Um konkurrenzfähig zu bleiben, müssen die Kinos ihre Vorführtechnik kostspielig digitalisieren. Wer es nicht kann, bleibt auf der Strecke und damit womöglich das anspruchsvolle Kino jenseits der Blockbuster. Aber muss wirklich jeder mitmachen oder gibt es alternative Lösungen?
Sicher ist: die Kinolandschaft wird sich verändern, ob es dadurch gleichzeitig zu einer Verflachung des Angebots kommt, hängt jedoch nicht von der Digitalisierung ab. Im Gegenteil. Schon 1995 dachten der Regisseur Peter Fleischmann und der Produzent Wieland Schulz-Keil über die Digitalisierung der europäischen Kinos nach. Damit wollten sie Kino in weit entfernte Regionen Europas zurückbringen, wo es bereits ausgestorben war. Aber das war damals nicht finanzierbar. Parallel dazu trieben die großen US-Studios ihre Vorstellungen der Digitalisierung voran, mit der die immensen Kosten bei der Herstellung und dem Vertrieb von Filmkopien eingedämmt werden sollten. Mit der Digitalisierung gehören geschädigte oder unscharfe Kopien der Vergangenheit an. Zudem muss man in der Provinz nicht mehr darauf warten, dass in der Stadt eine Kopie frei wird. Als erster Verleiher hat Walt Disney Germany eine Filmbelieferungsgarantie ab Starttag auch für das kleinste Provinzkino ausgesprochen – allerdings nur für eine digitale Kopie. Gerade Kommunale Kinos und Filmkunstkinos sowie Kinos in bevölkerungsschwachen Gegenden können mithilfe der Digitalisierung auch in Deutschland ein größeres und flexibleres Programm anbieten – wären da nicht die Investitionskosten von 60 bis 90.000 Euro pro digitaler Anlage pro Saal, um die sich der Kinobesitzer kümmern muss und die nicht jeder aufbringen kann.
Was einst als Mittel zur Bereicherung des Kinoangebots gedacht war, entwickelt sich für so manchen Kinobesitzer langsam zum Albtraum. „Die Digitalisierung ist eine Herausforderung, die wir alleine schlicht nicht stemmen können“, macht sich Marion Closmann, Kinobetreiberin im hessischen Marburg, daher ernsthaft Sorgen. Warum das alles aus dem Ruder gelaufen ist, hat zwei Gründe. Die sieben großen Studios der USA, die sogenannten Majors, haben sich in der Digital Cinema Initiative, der DCI, auf einen digitalen Mindeststandard geeinigt, der zum weltweiten Quasistandard geworden ist. Wer hinter diesem Standard zurück bleibt, wird von den Majors nicht mit Filmen beliefert. Der DCI-Standard verlangt nicht nur eine Mindestgröße für das digitale Bild von 2048×1080 Bildpunkten – kurz 2K – sondern auch einen umfassenden technischen Schutz vor Filmpiraterie. Das verteuert die Sache erheblich.
Umstrittene Fördermodelle
Während die Amerikaner Wert darauf gelegt haben, dass der digitale Standard mindestens die Qualität eines traditionellen, analogen 35mm-Filmbildes erreicht, wurden und werden in Europa oft genug Kinofilme mit dem günstigeren Super16-Material oder digitalen Kameras unterhalb des 2K-Standards gedreht. Für diese Filme reichen Projektionen mit geringerer Auflösung. Aber auch ein 2K-Film kann in kleineren Sälen mit einem 1,7K-Projektor abgespielt werden ohne dass der normale Kinogänger einen Unterschied bemerkt. Nun sieht es so aus, als ob es keine Alternative zu 2K gibt, denn in etwa fünf Jahren soll komplett Schluss sein mit den analogen Filmrollen, bei einigen Arthousefilmen ist das sogar schon heute so.
Der zweite Grund ist ein strategischer Fehler. In Deutschland hatte sich die Kinobranche früh entschlossen ein Modell zu entwickeln, um eine gemeinsame Digitalisierung aller Kinos im DCI-Standard durchzuführen. Kartellrechtlich ist das aber nicht möglich. So scheiterte dieses sogenannte 100er-Modell. Besser wäre es gewesen zuerst den Markt machen zu lassen und dann jenen Kinos zu helfen, die die Digitalisierung aus eigener Kraft nicht stemmen können. An diesem Punkt ist die Digitalisierung inzwischen angekommen. Auch die letzten der sogenannten Marktkinos digitalisieren jetzt, um nicht weiter vom Boom mit den 3D-Filmen abgehängt zu sein, der am 18. November mit „Harry Potter und die Heiligtümer des Todes“ erneut anziehen wird.
Auf der Strecke bleiben augenscheinlich nun die Filmkunsttheater und einige Kinos auf dem Land, denen mit Hilfe eines neuen Modells geholfen werden sollte. Auch dieses BKM-Modell scheiterte letztendlich an Kartellfragen. Dann ging es aber überraschenderweise ganz schnell. Wenige Tage nach der Nachricht traf sich der Verleiherverband (VdF) am 24. August mit dem Staatsminister für Kultur und Medien (BKM) Bernd Neumann. Dort beschloss man einvernehmlich nun endlich Nägel mit Köpfen zu machen. Der VdF gab Mittel frei, die seine Mitgliedsverbände in den Etat der Filmförderanstalt unter Vorbehalt eingezahlt hatten, und er sagte darüber hinaus zu, sowohl Kinos direkt zu unterstützen, als sich auch an Finanzierungsmodellen sogenannter Drittanbieter zu beteiligen. Drittanbieter finanzieren den Teil der Digitalisierungkosten eines Kinos, der nicht durch Förderung oder Eigenkapital abgedeckt ist. Dieser Teil wird in einer Art Leasingverfahren von den Verleihern und den jeweiligen Kinos abbezahlt. Die Details regeln individuelle Verträge. Im Gegenzug gibt der BKM seine Gelder frei. Auf diese Weise werden 4 Mio. von Seiten des BKM und bis zu 12 Mio. von Seiten der Filmförderungsanstalt (FFA) frei. Der direkte Anteil der Verleiher wird nun auf dem Vertragswege geregelt.
Weitere Förderung erhalten Kinos in den Ländern Berlin/Brandenburg, Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Niedersachsen und Bayern, die explizit die Digitalisierung fördern. Förderung ist jedoch kein Allheilmittel für eine günstige Finanzierung. Sie ist auf drei Jahre berechnet auf maximal 500.000 Euro öffentliche Fördergelder für die Gesamtfirma begrenzt. Hat der Kinobetreiber Kinoprogrammpreise erhalten, Förderung für Modernisierungen oder Bürgschaften, fällt das unter die als De-minimis-Beihilfe bekannte Regelung. Hat er mehrere Leinwände in seinem Betrieb, die er umrüsten will, kann die Grenze schnell erreicht sein. Dass zurzeit die Wartezeiten für digitale Projektoren bis zu einem halben Jahr dauern, ist da beinahe zweitrangig.
Unter dem Aspekt der Einigung aller Parteien hat sich die Diskussion von Alternativmodellen und parallelen Standards erledigt. Damit kann der Technologiewechsel im Kino vollendet werden, der sich in der Filmproduktion bereits durchgesetzt hat, wo jeder fertige Film zuerst als digitale Kopie vorliegt bevor er in den Vertrieb geht.
Und die einheitliche digitale Umrüstung, die nun mit Vehemenz betrieben werden kann, hat noch einen Vorteil, der im Augenblick noch gar nicht im Fokus steht. Im Februar startet Wim Wenders Arthouse-Film „Pina“, der wie „Avatar“ in Stereo-3D gedreht wurde. Kein Arthousekino verfügt über Stereo-3D, ein 2K-Projektor ist aber Voraussetzung für 3D, das seinen Weg auch in weitere Arthouseproduktionen finden wird.
Publikumsaffine Filme gesucht
Die Digitalisierung ist allerdings nur ein Teil des Problems, das die Kinobetreiber plagt. Das andere ist das Filmangebot an sich. Das kann zu frustrierenden Momenten führen, wenn der Film kein Publikum findet. Hier sind die Filmemacher gefragt. Zumindest der deutsche Filmnachwuchs, so ein Vorwurf von Kinobetreiber und Filmverleiher Peter Sundarp, macht sich nicht die Mühe publikumsaffine Filme zu machen. „Die Absolventen wollen ihre Filme auf Festivals bringen, wo sie sich einen Namen machen können, und nicht zum Publikum“, sagt er und Sue Berman, Betreiberin des Berliner Programmkinos Eiszeit, fasst es in einen kurzen Satz: „Das Produkt stimmt nicht!“ Das dürfte ein Grund dafür sein, dass das Interesse am deutschen und europäischen Film immer mehr zurück geht. Denn wer diese Filme als enttäuschend und unbefriedigend empfindet, lässt sich bei der Planung des nächsten Kinobesuchs nicht mehr auf Experimente ein, sondern schaut einen Film, der über eine gute Presse und Empfehlungen von Freunden zum ‘must-see-film’ geworden ist. So schreiben in den Hackeschen Höfen US-Filme wie „A Single Man“ mittlerweile bessere Zahlen, als europäische und deutsche Filme mit mittelmäßiger Reputation. Den Schaden davon haben in erster Linie die ganz kleinen Kinos, die ein hochspezialisiertes Nischenprogramm machen. Dabei hatte der deutsche Film im vergangenen Jahr einen sensationellen Marktanteil von 27,4 Prozent, doch der anspruchsvolle Film hat dazu recht wenig beigetragen. Von den 216 deutschen Filmen, die 2009 gestartet wurden, haben nur 40 mehr als 100.000 Zuschauer gehabt. Die überwiegende Zahl der deutschen Filme hat sein Publikum also nicht gefunden, was wiederum fatale Folgen für die Finanzierung von Filmen und die Besucherentwicklung der Kinos hat. Denn jeder Film, der nicht gesehen wird, läuft nicht nur vor leeren Sälen, er verbrennt auch Produktionsgelder aus Förderung, von Fernsehsendern und anderen Quellen. Ein Problem, das von der deutschen Produzentenschaft durchaus kritisch gesehen wird. Uli Aselmann, Produzent von d.i.e. Film und Vorsitzender Sektionsvorstand der Allianz deutscher Produzenten, sieht zwar einen Kannibalisierungseffekt, wenn sich deutsche Produzenten um die kleiner werdenden Finanzierungstöpfe bemühen, doch sieht er keinen Handlungsbedarf. „Das wird sich letztendlich selbst regulieren“, sagt er. Und es hat schon begonnen. Im ersten Halbjahr 2010 ist der Anteil des deutschen Films auf 15,8 Prozent abgerutscht, was genau daran liegt, dass im vergangenen Jahr weniger Filme finanziert wurden, die nun in die Kinos kommen können. Kirsten Niehuus, Geschäftsführerin der Medienboard Berlin-Brandenburg bestätigte diesen Trend beim 5. Filmwirtschaftsgipfel der Media Business Akademie im Juni in Berlin und stimmte die Filmbranche schon mal darauf ein, dass bei einem Anstieg der Förderanträge bei gleichbleibenden Fördermitteln die Produzenten in Zukunft mit weniger Förderung pro Projekt rechnen müssten. „Man kann sich nicht darauf einrichten, dass alles so bleibt, wie es ist“, sagte sie deutlich.
Digital fördert Technikvielfalt
Wohin mag das alles führen? Wird es nur noch wenige Kinos geben? Nur noch massentaugliche Filme? Davon ist nicht auszugehen. Die Digitalisierung der Kinos ist nur der letzte Schritt in einem Technikwechsel, der längst unumkehrbar ist. Immer mehr Filme werden mit digitalen Kameras gedreht. Auch die, die noch auf Film gedreht werden, werden für die Postproduktion digitalisiert. Der fertige Film liegt heute zuerst immer als digitale Kopie vor, die man in digitalisierten Kinos sofort abspielen kann. Für die alten analogen Projektoren müsste man aber erst ein Filmpositiv und davon eine etwa 2000 Euro teure Polyesterkopie herstellen. Das können sich gerade die kleinen, innovativen Guerillafilmemacher und -verleiher gar nicht leisten. Ihre Filme werden durch die Digitalisierung also überhaupt erst möglich. Durch ihren Beitrag wird die Kinolandschaft lebendig und ihre Vielfalt erhalten bleiben und zunehmen. „In der Nische werden durch Kreativität und Widerstandsfähigkeit bei den Kinomachern, neue Angebote entstehen“, ist sich Christian Bräuer, Geschäftsführer der in Berlin tätigen Yorck-Kinogruppe und Vorstandsvorsitzender der AG Kino-Gilde, dem Interessenverband der Filmkunsttheater und Programmkinos, sicher. Dafür stehen Betreiber wie Sue Bermann, die schon immer ein sehr spezielles, auch digital projiziertes Programm angeboten haben, das nur erfolgreich sein kann, wenn der Betreiber sein Publikum kennt und auf seine Bedürfnisse eingeht. Daher ist sie der Überzeugung, dass ihr Publikum zwar technikaffin ist, aber davon nicht abhängig macht, ob es einen Film sehen will. „Den Leuten ist es egal, ob sie einen Film auf 35mm oder digital sehen. Hauptsache, er erzählt eine gute Geschichte und hat ein gutes Bild“, weiß sie aus Erfahrung.
Das Problem wird dann allerdings ein ganz anderes sein: wer soll sich in dem Wust an Filmen dann noch zurecht finden? Wer kann damit Geld verdienen? Schon jetzt kommen pro Jahr an die 500 Filme ins Kino, zu viele um alle erfolgreich sein zu können. Und dennoch, 2009 haben 49 Kinos mit 76 Leinwänden bundesweit geschlossen. In 25 Orten verschwand damit auch das letzte Kino. Eine dramatische Entwicklung, die sich im ersten Halbjahr 2010 ungemindert fortgesetzt hat. In dieser Zeit verschwanden 57 weitere Leinwände, 29 Spielstätten und 19 Standorte.
Die FFA untersucht die Gründe für dieses überraschende und neue Phänomen zurzeit in einer Studie. Die Gründe für die Schließungen sind vermutlich vielfältig und auf allgemeine gesellschaftliche Veränderungen zurück zu führen. Der Trend zum DVD gucken auf dem heimischen Großbildschirm dürfte zu einem Zuschauerrückgang führen, der den Weiterbetrieb genauso unrentabel macht wie Mieterhöhungen. Und auf dem Land findet sich oft kein Nachfolger für ein Kino, insbesondere wenn es ohnehin mit Zuschauerschwund zu kämpfen hat.
Oft genug aber kann der Weiterbetrieb eines Kinos durch entsprechenden Einsatz gewährleistet werden. In Plauen hat das Capitol nach einer Pause wieder eröffnet und setzt konsequent auf Digitalisierung und in Schwedt wurde das einzige Kino am Ort nach dem Rückzug des privaten Betreibers unter dem Management der Stadt mit Beratung der Medienboard zu neuer Blüte gebracht. Denn eines darf man nicht vergessen: trotz seiner kulturellen Bedeutung wird jedes Kino unter den Maßgaben eines gewinnorientiertes Wirtschaftsbetriebes geführt, der von attraktiven Filmen und zahlenden Besuchern abhängig ist. Lediglich kleine Kinos mit kulturell förderwürdigen Spezialprogrammen erhalten ein wenig öffentliche Unterstützung.