Endlich “Hier“

Beschäftigte der Rundfunkanstalt Kan in Tel Aviv bei der Arbeit
Foto: REUTERS/Baz Ratner

Nach jahrelangen Verzögerungen ist Israels neue Sendeanstalt „Kan“ on air. Bis zur letzten Minute flogen allerdings die Fetzen. Premierminister Benjamin Netanyahu ließ kaum etwas unversucht, um den Start des neuen Betriebs zu verschieben. Ein letzter Kompromiss wurde noch kurz vor knapp ausgehandelt. Doch der könnte weitreichende Folgen haben und vor allem Israels künftige Teilnahme am Eurovision Song Contest (ESC) gefährden.

„Guten Abend. Wir sind hier, wir starten unsere Reise und werden alles tun, um als würdiger öffentlicher Rundfunk zu bestehen.“ Mit diesen denkwürdigen Worten eröffnete Geula Even-Sa’ar Mitte Juni den Sendebetrieb von Israels neuer öffentlicher Rundfunkanstalt Israeli Public Broadcasting Corporation (IPBC), im Volksmund „Kan“ (übersetzt: Hier“). Dann fügte die erfahrene Moderatorin hinzu: „Wir wissen, warum wir hier sind, für Sie, für die Öffentlichkeit. Und so werden wir unsere Arbeit machen, ohne Angst, unabhängig und ohne Vorurteile.“

Diese Worte von Even-Sa‘ar dürften in den Ohren von Premierminister Benjamin Netanyahu nur so geklingelt haben. Einerseits zählt ihr Ehemann Gideon Sa’ar zu dessen ärgsten Parteirivalen. Andererseits unterstreicht die Anmoderation genau das, was der Ministerpräsident wohl am meisten befürchtet: mangelnden Einfluss. Denn in der alten Sendeanstalt, der Israeli Broadcasting Authority (IBA), hatte die Regierung Mitspracherecht. Die neue Organisation soll hingegen frei von politischer und gewerkschaftlicher Einflussnahme arbeiten. Ergo befürchtet Netanyahu, dass Kan zu unabhängig und kritisch werden könnte.

Ein kurzer Rückblick: 2014 wurde im Rahmen der Rundfunkreform beschlossen, die alte Rundfunkanstalt (IBA) zu schließen. Sie war im Laufe von acht Jahrzehnten zu einem riesigen und kostenintensiven Koloss angewachsen, dem zu viel politischer Einfluss vorgeworfen wurde. Die neue, schlankere Kan sollte die Lösung sein: unabhängig, mit vielen erfahrenen Mitarbeiter_innen der IBA und mit 740 Millionen Schekel Ausgaben pro Jahr deutlich günstiger als die IBA mit 1 Milliarde. Doch aus der Reform wurde eine Zitterpartie für die rund 1000 Mitarbeiter_innen der IBA und ein politisches Gerangel, das im vergangenen Frühjahr beinahe Neuwahlen zur Folge hatte.

Als letzter Kompromiss wurden noch kurz vor Sendestart zwei Gesellschaften gegründet, die unter dem Dach von Kan operieren: eine für die Nachrichten, eine für den Rest des Programms. Der Haken daran: interne Absprachen sind schwerer, und Kan-Generaldirektor Eldad Koblenz warnt vor einer „totalen Lähmung“. Die Leitung der neuen Organisation ist Kommunikationsminister Netanyahu ohnehin ein Dorn im Auge. Der Premier versuchte bereits mehrfach, die beiden Kan-Chefs Koblenz und Gil Omer abzusägen – allerdings ohne stichfeste Begründung.

Für die Israelis hat die neue Rundfunkanstalt bislang folgende Verbesserungen gebracht: Die jährliche Rundfunkgebühr in Höhe von rund 80 Euro wurde ersatzlos gestrichen. Und wie es scheint, werden nicht nur die bekannten Moderator_innen weiterhin zu sehen sein, sondern auch der politische Einfluss der Regierung eisern außen vorgehalten.

Noch ist jedoch unklar, ob Israel weiterhin am beliebten Eurovision Song Contest (Stichwort: Dana International) teilnehmen kann. Dafür muss die Sendeanstalt Mitglied in der „European Broadcasting Union“ (EBU) sein. Netanyahus Hauruckaktion mit der Nachrichtentrennung widerspricht den Aufnahmeregelungen, die ein einheitliches Programm aus Unterhaltung, Nachrichten und Sport fordern. Wie das Eurovision Centre „Esctoday“ berichtet, wolle Kan das Problem wohl lösen, indem ein zusätzliches Nachrichtenformat eingeführt wird. Laut der EBU-Website werde der Antrag derzeit geprüft.

Anmerkung der Redaktion: Am 13. Juli wurden im dritten Textabsatz sachliche Korrekturen angebracht.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Trumps digitaler Medienpranger

Donald Trump verfolgt mit seinen Attacken auf Medien und Journalist*innen drei Hauptziele: Ablenkung von eigenen Verfehlungen, Bindung seiner rechten Unterstützer*innen und Selbstbereicherung. Große Medienkonzerne unterstützen ihn, um eigene Profitinteressen zu fördern. Das Resultat ist eine Bedrohung von Pressefreiheit und Demokratie.
mehr »

Digitale Mobilität als Machtfaktor

Smartphone, Social Media und Plattformen – wie werden Menschen durch mobile, vernetzte Medientechnologien sichtbar, und wer oder was bleibt unsichtbar? Welche Rolle spielen dabei Geschlechter- und Machtverhältnisse? Über diese Fragen diskutierten Medienforscher*innen  auf der Tagung „Bilder in Bewegung, mit Bildern bewegen: Gender, Macht und Mobilität“ in Tübingen.
mehr »

Junger Journalismus: Lernen, vernetzen und schützen

Angriffe auf Journalist*innen nehmen zu, online wie auf der Straße. Umso wichtiger, Pressefreiheit nicht nur als Prinzip zu verstehen, sondern sie im Alltag zu verteidigen. Mit diesem Anspruch lud die Jugendpresse Deutschland Anfang November rund 80 junge Medieninteressierte nach Dresden ein. Bei der „YouMeCon kompakt“ ging es um journalistisches Handwerk, Verantwortung und darum, wie man Menschen schützt, die berichten.
mehr »

Mexiko: Stipendium als Wendepunkt

Mit einem Stipendium kam die Journalistin Vania Pigeonutt vor drei Jahren nach Berlin. Kurz vor dem Burn-Out, als eine Art hyperventilierendes Nervenbündel, traf die Mexikanerin aus dem Bundesstaat Guerrero bei Reporter ohne Grenzen ein. Heute hilft sie Kolleg*innen aus anderen Ländern, aber auch aus Mexiko, beim Start in einen neuen Alltag.
mehr »