Einen ungewöhnlichen Blick auf das Olympia-Attentat 1972 in München zeigt Tim Fehlbaum in seinem neuen Film „September 5 – The Day Terror Went Live“. Die Ereignisse, die zu dem Tod von elf Mitgliedern der israelischen Delegation und fünf palästinensischer Geiselnehmer führten, wird ausschließlich aus der Perspektive von TV-Journalisten geschildert, die zu der Zeit in der Sportredaktion des Fernsehsenders ABC arbeiteten. Der Film kommt am 9. Januar in die deutschen Kinos.
1972 findet die Olympiade in München statt. Deutschland will sich als Ausrichter weltoffen präsentieren, die letzten olympischen Spiele, die in dem Land stattfanden, standen unter dem Zeichen des Nationalsozialismus im Jahr 1936: Jüdische Sportler waren bereits aus den Verbänden aussortiert, 1935 die antisemitischen Rassegesetze erlassen worden.
Nichts soll an die düsteren Zeiten erinnern. Architektur wie Kleidung und Design vermitteln 1972 den Flair der Leichtigkeit. Und ausgerechnet im Olympischen Dorf überfällt ein palästinensisches Kommando die israelische Olympia-Delegation. Die Forderung: Die Freilassung von 200 Inhaftierten in Israel und freies Geleit.
Das ABC-Sportteam logiert zufällig in der Nähe des Appartments, in dem die Geiseln gefangen gehalten werden. Es ist sogar möglich, eine schwergewichtige Fernsehkamera auf das Geschehen zu richten. Gegen den Widerstand der Intendanz – man befürwortet, dass das Thema an die Nachrichtenredaktion geht – nimmt das Team um die TV-Sport-Leute Roone Arledge und Geoff Mason die Arbeit auf. Was sie noch nicht wissen: Sie werden am 5. September das erste Fernsehteam sein, dass einen Terroranschlag live bringt – vor 900 Millionen Zuschauern.
Bärendienst für die Geiselnehmer
Der kammerspielartige Film, der fast ausschließlich im TV-Studio spielt, nimmt jeweils verschiedene Perspektiven ein. Außer den Produzenten und Technikern steht die deutsche Dolmetscherin Marianne Gebhardt im Zentrum. Sie ist die Einzige, die Deutsch spricht und hört kontinuierlich den Polizeifunk ab. Einen Seitenhieb auf die Männerdominanz im Team kann sich Fehlbaum nicht verkneifen: Ausgerechnet die junge Mitarbeiterin wird zum Kaffee holen geschickt, als sich die Ereignisse überschlagen, und Übersetzungen der Beiträge deutschen Sender immens wichtig wird.
Aus den Dialogen konstruiert sich die gesamte Handlung. Schon früh diskutieren die Redakteure und Manager dabei auch über Folgen ihrer Arbeit. Spätestens als die Polizei in die Räume eindringt, haben sie begriffen: Wir liefern den Geiselnehmern Live-Bilder über die Versuche der deutschen Polizei, die Geiseln zu befreien. Bilder eines Scharfschützenteams auf dem Dach kommen ungefiltert in die TV-Geräte im Geisel-Appartment. Ebenso dramatisch verläuft die Handlung, wenn es um das Vermelden der vermeintlichen Rettung der Geiseln geht: Die Redaktion wird hernach eine Ente gesendet haben, die weltweit ausgestrahlt wird.
Viele Fehler, aber keine Alternative
Was darf man senden, was nicht? Ab wann ist der berichtende Journalist ein Teilnehmer des Geschehens, der mit seiner Arbeit Einfluss auf den Lauf der Dinge nimmt? Wie ist das mit der Verantwortung? Schnell tauchen diese Fragen, die auch noch heute eine Rolle im medienethischen Diskurs spielen, im Film auf. Es gehe um Emotionen, nicht um Politik, lautet eine Bemerkung eines ABC-Managers. Stimmt das überhaupt? Mit der bloßen Verklausulierung ihrer Arbeit kommen die Redakteure an ihre Grenzen. Fehler reiht sich an Fehler, weil man viel zu schnell Entscheidungen treffen muss. Andererseits: Nichtberichten ist für die Journalisten keine Alternative.
Fehlbaum schafft es, allein im Spiel seiner Akteure nach Antworten zu suchen, die Darsteller liefern hier eine hervorragende und eindrückliche Arbeit ab. Fehlbaums Film ist ein gelungener und wichtiger Beitrag über Rolle und Stellenwert der Medien im Medienzeitalter.
„September 5 – The Day Terror Went Live“. D 2024. Buch: Tim Fehlbaum, Moritz Binder. Regie: Tim Fehlbaum. Darsteller: Leonie Benesch, Ben Chaplin, John Magaro u.a. Kinostart: 9. Januar 2025