in der aktuellen Krise, die ja zur Stunde der Expert*innen wird, fortsetzt, ist besonders bedauerlich.” Regelrecht schockiert sei sie in Bezug auf die wenig nachgefragte Expertise von Ärztinnen.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Nicaraguas bedrohte Medien

Die Diktatur des nicaraguanischen Präsidentenpaars Daniel Ortega und Rocio Murillo hat in den letzten Jahren immer mehr Journalist*innen ins Exil getrieben. Unter erschwerten Bedingungen berichten Menschen wie Lucía Pineda vom Nachrichtenkanal "100% Noticias" oder Wendy Quintero nun aus dem Ausland. Für diese Arbeit nehmen sie stellvertretend für viele andere am 26. November 2024 den Menschenrechtspreis der Friedrich-Ebert-Stiftung entgegen.
mehr »

Österreich: Gefahr für die Pressefreiheit

In Österreich ist die extrem rechte FPÖ bei den Nationalratswahlen stärkste Kraft geworden. Noch ist keine zukünftige Koalition etabliert. Luis Paulitsch erklärt im Interview, welche Entwicklungen in der österreichischen Medienlandschaft zu erwarten sind, sollten die FPÖ und ihr Spitzenkandidat Herbert Kickl an der Regierung beteiligt werden. Paulitsch ist Jurist, Zeithistoriker und Medienethiker. Von 2019 bis 2024 war er Referent des Österreichischen Presserats, dem Selbstkontrollorgan der österreichischen Printmedien;  seit 2024 bei der Datum Stiftung für Journalismus und Demokratie.
mehr »

KI beinflusst Vielfalt in den Medien

Künstliche Intelligenz kann journalistische Texte in verschiedene Sprachen übersetzen und damit viel mehr Nutzer*innen ansprechen. Gleichzeitig kann sie aber auch Stereotype, die in diesen Texten enthalten sind, verfestigen. Gefahren und Chancen von KI-Anwendungen im Journalismus standen im Fokus der diesjährigen NxMedienkonferenz der Neuen deutschen Medienmacher*innen (NdM), die sich für mehr Vielfalt in den Medien einsetzen.
mehr »

ARD & ZDF legen Verfassungsbeschwerde ein

Nachdem die Ministerpräsident*innen auf ihrer Jahreskonferenz Ende Oktober keinen Beschluss zur Anpassung des Rundfunkbeitrags ab 2025 fassten, haben heute ARD und ZDF Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eingelegt. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di begrüßt die Initiative.
mehr »