Gewerkschafter wehren sich erfolgreich gegen „großen Rentenraub“
Am 5. und 6. Oktober hätte es beinahe erstmals einen gemeinsamen Streik aller bei der BBC organisierten Gewerkschaften gegeben. 97% aller Mitglieder der Journalistengewerkschaft NUJ, sowie 90% aller Mitglieder der anderen beteiligten Gewerkschaften waren dafür. Ein neues Angebot der BBC stoppte die Aktion – vorerst.
Diese Einmütigkeit existierte nicht ohne Grund. Die Arbeitgeber bei der BBC planten, was die Gewerkschaften als den „großen Rentenraub“ bezeichneten. Die BBC Renten richten sich bislang nach dem zuletzt ausgezahlten Lohn. Gehaltserhöhungen und Karrieresprünge wurden bei der Berechnung der Renten vollständig mit berücksichtigt. Ab April 2011 sollte damit nach dem Willen der Arbeitgeber Schluss sein. Danach sollten Erhöhungen nur noch mit maximal 1% angerechnet werden, über 1% liegende Gehaltserhöhungen durch steigende Tariflöhne oder Beförderungen keine Rolle spielen.
Die BBC ist Teil des britischen öffentlichen Sektors. Rentenvereinbarungen wie bei der BBC sind im öffentlichen Dienst Großbritanniens noch Standard. Schon lange ist diese Regelung Politikern aller großen Parteien ein Dorn im Auge. Bereits 2006 versuchte die Labour Regierung, dieses System für den öffentlichen Dienst abzuschaffen. Der Versuch scheiterte, weil alle Gewerkschaften, etwa 5 Millionen Beschäftigte, einen gemeinsamen Streik gegen die Kürzungspläne androhten. Im privaten Sektor ist Rentensicherheit im Alter eher die Ausnahme.
Nun will die aus Konservativen und Liberaldemokraten bestehende Koalitionsregierung einen weiteren Versuch unternehmen. Einflussreiche Lobbygruppen aus der Privatwirtschaft wie die Public Sector Pension Commission fordern offen das Ende der bisherigen Regelung. Die Abschaffung des Rentensystems im öffentlichen Dienst ist Bestandteil der Regierungsagenda. Ziel ist das Zurückfahren des britischen Wohlfahrtstaates auf das Niveau der 1930er Jahre. Somit findet bei der BBC derzeit der erste Schlagabtausch eines weiter reichenden Konfliktes statt.
Die BBC gilt als angeschlagen. Das ganze vergangene Jahr hindurch hagelte es Kritik. Die Millionengehälter für Starmoderatoren wie Jonathan Ross wurden angeprangert. Ebenso erging es BBC-Generaldirektor Mark Thompson. Der verdient 834.000 Pfund pro Jahr, für die britische Presse ein Beispiel für Geldverschwendung bei der BBC. Der Großteil seiner Mitarbeiter muss mit 30–40.000 Pfund pro Jahr auskommen. Zur Weltmeisterschaft nach Südafrika flogen neben legitimen BBC Mitarbeitern auch solche, die dort nicht einmal arbeiteten. Diese profitierten dennoch von den Spesen. Solche und weitere in allen großen Tageszeitungen ausgebreiteten Skandale gaben Politikern Hoffnung, auf die BBC einen Angriff ohne große Opposition durchführen zu können.
Der gemeinsame Widerstand der BBC Gewerkschaften machte dem einen Strich durch die Rechnung. Hätte der Streik stattgefunden, wäre die Direktübertragung des Parteitags der Konservativen empfindlich gestört worden. Unter anderem wäre die Rede von Premierminister David Cameron nicht übertragen worden. Hier witterte die Koalitionsregierung ein politisches Manöver und forderte die Gewerkschaften zu „politischer Unabhängigkeit“ auf. Ins gleiche Horn stieß eine Gruppe prominenter BBC Journalisten, darunter Newsnight Moderator Jeremy Paxmann und Politik Chefkorrespondent Nick Robinson. In einem offenen Brief an einen BBC Vertrauensmann riefen sie kurz vor Streikbeginn dazu auf, die Terminierung des Streiks noch einmal zu überdenken. Viele Unterzeichnende zählen zu den Spitzenverdienern bei der BBC, manche von ihnen sind keine Gewerkschaftsmitglieder.
Die NUJ erwiderte, der Streiktag sei von einer großen Mehrheit der BBC-Gewerkschafter so erwünscht gewesen, somit handele es sich um eine demokratische Entscheidung der Basis. Weiterhin ging es nicht um politische Parteinahme, der konservative Parteitag sei lediglich der nächstgelegene wichtige Termin im Übertragungskalender der BBC gewesen. Der Streik fiel letztlich aus, denn am Wochenende vor Streikbeginn legten die Arbeitgeber ein neues Angebot vor. „Dies ist ein wesentlich verbessertes Angebot“, so NUJ Generalsekretär Jeremy Dear in Interviews. Die Gewerkschaften wollten ihren Mitgliedern die Zeit geben, es zu lesen und in Betriebsversammlungen zu diskutieren. Die Vertrauensleute stimmten deshalb für den Streikabbruch, empfahlen jedoch weder Annahme noch Ablehnung des neuen Angebotes.
Mit dem neuen Vorschlag fällt unter anderem die umstrittene 1% Klausel weg. Stattdessen soll es ein Rentenprogramm geben, in dem die jeweils jährlich erzielten Gehaltserhöhungen nur bis zu 4% zu Buche schlagen oder entsprechend der jeweiligen Inflationsrate – je nachdem, was niedriger ist. NUJ Generalsekretär Jeremy Dear dazu: „Wir denken, dass insbesondere die Streikbereitschaft unserer Mitglieder die Arbeitgeber zu einem verbesserten Vorschlag gezwungen hat. Wir haben noch einige Bedenken, sind aber zuversichtlich diese in den kommenden Wochen ausräumen zu können. (…) Wir hoffen, einen Vertrag abzuschließen, der die Renten der heutigen Generation sichert und zusätzliche Generationen von Mitarbeitern nicht bestraft.“
Vom Tisch ist die Streikfrage dennoch nicht. Für den 19. und 20. Oktober sind weitere Streiks angesetzt, sollte bis dahin kein Ergebnis stehen. Auch sonst bleibt es unruhig bei der BBC: Im Raum steht noch die diesjährige Tarifrunde. Hier bieten die Arbeitgeber eine pauschale Lohnerhöhung von rund 475 Pfund für alle Beschäftigten unter 37.726 Pfund Jahresgehalt an. Viel zu wenig, finden die Gewerkschaften.