Der lange Weg zu unabhängigen Medien in den Balkanländern
Zwei Jahrzehnte nach dem Zerfall Jugoslawiens stehen nicht nur Journalisten-Gewerkschaften in den kleinen Balkan-Republiken vor wachsenden Problemen. „Die Situation der Medien ist grauenhaft“, waren sich die Teilnehmer des „Regional Trade Union Round-Table“ einig, den die Europäische Journalisten-Föderation (EJF) im Oktober in Skopje durchführte. JournalistInnen und GewerkschafterInnen aus Serbien, Kroatien, Bulgarien und Mazedonien sowie deutsche Vertreter der dju und des DJV diskutierten in der Hauptstadt Mazedoniens, der ehemaligen jugoslawischen Republik, die brennenden Probleme in ihren Ländern.
Die Euphorie der frühen Jahre ist vorbei. West-Verleger haben den Traum vom blühenden Wachstumsmarkt in Südosteuropa nicht erst seit der Weltwirtschaftskrise begraben, auch Journalisten in den jungen Demokratien der ehemaligen Republik Jugoslawien lernen mühsam, dass mit dem Wegfall staatlicher Lenkung und Zensur nicht automatisch eine demokratische Medienlandschaft und seriöser, glaubwürdiger Journalismus da sind.
Todesdrohungen und Erpressungsversuche, zerstörte Autos, demolierte Redaktionen, die ständige Furcht vor dem Rauswurf: So kann journalistischer Alltag auf dem Balkan aussehen. Freiheit der Presse? Schutz vor Willkür und politischem Druck? Ein Rechtsanspruch auf Information? Das Recht, auch Politiker oder Spitzenmanager öffentlich zu kritisieren? Die presserechtliche Verantwortung der Chefredaktion? Von Standards wie diesen können Redakteure dort nur träumen. So wie von Tarifverträgen, funktionierenden Betriebsräten, Arbeitsschutzgesetzen oder Arbeitsrichtern, die im Ernstfall auch mächtige Oligarchen zur Ordnung rufen.
Doch auch die Medienkonzerne aus dem Westen kämpfen mit wachsenden Problemen. Seit 2008 sind die Werbemärkte in den Balkanstaaten eingebrochen. Intransparente, teils mafiöse Strukturen in einer wild wuchernden, politisch oft undurchsichtigen Medienbranche bereiten selbst den Großen massive Probleme. „Südosteuropa ist für uns kein Zukunftsmarkt“, hatte WAZ-Geschäftsführer Bodo Hombach im August 2010 erklärt. 2009 war der Konzern aus dem Ruhrgebiet in Südosteuropa noch an 37 Tages- und Wochenzeitungen und 59 Zeitschriften beteiligt. Bis Mitte 2011 hatte sich die WAZ-Gruppe aus Bulgarien und Rumänien verabschiedet, der Rückzug aus Serbien, Kroatien und Mazedonien ist beschlossene Sache. Die Verhandlungen laufen.
Der Exodus der großen „Wessis“ bedeutet für Mini-Staaten wie Mazedonien – mit zwei Millionen Einwohnern, 380 Euro Durchschnittseinkommen und 25 Prozent Arbeitslosigkeit – mehr als den Verlust wirtschaftlich potenter Investoren. Bei allen Problemen der Balkan-Gewerkschaften mit den West-Konzernen – sie hatten auch „ihr Gutes“, sagt ein Gewerkschafter aus Bulgarien. „Die WAZ ist weg nach 15 Jahren, jetzt fehlt uns das Gegenüber für Verhandlungen.“ Alle Beratungen der letzten Jahre über Tarifregelungen, Presserecht oder Kündigungsschutz sind verloren. „Wir wissen nicht, wer die neuen Eigner sind.“
Wie können die Gewerkschaften der Balkan-Länder – oftmals klein und zersplittert – auf diese neue Situation reagieren? EJF-Präsident Arne König sucht vor Ort weiter den Dialog mit den West-Managern, solange es sie gibt, versucht im Konfliktfall zu vermitteln und wirbt darum, gemeinsam neue Regeln für den Journalismus oder für den Schutz der Arbeitnehmer zu entwickeln. Und er versucht, Politiker der Regierungsparteien zu gewinnen für eine Debatte über Mediengesetze, Presserecht und Markt-Transparenz. Zugleich müssen sich auch die Gewerkschaften neu sortieren, auch über die Grenzen hinweg. Denn die Journalisten und ihre Gewerkschaften, so König, müssten professionelle Standards setzen für den Journalismus der Zukunft. Die öffentliche Debatte um den Wert einer unabhängigen Presse für die Demokratie beginnt gerade.