Pressefreiheit von Gewalt, Mord, Haft und Zensur verdrängt
2006 nahm die Zahl der ermordeten Journalistinnen und Journalisten erneut zu: Allein im Irak starben 113 Berichterstatter und Medienmitarbeiter.
Martin Adler hatte keine Chance. Von hinten schlich sich ein bewaffneter Mann an den Journalisten heran und feuerte ihm aus kurzer Entfernung in den Rücken. Adler filmte an diesem 23. Juni 2006 gerade eine Demonstration in der somalischen Hauptstadt Mogadischu, als er getroffen wurde und tot zusammenbrach. Der 47-jährige Martin Adler war ein erfahrener Journalist. Der in Schweden geborene und lange in England lebende Reporter und Fotograf hatte in zahlreichen Krisenregionen gearbeitet, unter anderem im Irak, in Afghanistan, in Ruanda, im Kongo und in Bosnien-Herzegowina. Adler erhielt für seine Arbeiten im britischen TV-Sender „Channel 4“ oder für die schwedische Zeitung „Aftonbladet“ zahlreiche Auszeichnungen – unter anderem den Medienpreis von Amnesty International sowie den Silbernen Preis beim New Yorker Filmfestival 2001. Drei Jahre später bekam er den „Rory Peck Award“ für eine Reportage zu Übergriffen der US-Truppen im Irak.
Adler war der 14. Journalist, der seit dem Sturz von Diktator Siad Barre 1991 in Somalia getötet wurde. Seit 15 Jahren gibt es in dem ostafrikanischen Land faktisch keine staatlichen Strukturen und kein funktionierendes Justizsystem mehr. Dementsprechend wurde keiner der Morde untersucht und kein Verantwortlicher zur Rechenschaft gezogen.
In Somalia zu arbeiten ist gefährlich für Journalisten, doch am gefährlichsten ist es weiterhin im Irak. Im vierten Jahr hintereinander haben Fachorganisationen die meisten ermordeten Kollegen zwischen Euphrat und Tigris gezählt. Die „Reporter ohne Grenzen“ (ROG) dokumentierten das Schicksal von 39 Journalisten und 25 Medienmitarbeitern wie Fahrer oder Übersetzer, die 2006 im Irak getötet wurden. Anders als vor vier Jahren, als zu Beginn des Krieges noch viele ausländische Kollegen im Land waren, sind die Opfer inzwischen fast ausschließlich Einheimische und arbeiten auch überwiegend für irakische Medien. „In der bürgerkriegsähnlichen Situation reicht schon ein kritischer Artikel, um ins Visier von militanten Gruppen zu geraten“, sagte Katrin Evers von ROG. „Journalisten werden schnell einem anderen Lager zugeordnet. Um sie gezielt zu töten, reicht manchen Gruppen schon, dass Journalisten über Frauenrechte schreiben oder sich vielleicht zu positiv über die Demokratisierung äußern“. Die Bilanz ist erschreckend: „Im Irak“, so Evers, „sind seit 2003 schon 140 Journalisten ermordet worden. Das sind mehr als doppelt so viele wie im Vietnam-Krieg, der 63 Berichterstattern zwischen 1955 und 1975 das Leben kostete.“
Dass in bewaffneten Auseinandersetzungen Journalisten schnell zwischen die Fronten geraten, zeigte sich im vergangenen Jahr auch im Libanon. Die 23-jährige Fotografin Layal Najib, die für das Magazin „al-Jaras“ und die Nachrichtenagentur AFP im Einsatz war, wurde am 23. Juli im Süden des Landes bei einem israelischen Raketenangriff in einem Taxi sitzend getroffen und getötet. Sie hatte sich mit Flüchtlingen aus der Region treffen wollen.
„Aber nicht nur in Kriegen und Bürgerkriegen sind Journalisten gefährdet“, betont Katrin Evers und verweist auf die Lage in Mexiko. Dort sind Recherchen über soziale Unruhen oder Drogenhandel extrem gefährlich. Der erfahrene Polizeireporter und Zeitungsherausgeber Enrique Pera Quintanilla wurde im August in der Nähe der Stadt Chihuahua in Nordmexiko ermordet. Sein Blatt „Dos caras, una verdad“ (Zwei Seiten, eine Wahrheit) hatte über unaufgeklärte Mordfälle und Drogenhandel berichtet. Die Staatsanwaltschaft sucht die Mörder in den Kreisen des organisierten Verbrechens – bislang vergebens. Insgesamt fielen in Mexiko nach ROG-Angaben 2006 neun Journalisten Mordanschlägen zum Opfer.
Auch auf den Philippinen kamen sechs Kollegen bei der Arbeit gewaltsam ums Leben. Erstaunlich: Die Mörder der Journalistin Marlene Esperat, die zahlreiche Kolumnen gegen Korruption verfasste, wurden zu einer lebenslangen Haft verurteilt. Zwar sind die Hintermänner weiter auf freiem Fuß, doch ist dieser Prozess in einem Land, in dem Straflosigkeit die Regel ist, ein positiver Schritt.
Dass auch berühmte Medienschaffende nicht geschützt sind, zeigte im Oktober der Mord an der russischen Journalistin Anna Politkowskaja. Die Tschetschenien-Expertin arbeitete für die Wochenzeitung „Nowaja Gazeta“. Nach internationalen Forderungen, den Mord aufzuklären, hat die russische Regierung 150 Kriminalbeamte auf den Fall angesetzt. Ein weiteres Beispiel ist der armenischstämmige Türke Hrant Dink, der im Januar vor dem Redaktionsgebäude der Zeitung „Agos“ in Istanbul – offenbar von einem von Nationalisten angeheuerten Jugendlichen – erschossen wurde. Seine Beerdigung wurde eine Massendemonstration für die Pressefreiheit.
Nicht immer endet die Verfolgung von Journalisten tödlich. Körperliche Übergriffe oder Drohungen zur Einschüchterung sind in vielen Ländern genauso alltäglich wie Festnahmen oder Zensurmaßnahmen. „Gerade im Vorfeld von Wahlen leben Journalisten gefährlich“, hebt Evers hervor. Das mussten sie im vergangenen Jahr unter anderem in der Demokratischen Republik Kongo und in Weißrussland, aber auch in Brasilien, Bangladesch, Äthiopien oder Uganda erfahren. Für die Übergriffe waren Anhänger der unterschiedlichsten Parteien, aber auch Sicherheitskräfte verantwortlich.
Eine Welle der staatlichen Zensur überflutete Thailand nach dem Militärputsch im September. Mehr als 300 Radiosender wurden geschlossen und viele Internetseiten wurden gesperrt. Erst nach Wochen normalisierte sich die Lage wieder. Weltweit dokumentierte ROG 2006 mehr als 900 Fälle von Zensur. Gerade das Internet wird in einigen Ländern, die auch sonst die Meinungsfreiheit systematisch unterdrücken, streng kontrolliert. Neben Nordkorea, Birma, Turkmenistan, Kuba und China – Länder in denen sich das Netz noch nie frei entwickeln konnte – gehörten auch Ägypten, Saudi-Arabien oder der Iran zu den Staaten, in denen Webseiten verboten werden und Blogger für die Veröffentlichung ihrer Meinung im Gefängnis landen. Der Vietnamese Truon Quoc Huy wurde im August im Internet-Café festgenommen, noch während er in einem Chatroom über Demokratie diskutierte. Ihm droht eine Anklage wegen feindlicher Propaganda gegen die Sozialistische Republik Vietnam.
Ein weiteres Phänomen sind zunehmend die Entführungen von Journalisten. Außer im Irak ist das vor allem in den Palästinensergebieten zu beobachten, wo mindestens sechs Reporter im vergangenen Jahr verschleppt wurden. Viele kamen schnell wieder frei, andere – wie die amerikanischen Journalisten Steve Centanni und Olaf Wiig von „Fox News“ mussten zwei Wochen in der Gefangenschaft einer Gruppe namens „Brigade Heiliger Krieg“ ausharren.
Eine ROG-Delegation reiste deshalb nach Gaza-Stadt und rief sowohl Palästinenserpräsident Mahmud Abbas als auch die Mitglieder der rivalisierenden palästinensischen Gruppierungen auf, sicherzustellen, dass ihre Anhänger Journalisten ungehindert arbeiten lassen. Ein Appell, den die Organisation in die ganze Welt zu tragen versucht.