Die unglaubliche Geschichte einer Gratiszeitung

In Katalonien mischt die Gratiszeitung „Cafè amb llet“ nach dem politischen auch den publizistischen Sektor auf. Nicht nur zwei erfolgreiche Crowdfundings beweisen, dass sie von einer wahrhaftigen Bewegung getragen wird.

Anfang März soll die achte Sonderausgabe von „Cafè amb llet“ erscheinen. Die unglaubliche Geschichte der katalanischen Gratiszeitung geht weiter – und es sieht nicht so aus, als ob sie bald enden würde.
2011 begann das Blättchen, das damals nur in einem Teil des Speckgürtels von Barcelona verteilt wurde, die lokale Umsetzung der Kürzungen im Gesundheitssystem in Frage zu stellen. Die Redaktion bestand nur aus einem relativ jungen und noch dazu journalistisch unerfahrenen Paar. Doch die beiden blieben hartnäckig, als sie mit Allgemeinplätzen abgespeist wurden. Sie enthüllten sowohl die strukturelle Korruption im katalanischen Gesundheitssystem als auch Einzelfälle. Sie veröffentlichten ihre Geschichte in einem Buch und gewannen im Februar 2014 einen Prozess, der aus einflussreichen Kreisen gegen sie angestrengt worden war. Auch danach endete ihr politisches Engagement nicht: Die Journalisten, die durch ein simples YouTube-Video über ihre Erkenntnisse sehr bekannt geworden waren, legten sich mit der politischen und wirtschaftlichen Elite an.
Vor einem Jahr startete „Cafè amb llet“ (katalanisch für: Kaffee mit Milch) eine Crowdfunding-Kampagne, um vier Sonderausgaben mit einer Auflage von 145 000 herauszubringen – Kataloniens höchster Auflage. Das war extrem erfolgreich: Die dafür nötigen 25.000 Euro waren schon am neunten Tag nach Start der Kampagne zusammen (es wurde dann noch viel mehr Geld, was die Auflage erhöhte). Aufhänger der Kampagne und Titelthema der ersten Ausgabe waren die Geschäftsbeziehungen zwischen großen spanischen Zeitungen und dem Bankensektor, also die Abhängigkeit ersterer von letzterem. Darüber hinaus war der Anspruch, Themen zu behandeln, die große Medien unterschlagen. Ob Privatisierungen und lange Wartelisten in Krankenhäusern, Steuervermeidung bei Konzernen, das Freihandelsabkommen TTIP oder Geldflüsse zwischen Firmen und Politikern – die auch im Innenteil gute und abwechslungsreiche „Cafè amb llet“ wird knallig aufgemacht. Dank vieler Freiwilliger wurden die Sonderausgaben in ganz Katalonien verteilt. „Cafè amb llet“ hat sich nicht nur zu einem Enthüllungsmedium und Organ der Medienkritik entwickelt, sondern auch zu einem wichtigen Teil der Zivilgesellschaft. Andere Medien und Initiativen liefern Inhalte zu.
Nach der letzten der vier Sonderausgaben ging im Oktober das nächste Crowdfunding los. Wieder kamen über 25.000 Euro zusammen. Alle Ausgaben sind online einsehbar, ebenso die Kostenstruktur der Zeitung.
Wie geht es nach der achten und vorerst letzten finanzierten Ausgabe mit der hohen Auflage weiter? „Gute Frage“, antwortet Albano Fachin, die eine Hälfte des erwähnten Paares hinter der Zeitung. Monatliche Spenden von je fünf Euro sollen die jetzige Erscheinungsweise weiter ermöglichen. 1500 bis 2000 Leser müssten dazu bereit sein. Bisher gebe es nur 1000. Hinzu kommen könnten noch viele der 1600, die sich an den Crowdfundings beteiligt haben. Die Hälfte von ihnen hat sich noch nicht für die monatliche 5-Euro-Spende entschieden. Da gebe es also noch viel Potenzial.
Bewirkt hätten die großen Ausgaben so einiges, sagt Fachin. So sei nach einer skandalisierenden Titelgeschichte von „Cafè amb llet“ im Regionalparlament der Verkauf von Patientendaten durch ein öffentliches Krankenhaus verhindert worden. Und TTIP sei bis vor einigen Monaten kaum bekannt gewesen. Erst nach den Berichten in „Cafè amb llet“ hätten es auch einige große Medien skandalisiert.

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Israel: Press freedom under pressure

The Israeli newspaper Haaretz is known for its critical stance towards the government. Now government authorities are apparently no longer allowed to communicate in the newspaper. The TV station Al Jazeera has been banned from broadcasting. This was made possible by a law passed in April banning foreign media that are considered harmful to Israel's security. We spoke to Israeli journalist and trade unionist Anat Saragusti.
mehr »

Buchtipp: Power von der Eastside

Die Geburtsstunde des Jugendradios DT64 schlug beim „Deutschlandtreffen der Jugend“, einer von der Freien Deutschen Jugend der DDR ausgerichteten gesamtdeutschen Pfingstveranstaltung im Jahre 1964. Hervorgegangen war der Sender aus dem Jugendstudio „DT64“ des Berliner Rundfunks. Drei Jahre nach dem Mauerbau sollten der Jugend ein paar kulturelle Zugeständnisse gemacht, den aufmüpfigen Klängen der frühen Beat-Ära im Westen eine eigenständige, aber konventionelle sozialistische Alternative entgegengestellt werden.
mehr »

Israel: „Angriff auf die Medienfreiheit“

Die israelische Tageszeitung Haaretz ist für ihre regierungskritische Haltung bekannt. Nun sollen Regierungsbehörden offenbar nicht mehr mit der Zeitung kommunizieren. Gegen den TV-Sender Al Jazeera besteht ein Sendeverbot. Ermöglicht wurde dies durch ein im April beschlossenes Gesetz, das das Verbot ausländischer Medien vorsieht, die als schädlich für die Sicherheit Israels angesehen werden. Wir sprachen mit der israelischen Journalistin und Gewerkschafterin Anat Saragusti.
mehr »

Riesa: Einschränkung der Pressefreiheit

Die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union in ver.di Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen beobachtete am vergangenen Samstag die Demonstrationen in Riesa rund um den AfD-Parteitag. Ziel der Beobachtung war der Schutz der Presse- und Berichterstattungsfreiheit sowie der Aufdeckung potenzieller Gefährdungen für Journalist*innen. Insgesamt mehr als sieben Stunden war die dju während der zahlreichen Demonstrationen vor Ort. Die Gewerkschaft übt nun insbesondere gegenüber der Polizei Kritik am Umgang mit Journalist*innen und an der Einschränkungen der Pressefreiheit während des Einsatzes.
mehr »