Brasilien will Pressefreiheit verbessern

Medienlandschaft Brasilien, 123rf

Brasilien nimmt im Länder-Ranking der Pressefreiheit von „Reporter ohne Grenzen“ Platz 110 von 180 ein. Hetze, Desinformation und Gewalt prägen das Klima gegenüber Journalist*innen. Mit der Wahl von Luiz Inácio Lula da Silva hat sich zumindest das mediale Klima in Brasilien wieder etwas entspannt, so der Journalist und Direktor von „Repórter Brasil“ Leonardo Sakamoto. Die Nichtregierungsorganisation mit einem Arbeitsschwerpunkt in Bereich Arbeits- und Menschenrechte begrüßt erste Maßnahmen der Regierung zum Schutz von Berichterstatter*innen.

Mit Angriffen, Klagen, verbalen Drohungen hat „Repórter Brasil“ seit seiner Gründung 2001 in Sāo Paulo immer wieder zu tun gehabt. „Das sind wir gewöhnt. Nicht aber den Sturm unserer Büros durch Bolsonaro-Anhänger und Morddrohungen auf offener Straße, wie es in den letzten vier Jahren vorkam“, sagt Leonardo Sakamoto mit leiser Stimme. Der 45-jährige Dozent und Journalist ist Direktor einer einflussreichen Nichtregierungsorganisation Brasiliens „Repórter Brasil“. Mit Studien und Dokumentationen hat sie auf die wiederholte Verletzung von Arbeits-, Menschen- und Umweltrechten aufmerksam gemacht.

Das schwierige Erbe Bolsonaros

Damit ist“ Repórter Brasil“ immer wieder den Interessen mächtiger Wirtschaftsclans vor allem aus dem Agrarsektor ins Gehege gekommen: Unter anderem der Soja-, Kaffee-, Zucker- oder Fruchtlobby. Die stehen nachweislich der Familie des Ex-Präsiendten Bolsonaro nahe. Sie haben zweimal den Wahlkampf des extrem rechten Politikers finanziert und dazu beigetragen, dass sich das gesellschaftliche Klima im größten Land Lateinamerikas gedreht hat. Hinzu kommt, dass staatliche Institutionen ihren Verpflichtungen nicht mehr nachgekommen sind, meint Sakamoto. „Fehlende Mittel bei Justiz, Ermittlungsbehörden und anderen Kontrollorganen haben dafür gesorgt, dass Arbeitsplatzinspektionen kaum mehr durchgeführt wurden, so dass die Zahl von Arbeitsrechtsverletzungen in den vier Bolsonaro-Jahren nach oben gegangen ist“, erklärt Sakamoto.

Leonardo Sakamoto (Foto: Lucas Lima/UOL,Reporter Brasil)

Am eigenen Leib habe er erfahren müssen, dass staatliche Institutionen kritische Journalisten obervierten, anstatt sie zu schützen. Es gab offene verbale Angriffe auf kritische Journalist*innen wie Patricia Campos Mello, Constança Rezende oder Glenn Greenwald, die immer wieder mit unbequemen Recherchen über die Regierung Bolsonaro aufwarteten. Zudem gehören – und das bis heute – Fake News zu den zentralen Bausteinen der medialen Strategie des Bolsonaro-Umfelds. Laut dem Institut Aos Fatos, das Fakten checkt, hat Brasiliens Ex-Präsident in den 1459 Tagen seiner Amtszeit 6685 falsche oder verzerrte Aussagen getätigt und dabei auch immer wieder den Obersten Gerichtshof angegriffen.

Erste Beobachtungsstelle eingerichtet

„Nun geht es zum Glück wieder in die richtige Richtung wie die Gründung der Beobachtungsstelle für Gewalt gegen Journalist*innen zeigt.“ Die wurde am 16. Januar auf Initiative von Justizminister Flávio Dino geschaffen, ist dem Justizministerium unterstellt und soll für mehr Prävention und Schutz für Journalist*innen sorgen. Das sei überfällig gewesen, sagt die brasilianische Vereinigung für investigativen Journalismus „Abraji“, die seit Monaten auf die steigende Zahl von Angriffen auf Journalist*innen hinweist. Allein zwischen dem 30. Oktober 2022 und dem 7. Januar 2023 habe es davon mehr als 80 gegeben. Hinzu kommen 40 Fälle, in denen Journalist*innen angepöbelt, beleidigt und auch physisch angegriffen wurden, als sie am 8. Januar über den Sturm auf die Symbole der Demokratie durch Bolsonaro-Anhänger*innen berichteten. Mehrere Tausend Menschen, oft die brasilianische Nationalflagge schwenkend, zogen durch das Regierungsviertel in Brasilia und hinterließen eine Spur der Verwüstung in Kongress, Präsidentenpalast und Gerichtshof.

Für Abraji-Geschäftsführerin María Esperidião ist die Einrichtung der Beobachtungstelle, die am 8. Februar ihre Arbeit aufnahm, ein wichtiges Signal. Allerdings fragt sie sich – wie viele andere auch – ob die Regierung nur den politischen Willen oder auch die Unterstützung des Koalitionspartners „Uniāo Brasil“ habe. Die konservative Partei hat das Kommunikationsministerium inne und ist mit Kommunikationsminister Paulo Pimenta für die Medienpolitik der Regierung Lula da Silva verantwortlich. Sie unterstützte einst auch Bolsonaro und benötige daher eine Frischzellenkur. Ob diese jedoch mit der „Uniāo Brasil“ möglich ist, hält die linke Medienwissenschaftlerin Helena Martins für wenig wahrscheinlich.

Neue Führungsspitze im Rundfunk

Erfreulich ist auch, dass die Führungsspitze der staatlichen Rundfunkgesellschaft EBC nach den Ereignissen vom 8. Januar komplett neu besetzt wurde. Der Grund dafür: Die EBC distanzierte sich in ihrer Berichterstattung nicht von den Bolsonaro-Aktivistinnen. Sie bezeichnete sie als Demonstrierende und deren von Vandalismus geprägten Marsch durch das Regierungsviertel Brasilias als Protest. Das hatte zur Entlassung des alten von Bolsonaro ernannten Direktoriums geführt. Ziel sei es nun die EBC in den kommenden Jahren zu einer internationalen Referenz für die Berichterstattung aus Brasilien zu machen und damit dem aktiven System Bolsonaro etwas entgegenzusetzen. Als Vorbilder könnten dabei die britische BBC oder die Deutsche Welle dienen, hieß es aus dem Kommunikationsministerium.

Privatisierung birgt Gefahren

Gegen das System Bolsonaro, das auf WhatsApp und Telegram nach wie vor sehr aktiv ist, aber auch auf YouTube Kanäle mit Tausenden von Followern unterhält, ist es nicht einfach, zu agieren. „Es muss auch um die Regulierung der großen Plattformen gehen“, meint Leonardo Sakamoto, der die ersten Initiativen der Regierung positiv bewertet und gleichzeitig mahnt „aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen“. Dazu gehören auch die undemokratischen privaten Strukturen in Brasiliens Medienlandschaft. Längst haben die Clans und Netzwerke der Großgrundbesitzer ihre Macht auf den Mediensektor ausgedehnt, warnt Reporter ohne Grenzen in einer Studie aus dem letzten Jahr. Mehr als 70 Prozent des Publikums sehen landesweit die Programme der vier großen Senderketten Globo, SBT, Record und Band. Auch das sei eine Gefahr für den Medienpluralismus, so Reporter ohne Grenzen“ in ihrem Fazit.

 

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