Martina Hartung will nicht nur bei der ver.di-Jugend an Hebeln sitzen und Adresse sein
Auf Brüssel Anfang April hatte sich Martina Hartung gefreut: auf das Flair der zauberhaften Altstadt oder das weltbekannte Atomium. Neugieriger aber war sie auf den Besuch des Europäischen Parlaments, die Diskussionen mit jungen belgischen Gewerkschaftern über Betriebsräte und Jugendvertretung, Mindestlohn und Arbeitsumfeld, Strukturen und Netzwerke.
Diese Worte gehen der 29jährigen Studentin der Publizistik, Kultur- und Kommunikationswissenschaft auch in flüssigem Fachenglisch über die Lippen. Schließlich bewegt sich die schlanke, hochgewachsene junge Frau – für die Jugend im ver.di-Bundesfachbereichsvorstand – häufiger auf europäischem Parkett, gehört zum Arbeitskreis Internationales der ver.di-Jugend.
Kommt sie von solchen Treffen zurück, ist Martina fasziniert und ernüchtert zugleich. Gebannt von Chancen der Zusammenarbeit in der europäischen Gewerkschaftsjugend, sie streckt die Fühler aus, entwirft gemeinsame Aktionen. Gebremst von realen Gegebenheiten, den unterschiedlichen Strukturen, die ein Zusammengehen erschweren. „Bei uns machen Jugendarbeit Ehrenamtliche wie ich. Woanders sitzen in den Gewerkschaften nur Hauptamtliche, die auf anderes konzentriert sind.“
Dass es in der internationalen Gewerkschaftsorganisation UNI nur eine halbe Stelle für die Jugendarbeit in der ganzen Welt gibt, findet Martina desillusionierend. Auch auf ver.di Bundesebene würden Jugendthemen zu selten behandelt. Als Vertreterin der Fachbereichsjugend in der zweiten Wahlperiode kämpft sie, dass sich das ändert. „Junge Menschen haben so viel Potenzial, sie können, wollen und sollen verändern. Aber sie müssen verstanden und gefördert werden“, sagt Martina.
Martina ärgert sich, wenn sie JAV-Schulungen vorbereitet, auf Betriebsräte zugeht, die dann erst grübeln müssen, wer ihre Azubis sind und wer eventuell für eine Jugendvertretung infrage käme. Dann kann die Gewerkschafterin – die sich salopp studentisch kleidet, Make-up und Schmuck für nicht so wichtig hält – prinzipiell werden, auf Verantwortung der Betriebsräte für die JAV verweisen.
Andererseits weiß Martina, dass Gewerkschaft auch nicht unbedingt in den Gedanken junger Leute präsent ist, dass sie als schwerfällig und uncool empfunden wird. Mit feiner Ironie nannten sie und andere Azubis deshalb ihr für den Norden gegründetes Netzwerk zur Koordinierung von JAV Arbeit „Nilpferd“. Schon vor nahezu zehn Jahren während ihrer Ausbildung zur Verlagskauffrau an der Schweriner Volkszeitung wollte Martina Ideen von gewerkschaftlicher Jugendvertretung verwirklichen und Interessierte von Schwerin, Hamburg bis Lübeck im Medienbereich zusammenführen.
Ein Nilpferd ist nicht träge
„Das Nilpferd erschien uns als gutes Symbol. Es ist kraftvoll und kann unheimlich schnell sein – wenn es will.“ Die Nilpferd-Netzwerkerinnen und Netzwerker wollten. Sie nahmen die Ausbildungsqualität für Azubis unter die Lupe und entwickelten ein Bewertungssystem, das in Unternehmen Beachtung fand.
Martina ist darauf noch heute stolz und deshalb konsterniert, wenn junge Leute Gewerkschaft nicht mit sich selbst in Verbindung bringen. Sie wurde durch ihre Eltern – die Mutter Lehrerin, der Vater Speditionskaufmann – früh sensibilisiert, für ihre Rechte selbst einzutreten und das Miteinander zu suchen. „Gewerkschaft hat mit mir zu tun, dieses Gefühl ist seitdem in mir immer stärker geworden.“ Daran ändern auch Rückschläge nichts. Wie der, dass sich auf einen Aufruf der Medienjugend im berlin-brandenburgischen ver.di-Regionalblatt Sprachrohr ganze zwei Interessenten meldeten. „Meine Resignation, alles hinzuschmeißen, dauert immer nur eine Nacht. Am nächsten Morgen hab ich mich gefangen“, sagt Martina. „Wir bauen eben zunächst im kleinen Kreis was auf.“
Medien.k.ind ist solch ein Jugendprojekt im Fachbereich Medien, Kunst und Industrie mit acht Mitstreiterinnen und Mitstreitern. Bundesweit funktionierende Jugendstrukturen zu etablieren, wäre Martinas Traum. In Berlin fängt sie jetzt an, in die Berufsschulen zu gehen, mit Azubis Fragen nach Ausbildungsbedingungen, Jobchancen und Bezahlung aufzugreifen und zu erklären, was Gewerkschaften dafür tun. „Hemmschwellen müssen wegfallen.“
Bei allem Enthusiasmus – sie sitzt auch für die Stipendiatenschaft im Kuratorium der Hans-Böckler-Stiftung – weiß Martina, dass sie sich nicht verzetteln darf. Denn eigentlich steht das Studium an der Humboldt-Uni und der FU an erster Stelle. Ende 2009 will sie fertig werden, ihre Abschlussarbeit plant sie zu Inszenierungen in der Politik, zu Personalisierung und Körperlichkeit zu schreiben. Und später – aber das ist noch unkonkret, wie sie zugibt – will sie in der politischen Kommunikationsberatung tätig sein oder auf politischer Ebene Arbeitswelt gestalten. „Ich will an Hebeln sitzen, will Adresse sein.“
Wenn sie sich zu viel vornimmt, holt sie ihr Freund Carsten auf den Boden der Tatsachen zurück. Der Biologe schreibt – nebst Wirtschaftsstudium – an seiner Dissertation im Bereich Immunologie an der Charité und „strukturiert als Naturwissenschaftler einfach nüchterner.“ An seinem systematischen Denken reflektiert Martina ihre Vorstellungen zu Gewerkschaftspolitik und Visionen zur Jugendarbeit. Durch ihn auch fühlt sich die in Schwerin Aufgewachsene endlich in Berlin angekommen. Dazu trägt die Dachgeschosswohnung in Wedding bei – mitten im Soldiner Kiez, der als sozialer Brennpunkt verschrien ist. „Davon merken wir nichts“, entgegnet Martina. „Was wir sehen, ist Bescheidenheit, entspanntes Umgehen vieler Ethnien, eine tolle Kneipenkultur und Kunstszene. Hier wollen wir bleiben.“