Filmrezension: Lucy
Bedeutet ein Baby das größte Lebensglück wie Familienministerin von der Leyen stets betont? Henner Wincklers Kammerspiel wirft ein Licht auf die ernüchternde Wirklichkeit. Von wegen glückliche Muter: Die 18-jährige Maggy (Kim Schnitzer) gerät nach einer Schwangerschaft peu à peu in die Isolation. Zwar finden alle ihr Neugeborenes ganz goldig, aber wenn es darum geht, Verantwortung zu übernehmen, wird Lucy schnell zum Klotz am Bein. Dabei hebt Henner Wincklers subtiler leiser Film keineswegs nur auf die Schwierigkeiten bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie ab, sondern vielmehr auf den Zeitgeist der Generation x, die ihre Freizeit lieber in Discos, auf Partys oder in virtuellen Welten verbringt als an einer Wiege.
Schon der Junge, der Maggy geschwängert hat, kneift vor seiner Aufgabe als Vater und schafft sich lieber einen Hund an. Zum Glück findet die Alleinerziehende Unterstützung bei ihrer Mutter, die immerhin bereit ist, ihre Tochter zu entlasten. Aber das ist nicht das Familienglück, das Maggy sich erträumt hat, sie will weg von zu Hause, nicht mehr abhängig von der Mutter sein. So stürzt sie sich hoffnungsvoll-naiv in eine Beziehung mit Gordon, den sie in der Disco kennen lernt. Der beteuert, dass er Maggy liebt, nimmt sie und Lucy in seiner eigenen Wohnung auf und legt zunächst sogar gute Vorsätze an den Tag. Die aber versanden, als es auf Dinge zu verzichten gilt, auf die er nicht verzichten will. Gordons Freunde ziehen sich kopfschüttelnd von ihm zurück, weil er seine Zeit an ein fremdes Baby verschwendet, nachts kann er nicht schlafen, wenn die Kleine schreit. Die angeblich so große Freude an Erziehungsaufgaben, die von der Leyen vaterschaftsurlaubswilligen Männern verspricht – sie will sich bei Gordon nicht einstellen. Als er einmal mit Lucy mehrere Stunden alleine ist, setzt er sich Kopfhörer auf, um ungestört am Computer zu spielen und hört gar nicht, dass das Baby schreit. Gerade noch rechtzeitig kommt Maggy zurück, um zu bemerken, dass sie sich auf Gordon nicht verlassen kann.
„Ich habe mir das irgendwie relaxter vorgestellt“, verteidigt sich der Freund, das Kind überfordere ihn halt. Gewiss: Maggy steht zu ihrem Kind, sie selbst läuft nicht Gefahr, zu jenen überforderten, verzweifelten Müttern zu zählen, die ihre Babys verwahrlosen oder gar verdursten lassen. Glücklich aber ist sie nicht: „Ich wünschte, ich könnte mich auch mal auf was freuen“, sagt sie zu einer Freundin, die ihr stolz von ihrer Lehre bei einem Friseur erzählt. Bauklötzchen spielen ist langweiliger.
Es zeichnet diesen kleinen, mit Laiendarstellern trefflich besetzten mutigen Film aus, dass er nicht in das pauschale Lamento über mangelnde Gebärfreudigkeit einstimmt, sondern ehrlich auch unattraktive Seiten der Elternschaft beleuchtet und damit diffizilere Antworten darauf findet, warum sich weniger Menschen für Kinder entscheiden.