Faszinierender „Schnacker“

Über Auswirkungen von Sprache auf das „politische Gehirn“

Elisabeth Wehling analysiert seit Jahren die Wirkung politischer Sprache auf unser Denken. Ihr im Frühsommer 2008 erschienenes Buch „Auf leisen Sohlen ins Gehirn“ (M berichtete) erlebt gerade seine zweite Auflage. Die Wissenschaftlerin und Journalistin kommt aus Hamburg und forscht als kognitive Linguistin an der Berkeley University in Kalifornien. Nachdem in den USA die Demokraten die Präsidentschaftswahl gewonnen haben, schaut sie auf die Sprache Obamas und das, was sie bewirkt.


M | „Yes, we can“, drei Worte, die kaum der Übersetzung bedürfen, haben weltweit fasziniert und sind sogar Teil der Werbung geworden. Was verändert Obamas Sprache?

ELlSABETH WEHLING | Es sind nur drei Worte, aber sie stehen für eine ganze Weltsicht. Barack Obama hat – entgegen der Tradition demokratischer Wahlkampfführung – nicht nur über Zahlen und Programme, sondern über politische Wertevorstellungen gesprochen. Anfangs wurde er als eine Art „Redenschwinger ohne viel dahinter“ begriffen – oder um es in meinem Dialekt zu sagen: als „Schnacker“. Erst im Lauf des Wahlkampfes ist das Bewusstsein entstanden, dass über die Sprache viel passiert. Yes, we can, Ja, wir können, sind Schlüsselworte seiner Politikauffassung. Damit hat Obama das Denken der Amerikaner verändert, ihnen das Angebot gemacht, sich mit Werten zu identifizieren, die denen des konservativen Lagers entgegenstehen. Getan hat er das über die Sprache. Das fasziniert auch uns.

M | Offenbar wird seine Sprache als authentischer empfunden?

WEHLING | Wenn Obama redet – und das war auch der Eindruck bei seinem öffentlichen Auftritt in Deutschland, den Zehntausende direkt verfolgten – hat man die Vorstellung, dass er über etwas spricht, woran er wirklich glaubt. Er kommuniziert einfach. Selbstverständlich hat er Kommunikationsprofis, die ihn beraten. Aber seine Reden schreibt er zum Teil selbst oder er nimmt starken Einfluss auf seine Redenschreiber.

M | Wird unsere politische Wahrnehmung durch eine andere Sprache anders?

WEHLING | Natürlich, und das trifft nicht nur auf die US-Amerikaner zu. Auch wir in Deutschland und Europa, die wir im US-Wahlkampfjahr 2008 ständig „zugeschaltet“ waren, sehen zum einen die USA in einem neuen Licht. Zum anderen hat sich in unseren Köpfen etwas verändert. Mit Obamas Reden werden politische Werte-Muster erweckt, die gerade in Deutschland lange Tradition haben, aber wenig oder ungeschickt kommuniziert werden. Solche Denkmuster, sogenannte Frames, wurden zwar im Zusammenhang mit US-amerikanischer Politik aufgerufen, aber neurologisch gesehen sind unsere Gehirne jetzt darauf gepolt, diese Vorstellungen auf uns zu übertragen. Obamas Ideen liegt linke Politik zugrunde. Das bedeutet eine immense Chance für linkspolitische Parteien in Deutschland, vor allem im Wahlkampfjahr 2009. Allerdings wird diese Möglichkeit nicht unbedingt erkannt. Es fehlt hier genau das, was Obama umgesetzt hat: Eine kohärente Kommunikation politischer Werte und das Einbetten von Fakten, politischen Interessen und Programmen. Das Entleihen eines Slogans wie Yes, we can in die deutsche Debatte reicht da nicht. Dieser Slogan war nur so erfolgreich, weil er im Zusammenhang mit Obamas übriger Sprache Sinn machte, der klare politische Werte zugrunde lagen.

M | Erliegen wir wieder Denkmustern, die – geschickter gemacht – Analogien zu denen der Bush-Rhetorik aufkommen lassen?

WEHLING | Ganz und gar nicht. Obama steht für komplett andere politische Ideen. Und darauf begründete sich sein Wahlerfolg. Er bot dem amerikanischen Volk nach Jahren einer durch konservative Werte strukturierten Debatte sprachlich eine alternative politische Weltsicht an: Gegenseitige Verantwortung, Empathie – die Bereitschaft, sich in andere einzufühlen – und Schutz für jeden Bürger mit Sozialprogrammen, Bildung, Gleichberechtigung… Diese Ideen hat er nicht neu erfunden, sondern die Amerikaner daran erinnert. In Deutschland hätten diese Ideen sogar größere Chancen, weil unserer Politik ein sozialeres Staatsverständnis zugrunde liegt. Das ist eine Chance für Journalisten und Politiker, sozialstaatlichen Grundideen in der Debatte wieder zu mehr Geltung zu verhelfen.

M | Begründet Ihr Forschungsgebiet Framing – die Verknüpfung von Sprache und Denkmustern – einen neuen kommunikativen Trend?

WEHLING | Neu ist das nicht. Aber die Mechanismen rücken in unser Bewusstsein. Framing zeigt, wie politische Ideen bereits kommuniziert werden. Wir verstehen Sprache nur über Gehirnaktivität. Und Frames sind, schlicht ausgedrückt, genau das: Gehirnaktivität. Sich mit kognitiven Frames ernsthaft auseinanderzusetzen bedeutet, sich darüber klar zu werden wie wir – bewusst oder unbewusst – über Politik denken. Nach der zweiten Auflage meines Buches habe ich angefangen, auch in Deutschland und Europa diese Wechselwirkungen intensiv zu beobachten. Ich hoffe, dass viele politische Akteure und Journalisten sich stärker mit dem Framing politischer Ideen beschäftigen werden. Meine Website www.elisabethwehling.com bietet eine Anlaufstelle für jeden, der sich über die Auswirkung von Sprache auf das „politische Gehirn“ informieren will.

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