Ohne Betriebsrat herrscht Willkür

Im März finden wieder die Wahlen zu den Interessenvertretungen statt

Sie achten darauf, dass im Betrieb die Tarifverträge eingehalten werden, ent­scheiden mit über die Arbeitsbedingungen, fördern die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und sorgen für den Arbeits- und Gesundheitsschutz. Die Rede ist von den Mitgliedern der Betriebsräte, der Interessenvertretung der Belegschaft gegenüber dem Arbeitgeber. Betriebsratswahlen finden alle vier Jahre statt. Im März ist es wieder soweit. M stellt vier Kandidatinnen und Kandidaten aus Medienbetrieben vor.

Ab fünf Beschäftigten im Betrieb wird eine Interessenvertretung gewählt. So schreibt es das Betriebsverfassungsgesetz vor. Und das aus gutem Grund. Denn: In Betrieben mit Betriebsrat werden nachweislich höhere Löhne und Gehälter gezahlt und mehr Auszubildende eingestellt. Warum das so ist, das weiß Klaus Schrage, Redakteur für die Nürnberger Nach­richten sowie den Sonntagsblitz und seit 2006 im Betriebsrat: „Ohne Betriebsrat herrscht am Arbeitsplatz die Willkür des Mächtigen. Das Betriebsverfassungsgesetz gilt nicht, es gibt keine Betriebsvereinbarungen. Jeder muss nach seinen persönlichen Fähigkeiten mit dem Arbeitgeber verhandeln.“

Klaus Schrage ist Redakteur für die Nürn­berger Nachrichten sowie den Sonntagsblitz und Vor­­sitzender der dju Tarif­kom­mission.
Foto: Jan-Timo Schaube

Um auch den Redakteurinnen und Redakteuren in seinem Verlag eine Stimme zu geben, hatte sich der damals 47jährige deshalb entschieden, für den Betriebsrat zu kandidieren und übt diese Aufgabe bis heute und mittlerweile als dessen Vorsitzender manchmal ungeduldig, aber sehr gerne aus. Dabei gestalte sich die konkrete Betriebsratsarbeit jeden Tag anders, aus unzähligen Besprechungen, Sitzungen oder Gesprächen mit den Kolleg_innen ergebe sich die jeweils aktuelle Agenda. „Unser Gremium hat – Ausschüsse inklusive – in den vergangenen vier Jahren rund 400 Sitzungen absolviert. Das Mailpostfach ist meistens übervoll, auf dem Schreibtisch liegt zu viel Papier. Der bürokratische Aufwand ist schon erheblich“, beschreibt Schrage seinen Betriebsratsalltag. Entschädigt werde man dabei aber vor allem durch die kleinen Erfolge: „Etwa dann, wenn wir erreicht haben, dass eine Kollegin oder ein Kollege ein höheres Entgelt bekommt, weil sie oder er es einfach verdient.“ Doch auch größere Erfolge wie die Einigung auf verbindliche Regeln im Betrieblichen Eingliederungsmanagement für länger erkrankte Beschäftigte konnten in der letzten Amtszeit verbuchet werden. Damit diese Erfolge auch in den nächsten vier Jahren nicht ausbleiben, appelliert Schrage an die Beschäftigten, sich an der Wahl zu beteiligen: „Es ist ein politisches Amt. Also gilt: Je größer das Interesse der Kolleg_innen am Betriebsrat, desto größer ist der Respekt des Arbeitgebers.“ Auf große Beteiligung hofft er auch in den laufenden Tarifverhandlungen für die rund 13.000 Tageszeitungsjournalist_innen, die am 12. März in die dritte Runde gehen. Denn neben weiteren Funktionen wie die des ehrenamtlichen Richters am Landesarbeitsgericht ist Schrage auch neuer Vorsitzender der dju-Tarifkommission. (Siehe auch S. 4 und 30)

Miriam_Scharlibbe, Redakteurin bei der Neuen Westfälischen, stellvertretendes Betriebsratsmitglied und Mitglied im dju-Bundesvorstand
Foto: Murat Tueremis

Vor allem, aber nicht nur für den journalistischen Nachwuchs setzt sich bei der Neuen Westfälischen in Bielefeld das stellvertretende Betriebsratsmitglied Miriam Scharlibbe ein. Als Volontärin bereits zwei Jahre lang Jugendauszubildendenvertreterin, hat sie Ende letzten Jahres erstmals für den Betriebsrat kandidiert – in vorgezogenen Wahlen, weil die bisherige Betriebsratsvorsitzende die Leitung einer Lokalredaktion übernommen hatte und deshalb ihr Amt abgab. Die Entscheidung zu kandidieren habe sie sich nicht leichtgemacht, gibt die 30-Jährige zu. Zwar habe sie schon immer dafür geworben, sich in Gewerkschaften und im Betrieb für gute Arbeitsbedingungen stark zu machen und ist auch selbst aktives Mitglied der dju in ver.di. „Wenn es dann aber darum geht, den eigenen Worten Taten folgen zu lassen, fallen einem naturgemäß immer viele Gegenargumente ein: Habe ich überhaupt die Zeit, die Betriebsratstätigkeit mit meiner eigentlichen Arbeit zu verbinden? Wie nimmt der Chef so ein Engagement auf? Kann ich als junge Kollegin unter vielen älteren erfahreneren Betriebsräten meine Ideen umsetzen?“ Doch nach einer Nacht drüber schlafen hatte die kritische Stimme letztlich das Nachsehen. Scharlibbe wollte nicht zu denjenigen gehören, die viel kritisieren, aber kneifen, wenn sie selbst die Chance bekommen, etwas zu verändern. Einen kleinen Teil zur Entscheidung beigetragen habe aber auch ihr Berufsethos als Journalistin, gesteht sie: „Ich kann schlecht mein Geld damit verdienen, Ungerechtigkeiten anzuprangern und Missstände aufzudecken, aber dann, wenn es um meine ­eigenen Rechte und die meiner Kolleg_innen geht, stillschweigend abwarten, dass andere für mich entscheiden.“ Arbeitnehmer_innen, in denen die kritische Stimme noch zu laut ist, um selbst für den Betriebsrat zu kandidieren, fordert sie auf, sich zumindest an der Wahl zu beteiligen. Gute Arbeitsbedingungen und ein angenehmes Betriebsklima seien schließlich keine Selbstverständlichkeit und könnten schnell der Vergangenheit angehören.

Anke Schwabe Foto: privat

Wie Miriam Scharlibbe gehört auch Anke Schwabe zu den 46 Prozent bei ver.di organisierten Betriebsratsmitgliedern, die Frauen sind. Die 31-Jährige arbeitet seit zwölf Jahren bei der Süddeutschen Zeitung, aktuell ist sie unter anderem für Testmanagement und Systempflege zuständig. Ihre Kandidatur für den Betriebsrat vor vier Jahren sei der nächste logische Schritt gewesen, sagt die gelernte Verlagskauffrau. Denn noch während ihrer Ausbildung hat sie sich für die Jugend- und Auszubildendenvertretung (JAV) aufstellen lassen und war ab diesem Zeitpunkt für mehrere Jahre Mitglied und später sogar Vorsitzende der Interessenvertretung aller jugendlichen Arbeitnehmer unter 18 Jahren und aller Auszubildenden unter 25 Jahren im Betrieb. Auch heute noch kümmert sich Schwabe als nicht freigestellte Betriebsrätin vorrangig um die Angelegenheiten der JAV und die Auszubildendenthemen. Außerdem ist sie Mitglied im Betriebsausschuss und im Arbeitssicherheitsausschuss. „Ein verantwortungsvoller Betriebsrat tut jedem Unternehmen gut. Er ist Sprachrohr der Kolleginnen und Kollegen und steht ihnen helfend zur Seite“, sagt sie. „Ohne Betriebsrat würde es keine Betriebsvereinbarungen geben und für die Kollegen wären somit keine Verbesserungen möglich. Der Betriebsrat hat viele Mitbestimmungsrechte, auf die die Arbeitnehmer ohne ihn einfach verzichten würden“. In ihrem Unternehmen konnte der Betriebsrat in der letzten Amtszeit etwa Betriebsvereinbarungen in den Bereichen EDV, Frauen- und Familienförderung sowie Arbeitszeiten abschließen. Außerdem sei es vor allem darum gegangen, blickt Schwabe auf die letzten vier Jahre, die von Kündigungswellen und Tarifflucht betroffenen Kolleg_innen zu unterstützen und dabei zu helfen, nach Alternativen zu suchen. Ebenso wichtig seien die damit verbundenen Sozialplanverhandlungen gewesen. Deshalb sagt sie: „Eine hohe Wahlbeteiligung bei den Betriebsratswahlen sorgt in der nächsten Amtszeit für eine gute Vertretung der Belegschaft. Auch wenn nicht jeder Beschäftigte die Unterstützung des Betriebsrates benötigt, so ist es doch angenehm zu wissen, dass er bei Bedarf für einen da ist.“

Jörg Brokmann Foto: privat

Stellenabbau am Standort zu verhindern sieht auch Jörg Brokmann als Aufgabe seines Betriebsrats. Er ist seit 1990 bei der Braunschweiger Zeitung, seit 2002 als einer von zwei Redakteuren ­Betriebsratsmitglied und seit 2013 Betriebsratsvorsitzender. Die Braunschweiger Zeitung ist der kleinste Zeitungsstandort im Funke-Konzern, der vor allem durch Zergliederungsprozesse in betriebliche Einheiten ohne Tarifbindung von sich reden macht. So ist es auch in Teilen bei der Braunschweiger Zeitung geschehen. Entsprechend kontrovers sind die Verhandlungen und Gespräche des Betriebsrats mit dem Arbeitgeber. Ganz oben auf der Betriebsratsagenda stünden dabei Datenschutz, Arbeitszeitregelungen und der Gesundheitsschutz, fasst Brokmann zusammen. „In der letzten Amtszeit haben wir eine Arbeitszeitregelung für die Redaktion und eine Gleitzeitregelung für die Verlagsangestellten sowie eine Gefährdungsbeurteilung für das ganze Unternehmen in Einigungsstellen durchgesetzt. Zurzeit verhandeln wir über die SAP-Migration in das Funke-Konzernsystem. Hier gilt es besonders, konzernweit die strukturellen Voraussetzungen für Rasenmäher-Methoden zu verhindern, um Mitarbeiter auszusortieren.“ Künftig sieht Brokmann die große Herausforderung darin, noch mehr junge Menschen für Betriebsratsarbeit zu begeistern und zu fördern, um frisches Blut und andere Gedanken aufzunehmen. Denn auch das gehöre für ihn zum „Job“ eines Betriebsrats: das Nachdenken über das große Ganze. So stünden allen Branchen gewaltige Umwälzungen ins Haus, nicht allein durch die Digitalisierung. „Wie bekommen wir die Work-Life-Balance hin? Wie gestalten wie die ‚gute Arbeit’ der Zukunft? Dieses Feld allein den Arbeitgebern zu überlassen, wäre fahrlässig. Darum ist die Wahl eines starken Betriebsrats wichtiger denn je.“

 

 

 

 

 

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