Eine wunderbare Moritat im Stil Brechtschen Theaters

Filmrezension: Strajk – Die Heldin von Danzig

Eigentlich wollte sie gar nicht als Volksheldin in die Annalen eingehen. Aber manchmal ist es gut, wenn Regisseure an einer Idee festhalten und sich über die Empfindlichkeiten Anderer hinwegsetzen. Denn die heute 77-jährige Anna Walentynowicz, die im Film Agnieszka heißt, ist eine faszinierende Frau.

Mit viel Mut engagiert sie sich im kommunistischen Polen auf der Lenin-Werft für die Rechte der Belegschaft. Bis zum Umfallen schuftet sie in Tag- und Nachtschichten, bis sie sich schließlich als erste weibliche Kranführerin nach oben arbeitet. Vor allem aber setzt sich die Pionierin für bessere Arbeitsbedingungen bei den Parteifunktionären ein, die jedoch die unbequeme Kollegin auf Dauer loswerden wollen. Annas Entlassung löste 1980 eine Streikwelle aus, die das ganze Land erschütterte, den Beginn der politischen Wende in Europa markierte und zur Gründung der unabhängigen, polnischen Gewerkschaft Solidarnosc führte.
Volker Schlöndorff hat das alles glaubwürdig an Originalschauplätzen mit einem deutsch-polnischen Schauspielerensemble nachinszeniert. Ergebnis ist eine – wenn auch ein bisschen steif erzählte – wunderbare Moritat im Stil Brechtschen Theaters. „Die Heldin von Danzig“ erscheint dabei als eine zupackende „Mutter Courage“, die schon lange vor dem entscheidenden Streik kein Blatt vor den Mund nimmt, sich bei ihren Kollegen mit ihren guten Ideen, ihrem Pragmatismus und ihrer Hartnäckigkeit beliebt macht, und sinnvolle Maßnahmen ergreift: Die weit abgelegene Kantine etwa empfindet sie als Zumutung. Damit die Mittagspause infolge langer Wege nicht in Stress ausartet, eröffnet sie kurzerhand eine eigene Suppenküche in unmittelbarer Nähe zur Werft.

Die Initialzündung aber zu ihrem politischen Engagement gibt ein schlimmes Brandunglück: Agnieszka geht auf die Barrikaden, weil 21 Kollegen wegen Schlamperei bei der Werksicherheit ums Leben kommen. Sie solidarisiert sich mit den Angehörigen der Opfer, fordert Entschädigung und kämpft gegen die Vertuschung der Unfallursachen.
Katharina Thalbach ist eine ideale Besetzung für die warmherzige, unbeugsame Rädelsführerin, die schon in jungen Jahren an Krebs zu sterben drohte, die Krankheit aber ohne Behandlung wie durch ein Wunder überwand. Sie spielt sie nicht nur mit Resolutheit, Unerschrockenheit und anrührender Leidenschaft, sie verjüngt sich auch verblüffend als junge Agnieszka mit faltenlosem Gesicht. Und noch heute, wo Politikverdrossenheit und Verunsicherung um sich greifen, wirkt die faszinierende, uneigennützige Kommunistin wie ein Vorbild. „Es ist alles wieder schlechter geworden und es gibt viel zu tun“, sagt sie viele Jahre nach dem Streik in der letzten Szene, „aber jetzt müssen mal die Jüngeren ran“. Recht hat sie – packen wir’s an!

Strajk – Die Heldin von Danzig

D/P 2006.
R: Volker Schlöndorff,
D: Katharina Thalbach,
Dominique Horwitz,
Andrzej Chyra,
104 Min.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Filmtipp: Sieger sein

Streng genommen müsste dieser Film natürlich „Siegerin sein“ heißen, schließlich geht es um Mädchen; aber wenn die erwachsenen Fußballfrauen Titel feiern, singen sie ja auch „So sehen Sieger aus“. Die elfjährige Mona, zweifelsfrei ein Mädchen, ist auf der Suche nach ihrem Platz im neuen Leben: Der Kopf ist noch in Syrien, aber die Füße sind schon seit einiger Zeit in Berlin; dorthin ist ihre Familie vor dem Assad-Regime geflohen.
mehr »

Top Tarifergebnis im Kino

In den Tarifverhandlungen mit der Kino-Kette UCI (United Cinemas International GmbH) wurde am 19. Februar 2024 ein Tarifergebnis erzielt, das an vielen Stellen die ver.di-Forderungen erreicht, so auch den Einstiegslohn von 14 Euro. In der anschließenden Befragung der Mitglieder bis zum 4. März gab es keinerlei Ablehnung. Somit beschloss auch die ver.di-Tarifkommission einstimmig die Annahme des Tarifergebnisses.
mehr »

Einschüchterungsversuche der Hohenzollern

Eine Studie der Universität Leipzig hat am Beispiel der deutschen Adelsfamilie Hohenzollern untersucht, wie kritische Berichterstattung und Forschung durch gezielte Anwaltsstrategien beeinflusst oder behindert werden sollen. Die Kommunikationswissenschaftler*innen haben dabei die Wirkung von SLAPPs (Strategic Lawsuits Against Public Participation) aus Sicht der Betroffenen nachvollzogen. Verunsicherung und Einschränkung der Arbeitsfähigkeit sind direkte Folgen bei ihnen.
mehr »

Honoraruntergrenzen bei der Kulturförderung

Claudia Roth will ein Versprechen einlösen und Mindeststandards für Honorare von Freien bei der Kulturförderung des Bundes sichern. Laut Ampel-Koalitionsvertrag von 2021 sollten öffentliche Gelder für die Kultur an faire Vergütung gekoppelt sein. Nun, so die Kulturstaatsministerin, werden „für den Kernbereich der Bundeskulturförderung“ Mindesthonorare für Künstler*innen und Kreative eingeführt.
mehr »