Carlos Cardoso ermordet

Mosambik ist geschockt vom Mord an seinem bekannten Journalisten

„Metical trauert. In Trauer sind auch die mosambikanischen Medien, von denen man sich Seriosität und mutiges Eingreifen wünscht. In Trauer ist die fragile Demokratie Mosambiks. Sie haben Carlos Cardoso ermordet. Das war kein Raubüberfall. Niemand wolle ihm etwas stehlen, außer dem Kostbarsten, was ihm gehörte: seine freie Stimme, sein Wille, sich aktiv in das Leben seines Landes, in das Wohlergehen seines Volkes einzumischen.“

Editorial von Metical, 23. 11. 2000

Carlos Cardoso, Chefredakteur und Eigentümer des Nachrichtenfaxdienstes Metical, war der wohl bekannteste Journalist Mosambiks. Einer, der seinen Beruf mit Leidenschaft ausübte, der schonungslose Recherche zum Bestandteil einer Berufsauffassung machte, wie sie in der Region selten ist, weil sie Gefahr fürs eigene Leben bedeutet. Er war unbestechlich und den Mächtigen unbequem, die zahlreichen Todesdrohungen im Lauf der Jahre ignorierte er.

Am Mittwoch, den 22. November, wurde Cardoso am späten Abend in unmittelbarer Nähe seines Büros in der belebten Innenstadt von Maputo erschossen.

Auf die Täter gibt es bislang noch keine Hinweise, doch der Mord war zweifellos geplant. Die regelmäßige Aufdeckung von Skandalen, Korruptionsfällen und illegalen Geschäften in Metical haben Cardoso Feinde in einflussreichen Kreisen des organisierten Verbrechens eingebracht. Die schockierenden Bilder noch am selben Abend in den Nachrichtensendungen des mosambikanischen Fernsehens, die zeigten, wie die Polizei den von Kugeln durchsiebten Körper des Ermordeten aus dem Auto zog, schreckten die mosambikanische Öffentlichkeit auf.

Premierminister Pascoal Mocumbi zeigte sich „tief geschockt“ und „sichtlich betroffen“. Hilario Matusse, Generalsekretär der mosambikanischen Journalistengewerkschaft, bezeichnete den Mord als „Versuch, uns alle zum Schweigen zu bringen“. „Carlos Cardoso sprach immer aus, was er dachte“, meinte Matusse. „Doch wenn jemand nicht mit ihm übereinstimmte, war er stets bereit, sich hinzusetzen und mit ihm darüber zu diskutieren.“

Cardoso gehörte nicht nur zu den herausragenden Journalisten seines Landes, er war auch eine im gesamten Südlichen Afrika geachtete Persönlichkeit. Als Nachfahre portugiesischer Siedler wurde Cardoso 1952 in Beira geboren. Während seines Studiums in Südafrika engagierte er sich an radikalen Anti-Apartheid-Kämpfen und wurde des Landes verwiesen.

Seine journalistische Laufbahn begann er nach der Unabhängigkeit Mosambiks 1975 als Redakteur der Monatszeitschrift Tempo. Nach einer kurzen Tätigkeit für Radio Mosambik wurde er 1980 zum Nachrichtenchefredakteur der staatlichen Nachrichtenagentur AIM (Agência de Informaçao de Moçambique) berufen. In den Jahren als Direktor von AIM trat Cardoso als ein sich für sein Land einsetzender, aber stets auch kritischer Journalist hervor. Das machte ihn weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt. Sein Name stand auf einer Liste potenzieller Ziele des südafrikanischen Geheimdienstes. Cardoso lag wegen seiner Art, Kritik lautstark zu formulieren, aber auch oft im Clinch mit der Frelimo-Führung und dem Informationsministerium. 1982 wurde er für sechs Tage inhaftiert, weil er mit einem Kommentar in der Tageszeitung Not’cias angeblich eine Regierungsverordnung zur Kriegsberichterstattung verletzt hatte, die den Medien bis dahin unbekannt war. Zu jenen Zeiten, als Mosambik Opfer der südafrikanischen Destabilisierungspolitik war, war Cardoso ein gern gesehener Gast auf Solidaritätskonferenzen.

Anfang der 90er Jahre – als sich in Mosambik ein Ende des langjährigen Bürgerkrieges und ein Übergang zu demokratischen Verhältnissen abzeichneten – trug Cardoso mit seinen Journalistenkollegen wesentlich zur Einführung der Pressefreiheit bei. 1992 gründete er die erste unabhängige Medienagentur des Landes (Mediacoop) und sorgte mit der Einführung von MediaFax – ein über Fax verteiltes Nachrichtenblatt – für frischen Wind in der weitgehend noch staatlich kontrollierten Medienlandschaft Mosambiks.
Seine kritischen Berichte in Mediafax und später in Metical – ein sich mehr auf wirtschaftspolitische Themen konzentrierender Faxdienst, den Cardoso nach der Trennung von Teilen seiner alten Redaktion 1997 gegründet hatte – haben die Politik Mosambiks wesentlich beeinflusst.

Cardosos professionelle Berufsauffassung von einem investigativen Journalismus hat weder die Regierung noch die Renamo, schon gar nicht die Kreise des organisierten Verbrechens geschont, deren Machenschaften bis in Oppositions- und Regierungskreise hineinreichen. Vor allem letztere nannte Cordoso offen die „Gangster-Fraktion“ der Regierungspartei.

Der größte Skandal, an dem Cardoso bis zuletzt recherchierte, rankt sich um die Banco Commercial do Moçambique (BCM). 1996 sind bei der privatisierten Bank ca. 14 Mio. Dollar verschwunden. In dem Skandal sind auch Parteifunktionäre verstrickt. Ihre Namen sind bekannt, aber ermittelt wurde nie gegen sie. Cardoso wusste offensichtlich zu viel. Über fast alle wichtigen Personen und Fälle besaß er Dossiers.

„Niemand hat das Recht, eine Stimme, die gegen die Übel der Gesellschaft gesprochen hat, zum Verstummen zu bringen“, meinte Manuel Tomé, Generalsekretär der herrschenden Frelimo und selbst gelernter Journalist. „Cardoso verkörperte investigativen Journalismus, einen Journalismus, der auf Ethik beruhte, einen Journalismus, der für das Land kämpfte. Carlos Cardoso war ein großer Patriot.“ Die Täter müssten hart bestraft werden. Mosambiks unabhängige Journalisten werden ihn beim Wort nehmen und eine rücksichtslose Aufklärung des Mordes durch die mosambikanische Polizei fordern. Salom—o Moyana, Weggefährte Cardosos aus Gründungszeiten von Mediacoop und heute Leiter der Mosambik-Abteilung des Medieninstituts für das Südliche Afrika, Misa, warnte: „Die barbarische Ermordung von Carlos Cardoso beschädigt Mosambiks guten Ruf als ein Land in Afrika, das Meinungs- und Pressefreiheit genießt. Sie wirft das Land zurück in dunkle Kapitel der Vergangenheit, als die Wahrheit auszusprechen bedeutete, sein Leben aufs Spiel zu setzen.“

Der 49-jährige Cardoso hinterlässt eine Frau und zwei Kinder.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Italien: Neun Jahre Haft für Recherche?

Drei Reporter*innen der italienischen Tageszeitung Domani müssen mit bis zu neun Jahren Gefängnis rechnen. Die Staatsanwaltschaft Perugia ermittelt gegen sie, weil sie vertrauliche Dokumente von einem Beamten angefordert und erhalten und das Geheimhaltungsprinzip der Ermittlungen verletzt haben sollen. Die dju-Bundesvorsitzende Tina Groll kritisierte, dass „hier investigative Berichterstattung über Mitglieder der italienischen Regierung unterdrückt werden soll."
mehr »

RSF: Vertrauen Sie der freien Presse!

Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung wählt in diesem Jahr ein neues Staatsoberhaupt oder eine neue Regierung, Regional- oder Kommunalpolitiker. Gleichzeitig begeht die deutsche Sektion von Reporter ohne Grenzen (RSF) ihr 30-jähriges Bestehen. Grund genug für die Kampagne „Erste Worte“. Unterschiedliche Menschen hören Auszüge aus den Antrittsreden ihrer Präsidenten: Wladimir Putin aus dem Jahr 2000, Nicolás Maduro aus dem Jahr 2013 und Recep Tayyip Erdogan 2014.
mehr »

Italien plant harte Strafen für Journalisten

Italien plant eine Reform seines Verleumdungsgesetzes. Das Vorhaben wird derzeit vom Justizausschuss des italienischen Senats geprüft und sieht neben höheren Geldstrafen auch ein gefährliches Verbot journalistischer Berufsausübung vor. Verurteilte Reporter*innen könnten ein Arbeitsverbot von bis zu sechs Monaten erhalten. Auch Haftstrafen für Medienschaffende, die eigentlich nicht im Gesetz auftauchen sollten, werden in einem jüngsten Änderungsantrag wieder hinzugefügt.
mehr »

Top Tarifergebnis im Kino

In den Tarifverhandlungen mit der Kino-Kette UCI (United Cinemas International GmbH) wurde am 19. Februar 2024 ein Tarifergebnis erzielt, das an vielen Stellen die ver.di-Forderungen erreicht, so auch den Einstiegslohn von 14 Euro. In der anschließenden Befragung der Mitglieder bis zum 4. März gab es keinerlei Ablehnung. Somit beschloss auch die ver.di-Tarifkommission einstimmig die Annahme des Tarifergebnisses.
mehr »