Mehr Mitbestimmung in Redaktionen

Menschen in Gruppen

Bild: Shutterstock

Über betriebliche Mitbestimmung wird selten in den Medien berichtet. Dabei ist gerade der Arbeitsplatz ein zentraler Ort von politischer Bildung  – und das gilt auch für Journalistinnen und Journalisten. Sucht man bei Google News, was zuletzt zum Thema betriebliche Mitbestimmung geschrieben wurde, sehen die Treffer ziemlich mau und ziemlich alt aus.

 Der Bundestag hatte im Juni  über die Vergütung von Betriebsräten debattiert. Denn ein BGH-Urteil zur Bezahlung eines früheren VW-Betriebsrats hatte Arbeitgeber und Arbeitnehmervertreter lange verunsichert. Eine Reform soll nun für klarere Regeln sorgen. Eine Meldung von ZEIT online ist da zu finden. Danach kommt lange nichts – nur Infoseiten von Gewerkschaften, der Hans-Böckler-Stiftung und dann noch ein Artikel in der taz vom April. Hier hatten sich die Kollegen kurz vor dem 1. Mai mit dem Thema Demokratie im Betrieb beschäftigt.

Wer berichtet über Mitbestimmung?

Betriebliche Mitbestimmung in den Medien kommt im Grunde kaum vor. Wenn überhaupt, kommt der Betriebsrat von VW zu Wort, mit der Vorsitzenden werden sogar Wortlautinterviews geführt. Aktuell ist der VW-Betriebsrat wieder sehr gefragt, aber im Grunde geht es dann auch nicht um die betriebliche Mitbestimmung oder innere Demokratie im Unternehmen, sondern um die deutsche Automobilwirtschaft und der an ihr hängenden 8 Millionen Arbeitsplätze inklusive Zulieferindustrie.

Der Grund ist simpel: Themen betrieblicher Mitbestimmung sind schwer zu pitchen im Redaktionsalltag, erst Recht, wenn Quoten, Klicks und Abos entscheiden, wenn am Ende die Migrationsdebatte, launige ich-Texte oder FAQs zu Geld- und Erziehungsfragen mehr Reichweite bringen als die etwa die Gründung von Betriebsräten bei Kurierdiensten und Plattform-Crowdarbeitenden.

Hinzukommt: Der Wirtschaftsjournalismus liegt am Boden, ist seit vielen Jahren in der Krise. So lautete übrigens auch der Titel einer Studie von Hans-Jürgen Alt und Wolfgang Storz, die bereits 2010 bei der Otto-Brenner-Stiftung erschienen war. Denn wer berichtet über Wirtschaft? Financial Times Deutschland, Handelsblatt, die Wirtschaftswoche und vielleicht noch Capital oder Brand Eins. Die FAZ, ein bisschen Süddeutsche, Spiegel, ZEIT und im Grunde sehr viel nichts. Auf wenigen Seiten wird im Wirtschaftsteil alles abgebildet. Von Rentenpolitik über Energie bis Immobilienfinanzierung. Die Themen von Finanztip laufen nunmal besser als betriebliche Mitbestimmung.

Mangelndes Wissen bei Medienschaffenden

Und noch einen wunden Punkt gibt es: Viele Medienschaffende kennen sich gelinde gesagt mit betrieblicher Mitbestimmung gar nicht aus. Weil sie selbst in Redaktionen ohne Betriebsräte arbeiten. Weil viele Medienhäuser mittlerweile nicht mehr tarifgebunden sind oder Redaktionen ausgegründet werden in neuen Töchtern – tariflich, betriebsrätelos, die Beschäftigten oft zunächst sachgrundlos befristet. Auch für die Gewerkschaften wird es zunehmend schwerer, diese tariflosen Firmen überhaupt zu erreichen und betriebspolitische Bildungsarbeit zu leisten.

Und dann mangelt es auch an betrieblicher Mitbestimmung in den Redaktionen selbst, weil prekäre Arbeitsbedingungen mit Befristungen an der Tagesordnung sind. Viele Redaktionen sind Durchlauferhitzer, junge Kolleginnen und Kollegen steigen ein und rasch wieder aus, viele bleiben nicht lange. Schlechte Arbeitsbedingungen mit überlangen Arbeitszeiten und Erreichbarkeit rund um die Uhr, miese Work-life-balance, Stress pur – und dann erst die Anfeindungen! Denn das Meinungsklima wird immer rauer, das Vertrauen in die Medien sinkt seit Jahren, Journalist*innen sind insbesondere da, wo der Rechtspopulismus herrscht, schlecht angesehen. Gewalt, verbal und auch körperlich, gehört für viele Medienschaffende mittlerweile zum Joballtag. Wie soll man da die Kraft für betriebliche Mitbestimmung finden?

Und dann fehlt es am Bewusstsein selbst. Viele Journalist*innen sind hervorragende Beobachterinnen und Beobachter. Kluge Köpfe, können tiefe Analysen schreiben, aber daran, sich selbst berufsständisch zu vertreten, tun sich viele schwer. Die “Nabelschau” eines Medienjournalismus ist immer noch verpönt. Und außerdem haben viele verinnerlicht, dass man sich doch nicht gemein machen soll, auch nicht mit einer guten Sache. Haltungsjournalismus ist aus der Mode, fast zum Schimpfwort geworden. Und sich für sich selbst einsetzen? So etwas Altmodisches tun, wie einen Betriebsrat zu gründen? Sich durch Gesetze wie das Betriebsverfassungsgesetz zu wühlen und dann immer wieder am sogenannten Tendenzschutz scheitern, der eine volle betriebliche Mitbestimmung in Redaktionen am Ende eben stark behindert, das ist vielen zu anstrengend, zu schwer, kaum vereinbar mit den Anforderungen als Vollblutjournalist*in.  Angestellt sind ohnehin nur wenige. Für viele freie Medienschaffende ist betriebliche Mitbestimmung ein Thema, das wenig mit ihrem eigenen Leben zu tun hat.

Betriebliche Mitbestimmung motiviert

Und so erstaunt es nicht, dass Themen betrieblicher Mitbestimmung und Demokratie im Betrieb so selten Gegenstand der Berichterstattung sind. In Häusern, in denen betriebliche Mitbestimmung gelebt wird, in denen Tarifauseinandersetzungen stattfinden, ist plötzlich das Thema für die betriebliche Mitbestimmung von Interesse – auch bei der Berichterstattung. Befindet sich eine Redaktion selbst in einer Tarifauseinandersetzung, hat sie selbst Berührungspunkte mit Gewerkschaften und einen aktiven Betriebsrat, dann ändert sich die Wahrnehmung und auch das Verständnis. Auf einmal wird eine Tarifrunde etwa im öffentlichen Dienst mit langen Streiks in Kitas anders eingeordnet. Und im Agenda Setting der Redaktion anders bewertet. Journalist*innen  sind auch Gatekeeper über Themen, die breiter in der Öffentlichkeit behandelt werden. Verstehen sie, worum es bei betrieblicher Mitbestimmung geht, ist das ein Schlüssel für mehr Demokratie in der Wirtschaft und in der Arbeitswelt.

Daher ist es wichtig, dass demokratische Bildungsangebote zu betrieblicher Mitbestimmung an Medienschaffende adressiert werden. Dass Journalist*innen angestoßen werden, darüber nachzudenken, ob ihre eigenen Arbeitsbedingungen gut sind oder besser sein könnten, ob es sich nicht lohnt, für die eigenen Rechte und mehr Mitbestimmung einzusetzen – wer Medienschaffende empowert, über diese Fragestellungen nachzudenken, empowert die Demokratie. Und dann spuckt Google News vielleicht auch mehr aktuelle Treffer zur betrieblichen Mitbestimmung aus.

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