Freie bestimmen die Spielregeln

Manfred Kloiber, Bundesvorsitzender der Fachgruppe Medien in ver.di
Foto: Murat Türemis

Meinung

Ein Schelm, der sich Böses dabei denkt: Zu Beginn des Jahres 2018 stellte Deutschlandradio seine Personal- und Honorarbuchhaltung um. Bislang hatte das ZDF die Endabrechnung von Gehältern, Honoraren und tariflichen Leistungen für den kleinen bundesweiten Radiosender aus Köln und Berlin erledigt. Von da an sollte der WDR diesen Service übernehmen. Doch Deutschlandradio wollte nicht nur den Dienstleister wechseln, sondern auch die Spielregeln ändern.

In einem Informationsschreiben an die freien Mitarbeitenden kündigten der Verwaltungsdirektor und der Programmdirektor an: „Im Zuge des Systemwechsels werden wir ein höchstrichterliches Urteil umsetzen. Wiederholungshonorare werden zukünftig nicht mehr bei der Berechnung von tariflichen Sozialleistungen einbezogen, da sie in steuerlicher Hinsicht nicht zu den Honoraren gehören, sondern als Lizenzen abzurechnen sind.“ Damit wollte Deutschlandradio nach Jahrzehnten zu einem Modus wechseln, so wie er beim WDR schon lange praktiziert wird – obwohl auch hier diese Praxis strittig ist. Verwaltungsvereinfachung zu Lasten von tariflichen Ansprüchen frei Mitarbeitender?

Das angeführte Urteil des Bundesfinanzhofes (VI R 49/02) aus dem Jahr 2006 jedenfalls hatte mit den Urlaubsansprüchen von Freien nur wenig zu tun. Dem ver.di-Senderverband Deutschlandradio erschien es lediglich vorgeschoben, vermutlich um die Prozesse bei Deutschlandradio mit denen des nun abrechnenden WDR anzugleichen. Deshalb entschloss sich ver.di, eine sogenannte Verbandsklage anzustrengen, bei der geklärt werden sollte, wie die Bestimmung zur Berechnung der Urlaubsgeldhöhe im maßgeblichen Urlaubstarifvertrag für arbeitnehmerähnliche Personen auszulegen ist. Der DJV schloss sich später der Klage an. In besagtem Urlaubstarifvertrag ist von der „Summe der Entgelte“ die Rede, die Mitarbeitende im Bemessungszeitraum erhalten haben. Plötzlich sollten also Wiederholungshonorare nicht mehr zu den Entgelten gehören, weil es ja Lizenzzahlungen seien, die in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit einer Arbeitsleistung stehen würden. Urlaub sei man aber nur für geleistete Arbeit schuldig und nicht für die Einräumung von Nutzungsrechten. Jahrzehnte sah Deutschlandradio das anders. Sowohl vor dem Arbeits- als auch dem Landesarbeitsgericht Köln kam Deutschlandradio aber mit seiner Argumentation nicht durch. Auch das Bundesarbeitsgericht hat nun entschieden, dass diese Argumentation nicht zieht.

Das ist auch richtig so, denn damit stoppt das Bundesarbeitsgericht in einem kleinen, aber nicht unwichtigen Detail, das langsame finanzielle Ausbluten von Urheberinnen und Urheber besonders im Hörfunkbereich. Sie leiden schon seit Jahren unter dem unseligen Trend im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, Kreative wie Autor*innen oder Regisseur*innen immer stärker unter wirtschaftlichen Druck zu setzen und gleichzeitig Ihre Werke universell zu nutzen. Obwohl die Wiederholeritis im ÖRR ein fast schon peinliches Niveau angenommen hat, profitieren Urheber*innen immer seltener davon, dass Ihre Werke mehr als einmal genutzt werden. Durch die Bereitstellung zum Download oder als Podcast sind Zweitverwertungsmöglichkeiten nahezu vollständig ausgefallen, Übernahmen durch andere Sender sind drastisch zurückgegangen. Verbliebene Neu-Produktionen werden immer mehr in Sender ohne schützenden Urhebertarifvertrag oder gleich in nicht tarifgebundene Produktionsfirmen verlagert. Autor*innen im Tagesgeschäft bekommen immer häufiger Honorare, die einen Wiederholungsanspruch von vornherein ausschließen. Die in Planung befindlichen Kompetenzzentren der ARD treiben den Urheber*innen zusätzlichen Angstschweiß auf die Stirn. Durch die bislang geltende Rechnung, dass Kreative von Ersthonoraren plus Wiederholungshonoraren plus Sozialleistungen leben, wird von den Sendern ein immer dickerer Strich gemacht.

Da ist jedes Urteil höchst willkommen, das die schrumpfenden Ansprüche der Kreativen sichert. Und wichtig ist auch, dass die Sender erkennen, dass sich Tarifverträge nicht so leicht durch Verwaltungskniffe aushebeln lassen. Und für ver.di als Gewerkschaft der Kreativen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist dieses Urteil Ansporn: Zusammen müssen wir uns der Digitalisierung der Programme und der Ausspielwege stellen und in den Sendern für gerechte und zukunftssichere Honorierungsmodelle sorgen. Das moderne Urheberrecht mit seinem Anspruch auf angemessene Vergütung unterstützt uns dabei.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Filmtipp: Der Sohn des Mullahs

Nahid Perssons Sarvestanis Dokumentation „Der Sohn des Mullahs“ zeigt, wie gefährlich – und notwendig – unabhängiger Journalismus im Iran ist. Sie begleitet Roohollah Zam, der sich  sich in Frankreich halbwegs sicher fühlt. Von hier aus betreibt er seinen Nachrichtenkanal, veröffentlicht Berichte über geheime Dokumente, die ihm aus iranischen Regierungskreisen zugespielt werden.
mehr »

Filmtipp: Die Mutigen 56

Hin und wieder ist es gar nicht verkehrt, sich bewusst zu machen, wie gut es uns in vielerlei Hinsicht geht. Jedenfalls gemessen an anderen Zeiten. Vieles von dem, was uns heute selbstverständlich erscheint, musste erst erkämpft werden, zum Beispiel die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall; davon erzählt das sehenswerte Dokudrama „Die Mutigen 56 – Deutschlands längster Streik“.
mehr »

Trauer um Sigrid Thomsen

Die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di trauert um Sigrid Thomsen. Sie war von 2018 bis 2022 Vorsitzende des dju-Landesbezirks Hamburg/Nord und hat die Arbeit in der dju in dieser Zeit entscheidend geprägt und vorangebracht.
mehr »

Das Manifest für die Schublade

Schwein gehabt: Das „Manifest für einen neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland“, (meinungsvielfalt.jetzt) wurde weder ein Fest für die Freunde einer völlig verstrahlten medienpolitischen Debatte, noch eines für die Gegner des öffentlich-rechtlichen Rundfunks aus dem konservativen, neoliberalen und rechts-außen Lager. Ein paar Aufmerksamkeitszeilen in den Medienspalten der Zeitungen und wenige Interviews im Radio – das war’s. Glücklicherweise ist das Manifest fast schon wieder in der Versenkung verschwunden. Dort gehören diese Halbwahrheiten und unausgegorenen Neustartvisionen für meinen Geschmack auch hin.
mehr »