Argentiniens Medien in der Hand von Markt und Macri

Hunderttausende demonstrieren am 29. April 2016 in Buenos Aires gegen die Politik der konservativen Regierung von Mauricio Macri. Foto: picture alliance / ZUMA Press / Patricio Murphy

Seit dem Wahlsieg und Amtsantritt des neuen argentinischen Präsidenten Mauricio Macri geht unter Journalisten in dem südamerikanischen Land die Angst um. Der neoliberale Politiker hatte schon im Wahlkampf gegen Amtsvorgängerin Cristina Fernández de Kirchner einen Kurswechsel verkündet: Mehr Markt, weniger Regulierung, so lautete die Devise – nicht nur in der Medienbranche. Dass dort die Karten aber auch neu gemischt werden, hat einen einfachen Grund: Hinter dem medienpolitischen Programm der neuen Regierung stehen große Medienkonzerne wie die Clarín-Gruppe.

Weitere Personalien sind interessant! Außenministerin Susana Malcorra war zuvor Managerin bei IBM und der argentinischen Telekom; Energie- und Bergbauminister Juan José Aranguren war fast vier Jahrzehnte lang in leitender Position beim Erdölmulti Shell und wandte sich 2012 entscheiden gegen die Verstaatlichungen in der Branche; Justizminister Germán Garavano wird für die Kriminalisierung von sozialen Protesten verantwortlich gemacht und sprach sich gegen die Entlassung von Richtern aus Zeiten der Militärdiktatur (1976-1983) aus.

Bei einem Kabinett aus Neoliberalen, Unternehmern und Großgrundbesitzern war auch in der Medienpolitik ein Wandel zu erwarten. Mit einem Präsidialdekret und ohne große Debatten im Parlament machte Macri die Regelungen des 2009 unter Fernández de Kirchner verabschiedeten Mediengesetzes de facto rückgängig. Das „Gesetz über audiovisuelle Kommunikationsdienste“ hatte die Anzahl von Senderlizenzen einzelner Unternehmen eingeschränkt. Vor allem aber teilte es die TV- und Radiolandschaft in drei Teile zwischen dem Staat, Privatunternehmen und nicht-profitorientierten Betreibern auf, darunter etwa Sozialorganisationen oder Universitäten. Die Kontrollbehörde Afsca überwachte die Regelung.

Damit ist seit Macri Schluss. Per Dekret löste er die Ascsa und eine weitere Medienbehörde auf, um beide Strukturen im neuen Nationalen Kommunikationsamt (Enacom) aufgehen zu lassen, das direkt dem Präsidenten untersteht. Anders als bei der Afcsa sind in der neuen Behörde keine Vertreter der Gewerkschaften, Universitäten und Provinzen mehr beteiligt. Den Präsidenten und seine drei Vertreter bestimmt Macri, weitere drei Leitungsposten ¬werden von den drei größten Parlamentsfraktionen gestellt. Der Radio- und TV-Markt ist mit der Gesetzesnovelle, die Anfang April im Nachhinein vom Parlament bestätigt wurde, wieder völlig liberalisiert: Radio- und TV-Lizenzen sind frei verkäuflich, die Laufzeiten wurden pauschal verlängert.

Als der Journalist Horacio Verbitsky im April bei einer Anhörung zum Thema vor der Interamerikanischen Menschenrechtskommission sprach, wählte er klare Worte: In Argentinien sei „ein System der Teilhabe unterschiedlicher Gruppen durch eine Regelung ersetzt worden, die eine ausschließliche staatliche Kontrolle vorsieht und die Zivilgesellschaft ausschließt“.

Macri hat zahlreiche Journalisten nicht nur mit der erneuten Liberalisierung des Medienmarktes gegen sich aufgebracht. Für Unmut sorgen auch politische Neubesetzungen und Eingriffe in redaktionelle Belange. An die Spitze einer neuen Behörde für öffentliche Medien setzte der Präsident seinen Vertrauten Hernán Lombardi. Dieser steht damit allen Medien in öffentlicher Hand vor, darunter dem Nationalradio, der Nachrichtenagentur Télam und zahlreichen weiteren staatlichen Medien. Auch wenn Lombardi gemäßigt auftrat, hatte seine Berufung Folgen. Die Satiresendung „6,7,8“, von der die politischen Verhältnisse seit 2009 beim staatlichen Fernsehkanal 7 regelmäßig scharf aufs Korn genommen worden waren, wurde abgesetzt. Die letzte Sendung wurde am 21. Dezember ausgestrahlt, sechs Tage nach Amtsantritt von Macri. Es war nicht der einzige politische Eingriff: Anfang April verkündete der bekannte Journalist Pedro Brieger vor laufender Kamera beim staatlichen Kanal TV Pública seinen Ausstieg. Auf Ihn war zuvor nach eigenen Angaben massiver Druck ausgeübt wurden. Der Investigativjournalist Roberto Navarro beklagte Drohungen der neuen Regierung, damit er und der private TV-Sender C5N eine Recherche zu Kontakten zwischen Macri und dem Unternehmer Nicolás Caputo zurückhalten. Dem Bericht zufolge soll Macri Caputo öffentliche Aufträge zugeschanzt haben. Die linksliberale Tageszeitung Tiempo Argentino wurde von den Behörden wegen ausstehender Zahlungen an den Fiskus ins Visier genommen, zugleich hielt die Regierung dem Blatt zustehende Gelder zurück. Das Justiz-Informationsportal Infojus, das dem Justizministerium untersteht, beklagte die massenhafte Löschung kritischer Inhalte aus dem Archiv.

Und schließlich gab Lombardi im März den Rückzug aus dem lateinamerikanischen Fernsehsender Telesur bekannt. Telesur war im Jahr 2005 auf Initiative des damaligen venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez gegründet worden. Beteiligt sind mehrere Staaten Lateinamerikas und der Karibik. Der Sender berichtet über das politische Geschehen in Lateinamerika aus der eigenen, regionalen Perspektive. Den Amtsantritt Macris hatte er kritisch begleitet.
Die argentinische Regierung werde ihre 16 Prozent Anteile an dem Sender zurückziehen, bestätigten nun Lombardi und der Minister für öffentliche Kommunikation, Jorge Grecco. Die Ausstrahlung des Telesur-Programms wird für die Anbieter im Kabelnetz zudem nicht mehr verpflichtend sein. Auch wird das Signal nicht mehr über das öffentliche Digitalnetz ausgestrahlt werden, das rund 80 Prozent der Haushalte erreicht. Damit wird der Zugang zu alternativen Informationen zumindest erschwert.

Zugleich haben die politischen Kontroversen im Land massiv zugenommen. Es kam zu vielen Protestdemonstrationen – auch direkt gegen Macri. Denn während der neue Staatschef seit Jahresbeginn bis zu 140.000 Entlassungen zu verantworten hat, wurde bekannt, dass er und seine Familie ihre Schäfchen längst ins Trockene gebracht haben. Laut den geleakten Panama Papers über Offshore-Konten war Macri bis 2009 Direktoriumsmitglied von zwei Scheinfirmen seines Vaters auf den Bahamas und in Panama. Zu dieser Zeit war er Bürgermeister von Buenos Aires und Präsident des Fußballclubs Boca Junior. Die Einlagen in Steueroasen hatte er in seinen Vermögensangaben verschwiegen.

 

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