Die britische Regierung hat kürzlich der Auslieferung von Julian Assange an die USA zugestimmt. In Berlin sprach M-Online mit Gabriel Shipton. Der 39-jährige australische Filmemacher ist der Halbbruder des Wikileaks-Gründers, der in einem englischen Hochsicherheitsgefängnis sitzt. Gemeinsam mit ihrem Vater John Shipton tritt er in mehreren Ländern auf, um Assanges Freilassung zu fordern. Am 21. Juni informierten die Shiptons in einer nicht-öffentlichen Bundestagsanhörung Abgeordnete mehrerer Parteien über ihre Kampagne und Kooperationsmöglichkeiten.
Was macht Julian zur Zeit, und wie geht es ihm?
Julian leidet weiterhin unter Schikanen und Ungewissheit, und er ist der Öffentlichkeit entzogen. Er durfte seit Januar 2021 bei keinem seiner Gerichtsprozesse anwesend sein. Das ist eine Entmenschlichung. Es gibt keine Fotos von ihm, niemand hört seine Stimme. Das beeinträchtigt seine Gesundheit. Im Oktober hatte er einen kleinen Schlaganfall. Nachdem die britische Innenministerin am 17. Juni seine Auslieferung bestätigt hatte, wurde er durchsucht – das heißt, ihm wurde in alle Körperöffnungen geschaut, auch in die intimen – und in eine komplett leere Zelle gesteckt, weil das Gefängnis befürchtete, dass er sich etwas antun könnte. Es ist Mord auf Raten.
Wie reagiert er auf die Entscheidung der Innenministerin?
Er ist in die Vorbereitung der Anfechtung der Gerichtsentscheidung für seine Auslieferung einbezogen. Er will den politischen Charakter seiner Verfolgung herausstellen, und dass es um Pressefreiheit geht. Seit der Gerichtsentscheidung sind neue Beweise ans Licht gekommen. Es gab letztes Jahr einen langen Artikel von Yahoo News, für den mit 30 aktuellen und ehemaligen Geheimdienstangehörigen gesprochen worden war. Da wurde bestätigt, dass Julians Treffen mit Anwält*innen und Ärzt*innen in der ekuadorianischen Botschaft in London für den US-Geheimdienst CIA mitgeschnitten wurden, und dass die CIA überlegte, ihn aus der Botschaft zu entführen. Sogar Pläne zu seiner Ermordung gab es. Zudem hat ein Belastungszeuge der US-Anklage, der Isländer Sigurdur Thordarson, letztes Jahr seine Aussagen zurückgezogen. Er sprach darüber mit einer isländischen Zeitung. Diese Fakten wurden noch nicht vor Gericht vorgelegt. Das Problem ist, dass es sich nun um ein Berufungsverfahren handelt, und das Gericht nur das rechtmäßige Handeln der ersten Instanz beurteilen muss, nicht neue Fakten. Julian wird aber argumentieren, dass es sich um gewichtige neue Erkenntnisse handelt.
Ihr Vater arbeitet immer wieder in vielen Ländern an und mit der Solidaritätsbewegung. Inwieweit haben Sie da mitgemacht?
Ich bin Filmemacher. Ich habe einen Dokumentarfilm über seine Arbeit, sein Engagement gemacht und das von Julians Ehefrau Stella, der erst kürzlich im australischen Fernsehen gezeigt wurde. Der Film heißt „Ithaka“ und hat diese Woche beim Sheffield Docfest in England Premiere. Ich habe meinen Vater vor allem in die USA begleitet, um dabei zu helfen, auch dort eine Solidaritätskampagne zu entwickeln.
Sie beide kommen gerade wieder aus den USA. Was werden Sie in Europa tun?
Nach den wenigen Tagen in Berlin sind wir einen Monat lang im Vereinigten Königreich unterwegs. Wir sind auf Tour mit dem Film „Ithaka“, um Leute zu mobilisieren. Die Kampagne für Julian hat mehrere Ebenen. Eine davon ist an der Basis. Mein Vater arbeitet da großartig. Er bringt die verschiedensten Leute zusammen.
Welche Rolle haben die großen Medien im Lauf der Zeit für Julians Fall gespielt?
Die großen Medien wie die „New York Times“ haben in der Vergangenheit mit Julian und Wikileaks zusammengearbeitet. Es waren große Enthüllungen, und es gab ein neues Paradigma für Medien wegen des Umfangs des digitalen Materials. Für so etwas brauchst du Medien wie „Le Monde“, „Spiegel“, „El Pais“, „Guardian“. Sie haben sich zusammengetan, um das alles zu verarbeiten und koordiniert zu veröffentlichen, je nachdem, was in jedem Land relevant war. Sie haben damals von der journalistischen Zusammenarbeit mit Wikileaks enorm profitiert. Sie spielten dann aber auch eine große Rolle bei der jahrelangen Dämonisierung von Julian wegen der Vorwürfe aus Schweden, er sei ein Frauenfeind oder Vergewaltiger.
Jetzt realisieren die Medien aber langsam, was die Verfolgung von Julian für sie bedeutet: Es ist ein Präzedenzfall, in dem ein Journalist der Spionage beschuldigt wird, obwohl er einfach seine Arbeit gemacht hat. Der „Guardian“ bringt mittlerweile regelmäßig Artikel, die in diese Richtung gehen und die sich gegen Julians Auslieferung aussprechen. Mein Dokumentarfilm „Ithaka“ wurde vom staatlichen australischen TV-Sender ABC ausgestrahlt. Es war der erste positive Beitrag über Julian, der dort in den vergangenen zehn Jahren gelaufen ist. Die Medien wachen also langsam auf. Hoffentlich werden sie laut und mutig genug, bevor es zu spät für Julian ist.
Am Montag hatten Sie ein Treffen im Bundesaußenministerium, das von den Grünen geführt wird, die sich immer für Julians Freilassung ausgesprochen hatten. Wie war es?
Ich will hier nicht ins Detail gehen, wir haben mit Staatsminister Tobias Lindner Vertraulichkeit über das Gespräch vereinbart. Wir setzen uns weiter dafür ein, gegenüber den Abgeordneten im Deutschen Bundestag wie gegenüber der Bundesregierung und bei all unseren Gesprächen mit der Presse, dass sich Deutschland für die Freilassung von Julian einsetzen soll. Der G7-Gipfel in Elmau und der NATO-Gipfel in Madrid in der kommenden Woche sind gute Gelegenheiten für die Bundesregierung, den Fall auf den Tisch zu bringen.
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Aktualisierung am 4. Juli 2022
Assange hat Einspruch eingelegt
Julian Assange hat gegen die Anordnung zu seiner Auslieferung an die USA Einspruch eingelegt. Der High Court in London habe den Eingang der Beschwerde des 50-jährigen Australiers bestätigt, berichtete der britische Sender BBC am 1. Juli.