BBC vor weiterer Kürzungswelle

Kamerateams und andere Medienvertreter standen am 29. Januar 2020 vor dem Broadcasting House in London, als das Unternehmen Hunderte Stellenstreichungen in seiner Nachrichtenabteilung ankündigte.
Foto: Reuters /Henry Nicholls

Im Jahr 2022 wird die BBC 100 Jahre alt. Die Auseinandersetzung über die Zukunft der „alten Tante“, wie die BBC auch liebevoll genannt wird, ist in vollem Gange. Und die Lage ist gar nicht rosig. Stellenabbau, die Streichung ganzer Sendeformate und weitere Einsparungen machen dem internationalen Vorreiter des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu schaffen. Die nächste Gefahr für die Medienanstalt lauert bereits – die britische Regierung lanciert Pläne zur Abschaffung der Rundfunkgebühren.

Laut der britischen Journalistengewerkschaft NUJ befindet sich die BBC in einer existentiellen Krise. Das mag auf den ersten Blick überraschen. Schließlich nutzen weltweit 400 Millionen Menschen jede Woche das Angebot der BBC. Doch unter den Beschäftigten geht schon lange die Existenzangst um. Zehn Jahre Einsparungen haben sie bereits hinter sich, nun kommt die nächste Kürzungswelle.

Sie betrifft vor allem die Nachrichtensparte. Hier werden 380 Jobs abgebaut. Redaktionen sollen zusammengelegt, das Angebot eher auf Online als auf Fernsehen ausgerichtet werden. Hinzu kommen 70 Stellenstreichungen beim World Service sowie 60 beim Radio. Beliebte Fernsehsendungen wie das Politikmagazin „Viktoria Derbyshire“ sollen aus dem Programm genommen werden. Darüber hinaus bereitet das BBC-Management Umstrukturierungsmaßnahmen vor, welche später im Jahr weitere 300 Stellen bedrohen könnten. Bis 2022 sollen 80 Millionen Pfund aus dem Budget eingespart werden.

All diese Kürzungen sind das Resultat eines 2015 erzielten Verhandlungsergebnisses zwischen der damaligen britischen Regierung und dem BBC Generaldirektor Tony Hall, der noch in diesem Jahr sein Amt frühzeitig aufgeben wird. Bei den damaligen Verhandlungen ging es darum, wie viel Geld die BBC aus den Erlösen der in Großbritannien als „TV-licences“ bekannten Rundfunkgebühren bekommen soll. Jeder britische Haushalt ist zum Kauf einer solchen Lizenz verpflichtet, wenn über den Fernseher oder mittels digitaler Endgeräte Fernsehprogramme angeschaut werden sollen. Eine Lizenz kostet 157.50 Pfund (186.87 Euro) pro Jahr. Damit nimmt die BBC 3.69 Milliarden Pfund jährlich ein. Der derzeitige Deal läuft noch bis 2027.

Tony Hall sah sich bei seinen damaligen Verhandlungen mit einer recht feindseligen Regierung konfrontiert. Hall verhandelte deshalb 2015 hinter verschlossenen Türen mit Finanzminister George Osborne. Das Ergebnis war ein Zugeständnis, das der BBC nun auf die Füße fällt: Mit Anfang dieses Jahres zahlt die BBC und nicht mehr der britische Staat die Kosten der gratis-TV-Lizenzen für Rentner im Alter von über 75 Lebensjahren. Die BBC kostet das zusätzliche 250 Millionen Pfund jährlich. Den Preis zahlen deren Beschäftigte.

Das dicke Ende könnte jedoch erst kommen. Mit Boris Johnsons Chefberater Dominic Cummings ist ein erklärter BBC-Gegner in das Zentrum des britischen Regierungswesens eingezogen. Seit Dezember haben die Tories im britischen Unterhaus eine große Mehrheit von 80 Abgeordneten. Das bedeutet, dass sie im Gegensatz zu den vergangenen drei Jahren nun in der Lage sind „Herzensangelegenheiten“ anzupacken. Die Privatisierung der BBC gehört für viele, wenn auch längst nicht alle, Tories dazu.

Angestachelt durch Dominic Cummings hat Kulturministerin Nicky Morgan in einer am 5. Februar veröffentlichten Rede das Grundprinzip der TV-Lizenzen zur Disposition gestellt. Angesichts der wachsenden Präsenz neuer, auf Abo-Basis funktionierender Digitalsender wie Netflix oder Disney Plus müsse sich die BBC modernisieren, so die Ministerin. Untermauert wird dies durch Zeitungsartikel zum Beispiel in der „Financial Times“ vom 20. Januar, wonach nur noch weniger als die Hälfte der 16 bis 24-jährigen unter der Woche das BBC-Angebot nutzen.

Kulturministerin Nicky Morgan hält deshalb die TV-Lizenzen für überholt. Derzeit ist deren Nichtbezahlung strafbar. Bis zum ersten April lässt Morgan nun eine Konsultation darüber durchführen, ob es in der Bevölkerung der Wunsch nach einer „De-Kriminalisierung“ der Nichtbezahlung gibt. Es sei in Anbetracht fortschreitender Digitalisierung ein „Anachronismus“, dass man für dieses Vergehen sogar ins Gefängnis wandern könne, so die Ministerin.

Bei der BBC fürchtet man, dass eine solche De-Kriminalisierung dazu führen könne, dass immer weniger Menschen sich eine TV-Lizenz anschaffen. Hausintern rechnet man mit daraus resultierenden Einnahmeverlusten von 200 Millionen Pfund pro Jahr. Die Journalistengewerkschaft NUJ befürchtet, dass auch diese Verluste sich in einer neuen Welle des Stellenabbaus bemerkbar machen werden. Die Gewerkschaft hat deshalb ihre Anstrengungen zur Mitgliedergewinnung bei der BBC verstärkt. Kündigungen bei der BBC lehnt die NUJ ab.

Überhaupt könnten die TV-Lizenzen schon bald Geschichte sein. Morgan sprach in ihrer Rede davon, sich die „Aufgeschlossenheit über die Zukunft der TV-Lizenzen“ zu bewahren. Im Jahr 2022 will die Regierung mit der BBC Verhandlungen zu diesem Thema aufnehmen. Im Gespräch ist unter anderem eine Umwandlung der Lizenzen in einen freiwilligen Aboservice. Dann wäre die BBC allerdings kein universeller Allroundanbieter mehr und müsste sich im freien Markt gegen die Konkurrenz von Netflix und Co behaupten.

 

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