Filmtipp: „White Angel“ 

„White Angel – Das Ende von Marinka“. Foto: Weltkino Filmverleih

Der Eröffnungsfilm des 66. Internationalen Leipziger Festivals für Dokumentar- und Animationsfilm DOK hätte eindrücklicher nicht sein können: Das Grauen vermittelt sich über Wackelbilder einer Action-Cam – unweigerlich entsteht eine Assoziation zu Ego-Shooter-Spielen. Aber hier wird nicht geschossen, sondern gefahren, gerannt, geräumt, geholfen. Als Zuschauende sind wir mitten im Krieg – aber auf der Seite der Polizist*innen und Helfer*innen, die mit einem weißen Transporter, den die Bevölkerung „weißer Engel“ nennt, Menschen aus der ukrainischen Kleinstadt Marinka in der Provinz Donezk evakuiert.

Die Bilder stammen von der Helmkamera des Polizisten Vasyl. Man erlebt mit, wie der Hauptprotagonist des Films und seine Mitstreiter unermüdlich auf verängstigte Menschen einreden, sich in Sicherheit bringen zu lassen. Wie sie immer wieder losfahren, durch eine zunehmend zerstörte Stadt, von der nichts als Trümmer übrigbleiben werden. Wie sie anpacken, Kinder tragen und Alte stützen, Zivilist*innen aus der Schusslinie holen, später Verletzte retten und auch Tote aus der zerstörten Stadt bergen.

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf den Button unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Mehr Informationen

Im Frühjahr 2022 war die Kleinstadt Marinka, die bereits seit 2014 immer wieder durch prorussische Separatisten attackiert worden war, mit schwerer Artillerie beschossen worden. Bis September 2022 mussten praktisch alle der damals noch knapp 10.000 Einwohner*innen die Stadt verlassen. Journalist*innen konnten zum Zeitpunkt des Angriffs nicht in dieses Gebiet vordringen.

Ein halbes Jahr nach dem Ende des Bombardements auf Marinka kehrten der Leipziger Investigativjournalist Arndt Ginzel und sein Team in den Osten der Ukraine zurück und fanden die Überlebenden von Marinka. Sie ließen Retter und Gerettete die Bilder der Action-Cam kommentieren. In den Gesichtszügen des Polizisten Vasyl haben sich der monatelange Stress, die übermenschliche Anstrengung, die Sorge um seine Familie, eingegraben. Die Betroffenen sprechen erstaunlich ruhig über Verlust, Schmerz und Trauer, aber auch von Hoffnungen und Träumen, von der Rückkehr in ihre Heimat, den Wiederaufbau ihrer Stadt. So wird „White Angel – Das Ende von Marinka“ ein Zeugnis der Sehnsucht nach Menschlichkeit und Frieden. Der Film entlarvt aber auch die verlogenen Verlautbarungen des Putin-Regimes zu ihren „Aktionen“ im Osten der Ukraine, denn die Bilder von Vasyls Action-Cam gehören zu den wenigen Dokumenten eines fürchterlichen Angriffs auf diejenigen, die Putin vorgab schützen zu wollen: Größtenteils russisch sprechende Ukrainer*innen, die in Marinka zu Hause waren.

Ende September wurde Regisseur Arndt Ginzel mit dem Deutschen Fernsehpreis für seine Ukraine-Berichterstattung geehrt. Nun kommt sein langer Film „White Angel – Das Ende von Marinka“ bundesweit in die Kinos.


„White Angel – Das Ende von Marinka“. D 2023. Regie: Arndt Ginzel. Kinostart am 19.10. 23

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Spanien: Als Terrorist beschuldigt

Der katalanische Investigativjournalist Jesús Rodríguez hat Spanien verlassen, um ins Exil in die Schweiz zu gehen. Ihm wird von Ermittlungsrichter Manuel García-Castellón die Unterstützung terroristischer Akte vorgeworfen. Die Schweiz sieht im Vorgehen der spanischen Justiz gegen den Katalanen einen „politischen Charakter“.
mehr »

Trauer um Sigrid Thomsen

Die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di trauert um Sigrid Thomsen. Sie war von 2018 bis 2022 Vorsitzende des dju-Landesbezirks Hamburg/Nord und hat die Arbeit in der dju in dieser Zeit entscheidend geprägt und vorangebracht.
mehr »

Quartalsbericht zur Branche liegt vor

Einen detaillierten Blick auf das Geschehen in der Medienbranche wirft der jetzt wieder vorliegende Quartalsbericht. Er speist sich aus den Auswertung von Internetseiten, Zeitungen, Fachzeitschriften, Informationsdiensten, Verbands- und Unternehmenspublikationen. Ein Merkmal des ersten Monate dieses Jahres: Viele Übernahmen und eine Werbekonjunktur. 
mehr »

Buchtipp: Sprache des Kapitalismus

Über gendersensible Sprache läuft schon seit Jahren eine hochemotionale Debatte. In Bayerns Schulen, Hochschulen und Behörden gilt seit dem 1. April sogar ein Genderverbot. Über Begrifflichkeiten wie „steigende Preise“ oder Finanzkrisen, die wie ein „Tsunami“ über uns kommen, wird dagegen weniger gestritten. Sie beherrschen längst unser Denken und Sprechen, sind in unseren Alltag eingedrungen. Wer in diesem Wirtschaftssystem sozialisiert wurde, nutzt sie automatisch, ohne weiter darüber nachzudenken.
mehr »