„Frohe Zukunft“

Überraschende Tendenzen

„Frohe Zukunft“, so lautet der Name einer Tram-Endhaltestelle in Halle. Aber das mag vielen Einwohnern dort wie blanker Hohn erscheinen. An den Anfang ihrer sehr persönlichen Dokumentation stellt Bianca Bodau die Tragödie ihrer Eltern: Knall auf Fall standen sie – der Vater Leiter einer Waffenwerkstatt der Volksmarine, die Mutter eben dort Telefonistin – vor dem Nichts.

In der Not zogen sie in den Westen, wo es zumindest Arbeit für den Vater gab. Psychisch aber haben sie den Wechsel nicht verkraftet. Zwar haben sie sich ihre winzige Sozialwohnung so ähnlich eingerichtet wie ihr früheres Heim in Rostock-Lichtenhagen, heimatlos und unglücklich fühlten sie sich dennoch. Die Ehe ging kaputt, der Vater trank sich zu Tode. Bianca Bodau selbst, Jahrgang 1965, zählt dagegen schon zu jener Generation, die sich mit der DDR weniger identifizierte. Das traurige Schicksal ihrer Eltern hat sie dazu bewogen, der Frage nachzugehen, wie andere Familien mit der Umbruchphase nach dem Zusammenbruch der DDR zurechtkamen. Ihre intimen Einblicke machen die Stärke dieses unspektakulären Films aus, der anhand von Einzelschicksalen weit mehr über ostdeutsche Befindlichkeiten sagt als irgendein Geschichtsbuch.

So unterschiedlich die Lebensläufe ausfallen, lassen sich doch überraschende Tendenzen ausmachen: Die Männer traf der Jobverlust oft härter als ihre Frauen, die an der Herausforderung wuchsen, die Familie durchzubringen. Regina Ditze zum Beispiel machte eine Umschulung und berichtet stolz, dass es in ihrer Ehe viel gleichberechtigter zugehe, seit ihr Mann, der seine existenzielle Grundlage mit dem Kauf eines Treuhand-Grundstücks ruinierte, auf ihr Geld angewiesen ist. Auch Kathrin Maas, eine verbeamtete Lehrerin, kennt nicht das Gefühl, wertlos zu sein, während ihr Mann seit Jahren arbeitslos und voller Komplexe zu Hause rumhängt. Martina Nicolas, Mutter von vier mittlerweile erwachsenen Kindern, gelang sogar der Karrieresprung von der Sachbearbeiterin zur Personalmanagerin in ihrem alten Umfeld.

Für alle aber bedeutete die Wiedervereinigung eine entscheidende Zäsur, sei es beruflich oder privat. Familien, die aufgrund großer räumlicher Trennungen zerbrechen, sind keine Ausnahme. Und während die Älteren noch mühevoll mit vielen Veränderungen zurechtkommen müssen, scheinen ihre Kinder dreifach nachzuholen, was ihnen verwehrt war: vor allem das Reisen. Dabei kann es nicht weit genug sein. China, Australien, Neuseeland, Ecuador: Vor allem die jungen hoch qualifizierten Frauen zieht es in die Ferne.
Zum Glück gerät der Film nie in Versuchung, zu werten oder gar zu moralisieren. Bianca Bodau bohrt nicht nach, wie ein ehemaliger Offizier und heutiger Versicherungsvertreter oder eine ehemalige Angestellte der SED-Kreisleitung, ihren Dienst an der DDR versehen haben. Und sie hütet sich auch davor, in ostalgische Larmoyanz zu verfallen. Zum 20. Mauerfalljubiläum kommt ein solcher Film gerade recht, der zweifellos auch ein bisschen Mut macht. Für die optimistischen, unternehmungslustigen Jüngeren ist sie immerhin schon näher gerückt, die „Frohe Zukunft“.


Frohe Zukunft
D 2008.
Regie: B. Bodau.
88 Min.
Seit November im Kino

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