Staunen über soviel Arroganz und so wenig Würde

Filmrezension: Zur falschen Zeit am falschen Ort

Es war im Sommer 2002 im brandenburgischen Potzlow, als sich das Unfassbare ereignete: Drei Jugendliche hatten den schüchternen, zum Stottern neigenden 17-jährigen Marinus einen ganzen Tag lang gefoltert, dann brutal getötet und in einer Jauchegrube verscharrt. Vier Monate lang blieb die Leiche damals spurlos verschwunden, bis Matthias, einer der Täter, sie schließlich ausbuddelte. Schlagzeilen erschütterten das ganze Land.


Die Frankfurter Filmemacherin Tamara Milosevic hat drei Jahre lang gewartet, um weiter nach Antworten zu suchen. Das Verbrechen ist vergangen und verdrängt, doch die Gesellschaft, die es ermöglichte, hat sich nicht verändert:  Jugendliche vertreiben sich die Zeit mit geistlosen PC-Spielen, vernebeln ihren Frust mit Alkohol und Haschisch. Die Erwachsenen geben Plattitüden von sich und zeigen sich ungerührt und stumpf gegenüber dem Grauen, das sich da neben ihrer Haustür zugetragen hat. „Eltern von Problemkindern müssten sich halt Rat von Fachleuten holen“, meint der Bürgermeister, und den Vater von Matthias ärgert es, dass seinen Sohn die Erinnerung lähmt. Es müsse doch mal Schluss sein, sagt er, „wir sind doch nicht die Schuldigen, die wurden doch bestraft.“
Dass ausgerechnet dieser Matthias trotz solch dumpfem Umfeld menschliche, sensible Regungen zeigt, grenzt schon an ein Wunder. Die Regisseurin war gut beraten, ihn in den Mittelpunkt ihres Films zu rücken, denn an seiner tragischen Biografie zeigt sich die ganze Tragweite des Dilemmas, wenn einer „zur falschen Zeit am falschen Ort“ ist. Und zwar seine ganze Kindheit lang. Es ist ein Erkenntnisschock, der den Jungen wach gerüttelt hat, dass die Gewaltorgie jeden hätte treffen können. „Wie dumm sind die Menschen“, sagt er, „das macht mir Angst“. Offen gibt er zu, dass er lange Zeit wie alle anderen die Schule geschwänzt und geklaut hat. „Manchmal ist mir alles egal, dann seh’ ich schwarz, dann tick ich nicht mehr richtig“ – so beschreibt er das eingerastete Lebensgefühl in der Potzlower Clique. Aber seit einiger Zeit bemüht er sich nach Kräften, sein Leben wieder in den Griff zu bekommen. Und das, obwohl seine Eltern ihn für einen Versager halten. Dabei sind sie es, die versagt haben. Und ausgerechnet der Vater, der unter den vielen Wende-Verlierern noch zu den wenigen zählt, die einen festen Job haben, produziert sich mit geradezu makabren Späßen vor der Kamera: Fassungslos muss der Zuschauer mit ansehen, wie er den betrunkenen „Dorftrottel“ in voller Kleidung bei einem Picknick am See ins Wasser scheucht, oder als verkleideter Operations-Arzt mit dem Messer auf andere zugeht. Da schüttelt selbst Matthias ratlos den Kopf: „Ich verstehe meine eigenen Eltern nicht“. Und die wiederum haben so wenig Einfühlungsvermögen und Liebe für ihren Sohn, dass sie ihn am Ende ins Internat abschieben. „Wunderbar, endlich ist er weg“, sagt die Mutter.
„Zur falschen Zeit am falschen Ort“ ist ein bewegender, zutiefst verstörender und beängstigender Film, der einen mit offenem Mund staunen lässt über so viel Ignoranz und so wenig Würde. Eine Studie, die nicht nur über ein deprimierendes Leben in der ostdeutschen Provinz aufklärt, sondern ganz generell über die Verlierer unserer Gesellschaft, für die ein Klima aus Gewalt, Frust, Arbeitslosigkeit, Langeweile und Gleichgültigkeit immer mehr zur Normalität wird, denkt man nur an die desolaten Zustände und Gewalteskalationen an Berliner Hauptschulen, über die derzeit viel diskutiert wird.

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