Einmischen mit mehr Profil

ver.di-Bundeskongress: Integrationsprozess unterschiedlich fortgeschritten

Der 1. Ordentliche Bundeskongress von ver.di unter dem Motto: „Im Wandel stark“ glich in vielerlei Hinsicht einem Marathon. Die Delegierten hatten in sieben Tagen einen 300seitigen Geschäftsbericht entgegenzunehmen und über 1197 Anträge sowie 46 Initiativ- und Änderungsanträge zu entscheiden. Die umfangreiche politische Debatte sollte eine wegweisende für ver.di sein.

Lange (zu viele?) Reden von Politikern waren auszuhalten. Unzählige Kilometer mussten im Berliner ICC zurückgelegt werden zwischen dem Tagungssaal, den vielfältigen Infoständen, dem Internetcafe, den Restaurants …, Pfadfindererfahrungen waren hilfreich. Und es galt, unter den mehr als Tausend Delegierten und nahezu 450 Gästen, alt(gewerkschafts)bekannte Gesichter auszumachen, aber auch neue für sich, für das Gemeinsame in ver.di, zu entdecken.

Es sei unsere Aufgabe, sich „mit starker Stimme einzumischen“ und „angesichts des strategischen Kurswechsels von Rot-Grün“ das „eigene Profil zu schärfen“, so Frank Bsirske in seinem Grundsatzreferat. Ver.di sei weder der „Transmissionsriemen einer Partei noch gar der verlängerte Arm einer Regierung.“ Für ver.di werde auch künftig die Tarifpoiltik das wichtigste Handlungsfeld sein. „Aber machen wir uns nichts vor: Wir werden in der Tarifpolitik nicht wettmachen können, was sozialpolitisch alles verloren zu gehen droht.“ Er forderte zum Widerstand gegen die derzeitigen Rentenpläne auf. Millionen Menschen würden bei einer Erhöhung des Rentenalters auf 67 Jahre zu „zwei Jahren mehr Arbeitslosigkeit“ verurteilt werden. Bsirske prangerte die massiven Angriffe auf den Sozialstaat und die derzeitige Steuerpolitik zu Lasten künftiger Generationen an. Er wehrte sich gegen eine Neudefinition von Gerechtigkeit. Denn: „Wer über Gerechtigkeit redet und bestehende Ungleichheiten in der Vermögensverteilung nicht thematisiert, der streut Sand in die Augen.“

Das Fazit von Frank Bsirske zweieinhalb Jahre nach der Fusion der fünf Einzelgewerkschaften war. „ver.di hat sich bewährt.“ Unter harten Bedingungen habe es auch beachtliche Erfolge gegeben vor allem in den Tarifrunden. Die „Verbindlichkeit von Tarifverträgen“ werde ver.di mit den anderen Gewerkschaften gemeinsam verteidigen. Er warnte: „Wer mit Flächentarifverträgen Lagerfeuer machen wolle, habe mit dieser Erinnerung an 1933 die Schamgrenze überschritten.“

Schwierige Strukturdebatte

Nach außen gebe ver.di zwar ein Bild der Geschlossenheit, aber im Innern sei der Integrationsprozess unterschiedlich fortgeschritten, bewertete die Gewerkschaftsratsvorsitzende Margrit Wendt das Zusammenwachsen der verschiedenen Teile von ver.di. Dabei seien Ehrenamtliche weiter als Hauptamtliche. Was nach Ansicht des Gewerkschaftsrates an herkömmlichen Denkmustern und Machtstrukturen liege. „In ver.di mehr bewegen, heißt auch, sich aufeinander zu bewegen“, rief sie den Delegierten zu. Ob die Strukturdebatte in ver.di, die dann mit Beginn der Antragsberatung einsetzte und nach dem Kongress fortdauert, dafür geeignet sein wird, muss sich erst zeigen. Zwar wurde im 25seitigen Hauptantrag – der von vielen Delegierten als zu umfangreich und unübersichtlich kritisiert wurde – die Matrix von ver.di als bewährte Struktur hervorgehoben. „Hohe Fachlichkeit“ werde „bei hoher betrieblicher und regionaler Präsenz gewährleistet“, heißt es. Dennoch kann dies nicht darüber hinweg täuschen, dass der Beschluss, Personal von Fachbereichen auf die Bezirksebene zu verlagern, einigen Fachbereichen Schwierigkeiten bereiten wird, ihre Aufgaben weiterhin zu erfüllen. Betroffen davon ist neben anderen der Fachbereich Medien, Kunst und Industrie, bei dem damit auch die bisherigen Budgets in Frage gestellt sind. Vom Gewerkschaftsrat werden daher schnelle produktive Lösungen und Entscheidungen erwartet, um die Arbeitsfähigkeit der jeweiligen Bereiche zu sichern, so Klaus-Peter Hellmich, freier Autor und Fernsehregisseur, Mitglied im Präsidium des Bundesfachbereichsvorstandes Medien, Kunst und Industrie.

Im Folgenden werden jene Anträge und Beschlüsse hervorgehoben, die für den Bereich Medien von spezifischer Bedeutung sind und zum größten Teil von seinen Mitgliedern eingebracht wurden. Vorausgesetzt wird an dieser Stelle das Wissen, dass die Kritik am Hartz-Papier der Regierung, an der Gesundheitsreform und an den Angriffen auf die Tarifautonomie, die sich in zahlreichen Anträgen niederschlug und in ebenso vielen Beschlüssen gipfelte, natürlich ebenso Anliegen der Medienschaffenden in ver.di wie aller anderen Kolleginnen und Kollegen ist. Nachzulesen sind alle Beschlüsse des Gewerkschaftstages im Internet unter www.verdi.de/Bundeskongress. Gleichfalls wird auf die Berichterstattung von „Publik“ über den Kongress verwiesen.

Der Bundeskongress verabschiedete die von der dju eingebrachte „Charta für Qualität“ (Antrag B 34). In dieser heißt es unter anderem: „Journalismus und Medien nehmen eine öffentliche Aufgabe wahr, für die Artikel 5 Grundgesetz einen besonderen Schutz gewährleistet. Daher brauchen beide gesellschaftlich akzeptierte Leitbilder. Medienunternehmer und Journalistinnen und Journalisten sind aufgefordert, gemeinsam solche Leitbilder zu formulieren, Qualitätsstandards, journalistische und ethische Grundsätze und Ziele gemeinsam zu definieren und innere Pressefreiheit und die Mitwirkung der Journalistinnen und Journalisten dabei zu sichern.“ (M 05 / 2003)

ver.di will sich nach dem Willen des Bundeskongresses „dem Wandel der Arbeitswelt stellen“ und sich „als die bundesdeutsche Gewerkschaft für einzeln arbeitende Selbständige“ profilieren. Auf allen Ebenen sollen „die besonderen Arbeits- und Betreuungsanforderungen der Selbständigen“ Beachtung und entsprechende Betreuung finden (B 36). Dagegen wurden die Anträge: „Keine Gewerbesteuer für Freiberuflerinnen und Freiberufler“ (und ebenso für Künstlerinnen und Künstler), u. a. eingebracht von der Bundeskommission für Freie und Selbständige, abgelehnt (C 6 / C 7). „Es ist nicht einzusehen, dass in einer Zeit, in der Großunternehmen wie die Daimler AG, sich um die Gewerbesteuer drücken können, ausgerechnet Freiberuflerinnen und Freiberufler wie erfolgreiche Schriftsteller, welche die Gemeindestruktur nicht mehr belasten, als jeder normale Einwohner, die Gemeindefinanzen sanieren sollen“, hieß es in der Begründung. Dieser Antrag wurde aufgrund der knappen Zeit, wie sehr viele andere auch, en bloc abgestimmt. Eine Diskussion dazu und damit der Austausch über die unterschiedlichen Sichten auf die Gewerbesteuer in ver.di gab es demzufolge nicht. (M 10 / 2003)

Mit ihrer Zustimmung zu medienpolitischen Anträgen (B 42, B 43, B 45) der RFAV, der dju und des Medienfachbereiches setzten sich die Delegierten für das Recht auf freien Zugang zu den Massenmedien, für klare Rahmenbedingungen bei der digitalen Verbreitung von Fernsehen und Hörfunk sowie der Filmwirtschaft, gegen Medienkonzentration – für Transparenz und Angebotsvielfalt ein. (M 7 – 8 / 2003)

Eine Reihe von angenommenen Anträgen bestimmen die Tarif- und Beschäftigungspolitik von ver.di. So werde weiterhin für ein Tariftreuegesetz (B 80 ff) gestritten. Es gelte, Lohn- und Sozialdumping einen Riegel vorzuschieben, begründeten die Gewerkschafter die Notwendigkeit, öffentliche Aufträge nur an Firmen zu vergeben, deren Beschäftigte nach ortsüblichen Tarifen bezahlt werden.

Die dju setzt sich erneut für die „ersatzlose Streichung des Tendenzschutzparagrafen“ (§ 118 Betriebsverfassungsgesetz) ein und damit eine Stärkung der betrieblichen Mitbestimmung in den Medien und in anderen vom Tendenzschutz betroffenen Unternehmen, was die Zustimmung der Delegierten fand (B 105, B 106). ver.di soll dafür „eine Kampagne in Deutschland und im Rahmen der EU“ vorbereiten. In den jetzigen EU-Staaten sowie in den Beitrittsländern werde sich ver.di für ein „Netzwerk von Betriebsräten und Gewerkschaften“ engagieren, „um auf die Konzentrationsbewegung der großen Medienkonzerne reagieren zu können und die Informationsflüsse und Handlungsmöglichkeiten der Betriebsräte zu verbessern“. Die Gründung Europäischer Betriebsräte (EBR) soll gefördert werden (B 102).

Gegen Krieg und für friedliche Konfliktlösungen wird ver.di auch künftig eintreten. Der Gewerkschaftsrat beauftragte den Bundesvorstand, sich „an der Entwicklung von geeigneten Strategien zu zentralen sicherheits- und friedenspolitischen Fragen zu beteiligen“ (B 141 ff).

Eigenständige «M» erhalten

Ein gutes Dutzend Anträge (E 81 ff) beschäftigte sich mit unserer Mitgliederzeitung „Publik“. Kritik an Themenauswahl, Schreibstil und Layout wurde als Arbeitsmaterial an den Gewerkschaftsrat weiter geleitet. Ansinnen, den Versand von „Publik“ zu ändern oder die Anzahl der Ausgaben weiter zu reduzieren, wurden abgelehnt.

Ein Antrag zur „ungeschmälerten und verlässlichen finanziellen Ausstattung“ von „Kunst und Kultur“ wurde in die Hände des Gewerkschaftsrates gelegt.

Der Antrag zum Erhalt von „M – Menschen Machen Medien“ wurde angenommen. Darin heißt es u. a., dass ver.di das Erscheinen von «M» „als eigenständige mitgliederspezifische Monatszeitschrift“ sicher stellt. „Es sollten sowohl Umfänge (Seitenzahl) wie auch die Zahl von mindestens zehn Ausgaben pro Jahr wie bisher gewährleistet sein.“ Bei einem Vertrieb zusammen mit „Publik“ sei dafür Sorge zu tragen, dass alle Interessierten Mitglieder des Medienfachbereiches die jeweils aktuelle «M» erhalten. „Gegebenenfalls müssen dazu Budgets umgeschichtet bzw. neu verteilt werden.“ Alle Anträge zu den Publikationen wurden ebenfalls en bloc verabschiedet.

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