Austauschstudent aus Russland ausgewiesen

Aufklären unter schweren Bedingungen: Die Tscheljabinsker Bügerinitiaive »Stop GOK« gegen die Errichtung des Kupferbergwerks musste ihren Informationsstand neben einer Hauptverkehrsstraße aufbauen.
Foto: Lukas Latz

Russland ist für Lukas Latz auf absehbare Zeit tabu. Gegen den Studenten im Master „Osteuropastudien“ an der Freien Universität (FU) Berlin wurde eine Einreisesperre verhängt. Der Nachwuchsjournalist klagt dagegen vor Gericht in Sankt Petersburg. An der dortigen Universität hatte er im Oktober vergangenen Jahres ein Auslandsjahr begonnen, das vorzeitig und abrupt endete. Er hatte Material für seine Masterarbeit zusammengetragen, das er auch für einen Zeitungsbeitrag verwendete. 

An einem Abend Ende Mai steht im Wohnheim von Lukas Latz in Sankt Petersburg die Polizei in der Küche. Nach stundenlangen Verhören und Durchsuchungen unterschreibt der Austauschstudent unter Druck ein Geständnis für zwei Ordnungswidrigkeiten, die er angeblich begangen haben soll. Wenige Tage später exmatrikuliert ihn die Sankt Petersburger Universität und sein Studenten-Visum wird ihm entzogen. Er hat sieben Tage Zeit, Russland zu verlassen. Was war passiert?

Der FU-Student war im letzten Herbst für ein Jahr an die Universität Sankt Petersburg gegangen, mit der die FU ein Austauschabkommen hat. Zunächst machte er einen Intensivsprachkurs, dann begann er für seine Masterarbeit zu recherchieren. „Ich wollte etwas über soziale Bewegungen in Russland machen“, sagt Latz.

Im April fährt er in die Industriestadt Tscheljabinsk im Südural. Dort protestiert bereits seit Jahren eine Bürgerinitiative gegen die Errichtung eines Kupferbergwerks und warnt vor damit verbundenen Umwelt- und Gesundheitsschäden. Wie für ein Forschungsprojekt üblich, interviewt Latz zahlreiche Aktivistinnen und Aktivisten zu ihren Ansichten und Vorhaben. Die Ergebnisse verwendet der Journalist dabei nicht nur für seine Studienarbeit, sondern auch für die Reportage Freier Atmen ohne Bergwerk, die im April in der linken Wochenzeitung Jungle World erscheint. Dieser Artikel ist der Grund, warum Latz Russland verlassen musste und für einen bislang unklaren Zeitraum nicht mehr ins Land einreisen darf.

„Im Prinzip werden mir zwei Ordnungswidrigkeiten vorgeworfen“, erklärt der Student: „Das Vorbereiten von Interviews und das Führen von Interviews. Damit werde ich ja de facto zweimal für das Gleiche verurteilt“. Zwei Ordnungswidrigkeiten reichen in Russland, um sein Visum zu verlieren. „Deswegen glaube ich auch, dass die mich von Anfang an aus dem Land raus haben wollten“, erinnert sich Latz an das Gespräch mit den Polizeibeamten.

„Ich war mir natürlich bewusst, dass ich ein Risiko eingehe“

Wie die Polizei überhaupt auf den deutschen Studenten aufmerksam geworden ist, darüber kann nur spekuliert werden. Sicher ist allerdings, dass einer von Latz‘ Gesprächspartnern von der Tscheljabinsker Bürgerinitiative das Foto des Studenten im April ahnungslos auf Facebook gepostet hatte. Latz erzählt in diesem Zusammenhang von den Geheimdienststrukturen, die es an der Sankt Petersburger Universität gebe. „Ich war mir natürlich bewusst, dass ich ein Risiko eingehe“, sagt er und berichtet von anderen Fällen aus der Vergangenheit, in denen russische Studierende der Staatlichen Universität Sankt-Petersburg exmatrikuliert wurden.

Latz selbst ist ein Präzedenzfall – ihm zufolge ist noch nie zuvor einem deutschen Studierenden wegen seiner wissenschaftlichen Tätigkeit das russische Visum entzogen worden. Das offizielle Argument lautet, dass er ohne Journalistenvisum im Land recherchiert und dann seine Recherchen für eine deutsche Publikation verwendet habe. Zwei Geldstrafen und das Einreiseverbot hält Latz für eine völlig unverhältnismäßige Strafe. Als er erfährt, dass er Russland verlassen muss, ist er wütend und beschließt, an die Öffentlichkeit zu gehen. In den wenigen Tagen, die er noch im Land bleibt, spricht er mit russischen Zeitungen und im Radio. So ist der exmatrikulierte deutsche Austauschstudent in Sankt Petersburg Stadtgespräch, als in Deutschland noch kaum von dem Fall Notiz genommen wurde. Am 17. Juni fährt er mit dem Zug nach Helsinki und nimmt die Fähre nach Lübeck. Über Facebook und auf der Straße richten ihm Russinnen und Russen solidarische Grüße aus. „Viele haben mir gesagt, dass ich mehr für Russland getan hätte als viele Russen“, sagt er.

Latz darf in den nächsten Jahren nicht nach Russland einreisen

Das ist eine der wenigen guten Seiten, die der Fall für ihn gebracht hat: Er ist jetzt so bekannt, dass Leute in Russland und vor allem Bürgerrechtler*innen mit ihm sprechen wollen. Dass er wohl für die nächsten fünf Jahre nicht in die Russische Föderation einreisen darf, ist die Schattenseite. Für einen Journalisten mit Schwerpunkt Osteuropa ist das hart. „Die Einreisesperre behindert natürlich stark meine berufliche Zukunft, aber auch den privaten Kontakt mit zahlreichen Bekannten in Russland“, sagt Latz. Derzeit vertritt ihn in Sankt Petersburg eine Bürgerrechtsanwältin vor Gericht, um gegen die Einreisesperre zu klagen. Doch die sage laut Latz, dass es nicht gut aussehe. Die russischen Behörden würden ihre anwaltliche Vertretungsvollmacht nicht anerkennen. Zudem habe er ja ein Geständnis unterschrieben und so seine Schuld eingestanden.

Aus Deutschland erhält der Student viel Unterstützung: Sofort nach Bekanntwerden veröffentlichte das Osteuropa-Institut der FU ein Protestschreiben. Auch das FU-Präsidium denkt über eine Neuausrichtung der Verträge mit der Sankt Petersburger Universität nach.

Die Master-Arbeit zumindest ist für Latz gesichert: Das Material hat er beisammen und kann es auch verwenden.

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