Der öffentliche-rechtliche Rundfunk steht unter Druck. Mehr leisten soll er, aber bitte schön ohne zusätzliche Mittel. Wie können ARD, ZDF und Deutschlandradio unter diesen widrigen Rahmenbedingungen ihren Auftrag auch in Zukunft erfüllen? Auf Einladung des DGB und ver.di suchten Wissenschaftler*innen, Publizist*innen und Rundfunkmacher*innen auf einer Konferenz in Berlin „Argumente für eine Reform der öffentlich-rechtlichen Medien“.
„Qualität hat ihren Preis“, konstatierte die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack in Anspielung auf die aktuelle Debatte über eine moderate Erhöhung des Rundfunkbeitrags. Sie plädierte für mehr Vielfalt im Programm von ARD und ZDF und forderte von den Machern, „dem Publikum auf Augenhöhe zu begegnen“. Angesichts knapper Ressourcen sei eine stärkere „Bündelung der Kräfte“ nötig. Mit Angeboten wie einer übersichtlichen Mediathek und dem digitalen Gemeinschaftsprojekt „funk“ lasse sich auch für junge Menschen die Attraktivität der Sender steigern. „Die Öffentlich-Rechtlichen brauchen Rückendeckung“, sagte Hannack. „Die jahrelange Diskussion der Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten um die künftige finanzielle Ausstattung der öffentlich-rechtlichen Medien sei „ein Armutszeugnis“. Es dränge sich schon der Eindruck auf, „dass Standortinteressen und anstehende Landtagswahlen wichtiger sind als die Zukunft der Öffentlich-Rechtlichen selbst“.
„Weltverständnis, nicht Weltflucht“ sichtbar machen
„Das Primat des Öffentlichen stärken!“ forderte Medienwissenschaftlerin Julia Serong, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung an der Ludwig-Maximilian-Uni München. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk müsse sich zu einem „Public-Service“-Anbieter entwickeln, der sich nicht nur auf rechtliche Garantien stütze, sondern auch auf „gesellschaftliche Akzeptanz“. Derzeit finde eher das Gegenteil statt: „Spaltung, Polarisierung, Misstrauen, Manipulation“. Public-Service-Medien, die ihrer Orientierungsfunktion gerecht werden wollten, müssten „sich synchronisieren mit der Gegenwart, dürfen die Komplexität der Welt nicht ausklammern, sondern sie müssen sie im Gegenteil sichtbar machen: Weltverständnis, nicht Weltflucht“. Als positives Programmbeispiel nannte sie die Produktion „Babylon Berlin“. Es sei an der Zeit, darüber nachzudenken, wie Public-Service-Medien in einer digitalen Medienwelt verstärkt als Medium und Faktor der öffentlichen Meinungsbildung mitwirken können. Zum Beispiel an der Moderation von Debatten, an der Qualitätssicherung der Informationsflüsse in sozialen Netzwerken, „auch im Hinblick auf die Herausbildung einer Debatten- und Diskurskompetenz unter den Bürgern“.
Angebote an alle, nicht nur an die Kaufkräftigen
Konrad Mitschka, Betriebsratschef in der ORF-Generaldirektion und Redakteur des jährlichen Public-Value-Berichts, registriert mit dem Antritt der schwarz-grünen Regierungskoalition in Österreich einen verminderten Druck auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. „Public Value folgt der Logik der Demokratie und nicht der Logik des Marktes“, grenzte er den ORF von kommerziellen Anbietern ab: Die einen erzeugten Public Value, die anderen „Shareholder Value“. Öffentlich-Rechtliche richteten sich mit ihren Angeboten „an alle und nicht nur an die Kaufkräftigen“. Sie müssten relevant bleiben und soziale Verantwortung tragen. Public Value müsse mit Leben erfüllt werden, etwa durch „intellektuelle Wertschöpfung in allen Regionen“ und Darstellung von Vielfalt, auch solcher, „mit der man keine Gewinne machen kann“. Mitschka forderte mehr Transparenz der Medien auch im Hinblick auf die Eigentumsverhältnisse. Ein Beispiel: „Wenn ProSieben schon teilweise Berlusconi gehört, wäre das doch interessant zu wissen, wenn dort gerade ein Bericht über Berlusconi läuft oder eine Regierung, die ihm nahesteht.“ Gleiches gelte etwa für Servus TV, das Red Bull gehöre. Die Eigentümerstruktur wäre vielleicht auch eine relevante Information, wenn gesponserte Sportlerinnen und Sportler interviewt würden.
Ausgewogene Berichterstattung, aber nicht wertneutral
Für Roger de Weck, von 2011 bis 2017 Generaldirektor der schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft SRG, sind Medien, allen voran der öffentlich-rechtliche Rundfunk „Kinder der Aufklärung“. Und damit ihren Werten verpflichtet: Respekt vor der Menschenwürde, Integration, Darstellung und Selbstdarstellung der Minderheiten, Gewaltenteilung zwischen Institutionen sowie die Förderung der Kultur. Die öffentlich-rechtlichen Sender befänden sich derzeit in einer „Zwickmühle“. Es werde von ihnen „mehr Public Value“ gefordert, aber „für weniger Geld“. „Die zentrale medienpolitische und demokratiepolitische Aufgabe ist die gute Information des breitesten Publikums“, forderte de Weck. Man sei „in der Pflicht, sich nicht in die Logik des Elitären drücken zu lassen“. Es werde ein Abbau von öffentlich-rechtlichen Leistungen gefordert ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, wo privatwirtschaftlich betriebener Journalismus „kein Geschäftsmodell mehr hat“. Für de Weck „eine absurde und demokratieschädliche Opfersymmetrie“. Stattdessen gelte es, das öffentliche Angebot zu modernisieren und auszubauen. Die Gegner des öffentlich-rechtlichen Systems, so seine Erfahrung, forderten ständig „mehr Transparenz“, interessierten sich aber kaum für die gelieferten Ergebnisse.
De Weck wertete die Erfahrungen der Volksabstimmung „Nein zur Initiative No Billag“ in der Schweiz aus, die Anfang 2018 mit knapp 72 Prozent Ja-Stimmen einen überwältigenden Vertrauensbeweis für die solide Finanzierung eines starken öffentlich-rechtlichen Rundfunks erbracht hatte. Dabei sei es nicht in erster Linie um den Erhalt eines guten Programms gegangen – „das ist selbstverständlich“. Entscheidend waren – vor dem Hintergrund einer massiven Medienkonzentration – der „Wunsch nach Vielfalt“ sowie „der Wille zu einem unabhängigen und unbequemen Journalismus“. Schließlich spürten die Menschen, „dass im Angebot so vieler kommerzieller Anbieter die Unabhängigkeit ganz klein geschrieben ist, das Unbequeme sowieso zugunsten des Gefallenwollens – den Geldgebern bzw. den Inserenten“. Gleichzeitig würden die öffentlich-rechtlichen Medien als eine Art „Rückversicherung“ für verlässliche Informationen wahrgenommen. Wenn es darauf ankomme – wie etwa bei den aktuellen Vorgängen in Thüringen – „dann sind alle bei den öffentlichen Anbietern“. Die Berichterstattung müsse zwar ausgewogen sein, „aber nicht wertneutral“, sondern „den Werten der Aufklärung verpflichtet“.
Mehr Experimentierfreude
In der abschließenden Podiumsdiskussion zum Thema „Wo bleibt die Jugend?“ appellierte ver.di-Bundesvorstandsmitglied Christoph Schmidt an die öffentlich-rechtlichen Sender, stärker auf die Bedürfnisse des jugendlichen Publikums einzugehen und „mehr Experimentierfreude“ zu zeigen. Der Weg zu jungen Zuschauerinnen und Zuschauern führe nicht allein über die Plattformen sozialer Medien. Es müsse das Selbstverständnis von ARD und ZDF sein, junge Formate auch im linearen Programm zu integrieren.