Für ein Bündnis für Arbeit, aber gegen weitere Einkommensopfer

Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ist die wichtigste Aufgabe

Von den Bedingungen für ein „Bündnis für Arbeit“ bis zur gewerkschaftlichen Betriebsarbeit spannte sich der Bogen, den IG-Medien-Vorsitzender Detlef Hensche mit dem Rechenschaftsbericht des Geschäftsführenden Hauptvorstandes den Delegierten zur Diskussion stellte. Der Bonner Regierungswechsel erlaubte neue Akzentuierungen.

Der wichtigste Auftrag für die neue Regierung heiße, die Arbeitslosigkeit zu überwinden. „Dies ist und bleibt der Schlüssel für die Lösung fast aller sozialen Probleme, vom Flächentarifvertrag bis zur Sozialversicherung“, betonte Hensche. In erster Linie stehe zwar die Regierungskoalition in der Verantwortung, doch auch die Gewerkschaften seien gefordert. Ein Bündnis für Arbeit mache dann einen Sinn, wenn eine Arbeitsumverteilung erreicht werden könne. Hier sei ein Zusammenwirken von Gesetzgeber und Tarifvertragsparteien unerläßlich. Wer vor allem Langzeitarbeitslosen helfen wolle, der dränge sie nicht in Dienstbotenjobs, sondern starte eine Qualifizierungsoffensive, forderte Hensche. Erfreulich sei, daß der „sozialpolitische Skandal von Teilzeitverhältnissen ohne sozialen Schutz“ endlich beseitigt werden solle. Keine Geschäftsgrundlage für ein Bündnis für Arbeit könne sein, „daß die Gewerkschaften auf dem Altar einer imaginären Standortpolitik noch weitere Opfer bringen“, erklärte Detlef Hensche unter dem Beifall der Delegierten. Und er bat nachdrücklich darum, die mageren Tarifergebnisse der letzten Jahre nicht als „Vorleistungen“ oder „moderate Lohnpolitik“ zu bezeichnen. Sie seien Niederlagen und keine tarifpolitische Vernunft. Der Kurs des Sparens sei nicht vernünftig gewesen, und er dürfe nicht fortgesetzt werden.

Kein Bündnis für Dumpingpolitik

Detlef Hensche warnte vor einem Bündnis für den Standort: „Es gibt keine Lösung unserer sozialen Probleme auf Kosten anderer Volkswirtschaften. Es muß Schluß sein mit dem Wettlauf der Wahnsinnigen, die sich durch Dumpingpolitik wechselseitig unterbieten und die nationalen Volkswirtschaften und Gesellschaften gleichsam zu Tode sparen. Dieser Wettlauf kennt auf unserer Seite nur Verlierer.“ Deshalb müsse auch ein europäischer Beschäftigungspakt geschaffen werden. Intensiv beschäftigte sich Detlef Hensche mit dem wichtigsten gewerkschaftlichen Aktionsfeld, der gewerkschaftlichen Betriebsarbeit. Die Gewerkschaften stünden hier vor Problemen, die ihre Wurzeln zum Teil in objektiven Veränderungen hätten. Dazu gehöre die Entwicklung von Großbetrieben zu kleinbetrieblichen Strukturen. Daß dies bisweilen irrationale Züge annehme, könne im öffentlich-rechtlichen Rundfunk studiert werden, insbesondere beim WDR und beim MDR. Bedauerlicherweise sei das von der IG Medien ins Leben gerufene Projekt „Klein- und Mittelbetriebe“ ins Stocken geraten. Nun müsse ein zweiter Anlauf genommen werden.

Sozialer Schutz für freiberuflich Tätige

Die Gestaltungsräume für die gewerkschaftliche Tarifpolitik wurden von Detlef Hensche intensiv ausgeleuchtet. Anhand der letzten Tarifrunden zeigte er die Schwierigkeiten auf, vor denen die Gewerkschaften stehen, forderte aber auch das Nutzen von Handlungsmöglichkeiten ein. Nachdrücklich setzte er sich für die Sicherung des Flächentarifvertrags ein. Dazu sei es notwendig, sich auf den beschwerlichen Weg zu begeben, die Verteidigung der Tarifbindung in die Betriebe zu verlagern. Ein immer wichtiger werdendes Tätigkeitsfeld sei die Herstellung sozialen Schutzes für die freiberuflich Tätigen. Die Künstlersozialversicherung sei ein gutes Beispiel. Nach langen Vorarbeiten habe die IG Medien den Entwurf eines Künstlergemeinschaftsrechts vorgelegt, eine Variante des Goethegroschens. In Bonn stünden dafür die Zeichen günstig. Im übrigen baue die IG Medien ihre Leistungen für freiberufliche Mitglieder aus. In allen Landesbezirken gebe es mittlerweile eine Freienberatung. In Seminaren würden Themen vom Steuerrecht bis zu urheberrechtlichen Fragen behandelt.

Schluß machen mit dem Leitbild vom schlanken Staat

Zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und zur Herstellung sozialer Sicherheit gehöre auch, so Detlef Hensche, endlich Schluß zu machen mit dem Leitbild vom schlanken Staat. Die Folgen der Verschlankungspolitik sei nicht allein die wachsende Arbeitslosigkeit, sondern auch der Verlust an Lebensqualität durch Vernachlässigung der gesellschaftlichen Infrastrukturen durch Reduzierung öffentlicher Dienstleistungen. „Die Vielfalt des kulturellen Angebots, die Förderung der Künste und nicht zuletzt der musischen Bildung sind ebenso wichtig wie die Förderung solcher Fähigkeiten, die vornehmlich der wirtschaftlichen Verwertung dienen. Bildung hat weiter gesteckte Ziele, als allein ,humanes Kapital‘ für den Weltmarkt zu machen.“

Nachdrücklich forderte Detlef Hensche von der neuen Bundesregierung die Rücknahme des Lauschangriffs und der Asylrechtsbeschneidungen. Noch besorgniserregender seien die Tendenzen der Europäischen Union, den Festungswall um die Wohlstandsregionen in West- und Nordeuropa endgültig zu schließen. „Wir setzen dagegen: Wer meint, den Wohlstand – der immer auch aus anderen Ländern herrührt – durch Mauern und Abschottung verteidigen zu können, wird ihn letztlich aufs Spiel setzen. Es gibt keine Insel des Wohlstands in einer Umgebung von Armut“, mahnte Hensche. Eine Verschiebung der politischen Bewertung weg von den qualitativen Bedingungen von Fortschritt und ziviler Gesellschaft hin zu den harten Thesen von Ökonomie und Standort stellte Detlef Hensche auch in der Medienpolitik fest. Die Medienkonzentration habe sich internationalisiert, eine Konzentrationskontrolle finde nicht statt. Im Gegenteil: „Regierungen tun alles, um ihnen den Weg zu ebnen.“ Ärgerlich sei die „ökonomische Beckmesserei“ aus Brüssel in Sachen Buchpreisbindung und Rundfunkgebühren. Entschieden müsse den Versuchen entgegengetreten werden, den Finanzausgleich zwischen den ARD-Anstalten infrage zu stellen.

Die Diskussion über den Geschäftsbericht war so „breit“ und „facettenreich“ wie die Mitgliedschaft der IG Medien mit ihrem differenzierten Interessen- und Konfliktpotential. Der Tenor zur Politik der neuen Bundesregierung zeigt Skepsis, ist aber verhalten optimistisch. Ein wirklicher Ansatz zur Umkehr der Umverteilung wurde noch nicht erkannt. In der „Supergewerkschaft“ wird keine zwangsläufige Lösung der Probleme gesehen. Die Streik- und Tariffähigkeit müsse aus eigener Kraft gesichert werden. Allerdings dürften die Bereiche der IG Medien in der Mega-Gewerkschaft nicht zu einer Minderheit werden. Gefordert wurde, die Bildung der neuen Gewerkschaft verstärkt unter politischen Gesichtspunkten zu diskutieren. Die unsoziale Politik der Kohl-Zeit und deren Folgen bildeten einen Schwerpunkt der Diskussion. Die soziale Deformation der Gesellschaft und die abnehmende Gestaltungskraft der Gewerkschaften gefährdeten letztlich die Demokratie, schilderten viele Delegierte ihre Einschätzung. Solidarität sei nach wie vor die stärkste Waffe der Gewerkschaften. Diese werde aber schwächer, weil die Gewerkschaften immer mehr Mitglieder verlören. Kritisch angemerkt wurde, auch bei der IG Medien mache sich die Entpolitisierung breit. Es gebe keine Visionen, nur noch Appelle an die Bundesregierung. Viele hätten beim Verteilungskampf eine Schere im Kopf.

Unterstrichen wurde in der Diskussion die Notwendigkeit, die gewerkschaftliche Betriebsarbeit zu verstärken. Nur noch 27 Prozent der Beschäftigten seien von den Betriebsräten erreichbar. Deshalb müsse die Betriebsarbeit dringend neu organisiert werden. Dazu gehöre, so Vorstandsmitglied Gerd Nies, eine branchenbezogene Vernetzung von Betriebsräten. Die Professionalisierung der Mitgliederwerbung und der Mitgliederbetreuung forderte Kurt Haßdenteufel ein.

 

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