Globalisierung und SelbstZensur

Branchenfremde Verflechtungen bedrohen Unabhängigkeit der Medien in Europa

Branchenfremde Verflechtungen mit dem Medienbereich bedrohen zunehmend die Unabhängigkeit der Medien – mitten in Europa. Die um sich greifende Konzentrationsform birgt die Gefahr der SelbstZensur als Lancierung oder Auslassung bestimmter Inhalte. Sie gehört zu den drei Besonderheiten, die den Prozess der Medienglobalisierung neben Medientechnologie und der Verfügung über Medieninhalte vom Prozess der allgemeinen Globalisierung unterscheiden.

Frankreich 2004/2005: Ein vorgesehenes Interview über umstrittene Rüstungslieferungen nach Taiwan wird im Le Figaro nicht abgedruckt. Journalistischer Alltag? Oder eine Folge der Übernahme der Zeitung durch den Rüstungsindustriellen Serge Dassault? Nachweise sind grundsätzlich schwer, viele Betroffene schweigen, um ihren ohnehin meist prekären Arbeitsplatz bzw. Status als Feste Freie nicht zu gefährden. Außerdem ist Selbstzensur nicht nur journalistisch tabuisiert.

Multisektorale Konzentration wie solche Verflechtungen mit dem Medienbereich á la Dassault genannt werden, sind historisch – Stichwort: Hugenberg – keineswegs neu. Neu ist allerdings die Zunahme im Zuge der Globalisierung der Medien. Dabei sind die Branchen, mit denen sich die Medienunternehmen verflechten, weit gestreut: Sie reichen vom Großhandel über Touristikunternehmen bis zur Atom- und Rüstungsindustrie. Speziell in Europa ist eine Verstärkung multisektoraler Konzentration zwischen Tagespresse und Rüstungsindustrie zu verzeichnen, wofür Namen wie Dassault, Fiat / Itedi und Lagardère stehen. Auch aktuelle Beispiele wie der Kauf des Berliner Verlages (Berliner Zeitung, Kurier, tip) durch den bri­tischen Unternehmer David Montgomery mit der Beteiligungsgesellschaft Mecom in einem Konsortium mit Veronis Suhler Stevenson (VSS), gehören zu den branchenfremden Verflechtungen.

Immer weniger Akteure

Komplexer und umfangreicher werdende Kapitalverflechtungen sind seit Mitte der neunziger Jahre gleichsam zum Symbol für den Globalisierungprozess mit seinen politikgestalteten, neoliberalen Kräften Deregulierung, Privatisierung und Liberalisierung geworden. Trotz gelegentlich entflechtender Tendenzen nimmt die Zahl unternehmerischer Akteure in der globalen Medienlandschaft stetig ab.

Das globale Mediensystem besteht aus (mindestens) drei Gruppen, die ein dynamisch-amorphes und komplexes Netzwerk bilden: Die erste Gruppe setzt sich aus nicht einmal mehr zehn transnational agierenden, überwiegend börsennotierten Konzernen mit Stammsitzen in Nord­amerika, Asien und Europa zusammen. Sie bilden globale Oligopole, die den Markt gegenüber Neueinsteigern hermetisch abriegeln. Als Gruppenmitglieder gelten derzeit AOL Time Warner, Disney, News Corporation, Bertelsmann, Viacom / CBS, General Electric / NBC, Vivendi Universal, Sony und AT&T.

Die zweite, dynamischste Gruppe, die durch die ökonomische Übermacht der ersten leicht übersehen wird, besteht bisherigen Schätzungen zufolge aus rund 60 bis 90 Konzernen, die als transnational-­regionale Machtzentren zu begreifen sind und die sich vor allem in asiatische Märkte, aber auch nach Mittel- und Osteuropa ausbreiten. Zwar ist die Regionalisierung von Medienkonzernen auch eine Antwort auf den Ausschluss vom Weltmarkt, dem so neue Inklusionen gegenübergestellt werden. Die Konzerne speziell der zweiten Gruppe sind aber – ganz im Sinne der Formel von der sogenannten Glokalisierung als Globalisierung und Lokalisierung zugleich – als integraler Bestandteil des globalen Mediensystems und nicht als dessen ausgelagerte Gegenbewegung zu verstehen.

In der dritten, größten und zahlen­mäßig noch nicht bezifferten Gruppe, versammeln sich alle nationalstaatlich und regional ansässigen Medienkonzerne. Obwohl ihre ökonomische Macht im Vergleich zu den Unternehmen der beiden anderen Gruppen gering ist und sie nur wenig oder gar nicht transnational aktiv sind, verfügen ihre Produkte über eine meinungsbildende Bedeutung im lokalen und (über)regionalen Raum, die teils über den jeweiligen Staat hinausweist, wie etwa die Schweizer Neue Züricher Zeitung. Das Lokale ist demnach integrativer, in Relation stehender Aspekt der Globalisierung der Medien, nicht aber dessen Gegenteil. Insofern ist es weder ausreichend, Globalisierung als einen Prozess zu verstehen, bei dem das Globale das Lokale völlig vereinnahmt, noch ist es sinnvoll, die lokalen und regionalen Gegenbewegungen als potente Gegenspieler zu den globalen Kräften zu begreifen und aufzuwerten.

Am Rande dieser dritten Gruppe orientieren sich inzwischen einige Konzerne verstärkt transnational und sammeln Know-how, um perspektivisch vor allem in die zweite Gruppe zu streben. Beispielsweise expandieren Konzerne, die teilweise in ihren ökonomischen Herkunftsländern eher unbekannt sind, in Staaten Mittel- und Osteuropas, wie etwa die bundesdeutsche Verlagsgruppe Passau, die auf den polnischen lokalen Tageszeitungsmarkt drängte und deren dortige politische Rolle äußerst umstritten ist: Einst politische Blätter wurden nach deutschem Vorbild zu unkritischen Heimatpostillen umgekrempelt, die kein heißes Eisen mehr anfassen. An solchen Beispielen zeigt sich, wie problematisch „globale Zugriffe“ auf das Lokale sind.

Die Besonderheiten der Ware Medien

Die sog. global players als Akteure der Globalisierung mit ihren entgrenzten Aktivitäten stellen wohl die prominenteste Übereinstimmung zwischen dem allgemeinen Globalisierungsprozess und dem der Medienglobalisierung dar. Dennoch sind die Besonderheiten der Ware Medien an sich – beispielsweise durch die Produktionskosten, die ganz anders als bei anderen Waren unabhängig von der Zahl der RezipientInnen sind – noch keine hinreichenden Argumente für ausgewiesen Spezifisches an der Globalisierung der Medien. Dafür ausschlaggebend sind drei zentrale Elemente, die sich zu einer Trias verdichten lassen: Die Besonderheiten des Medienglobalisierungsprozesses lassen sich an der Bedeutung von Technologie, multisektoraler, also branchenfremder Konzentration und der Verfügung über Medieninhalte festmachen.

  1. Für den Bereich der Technologie lauten wichtige Stichworte: bessere Bild- und Tonqualität, neue und beschleunigte Übertragungswege, Digitalisierung, Schaffung neuer globaler Medienformen wie das Internet sowie neue Rezeptionsformen, etwa interaktives Fernsehen. Entgegen der Bedeutung von Technologie für die Globalisierung der Finanzmärkte als zentralem Hilfs- und Verstärkungsmittel, ist sie im Medienbereich strukturelle Voraussetzung und starker Motor des Prozesses. Technologie ermöglichte z. B. entgrenzende Sendung von Programmen via Kabel und Satellit und eine immense Kanalvervielfältigung, was zur Grundlage für die Etablierung neuer Anbieter auf dem Markt wurde.
  2. Verstärkungen multisektoraler Konzentration sind für die Zeit nach 1945, speziell seit den achtziger Jahren zu verzeichnen. Dabei drängt zumeist branchenfremdes Kapital auf den Medienmarkt (und nicht umgekehrt). In Europa liegen Länderschwerpunkte in Griechenland und Frankreich. Die Datenlage zu dieser Verflechtung ist (gesetzesbedingt) allerdings äußerst dürftig und ensprechend ist wenig konkretes Wissen zugänglich. Sobald Medien und andere Waren sozusagen unter einem Konzerndach produziert werden, kann es über die Berichterstattung, die den nicht-medialen Konzernteil berührt, zu konfligierenden Interessen kommen, die mehr oder weniger klar auf Profit und Machtfragen zurückzuführen sind; der Ausgang solcher Konflikte ist offen. Als zwei Typen lassen sich zum einen die Auslassung nicht genehmer Inhalte und die bewusste Platzierung gefälliger Inhalte charakterisieren. Zum anderen ist das die Einbindung börsennotierter Konzerne in Finanzspekulationen (shareholder value-Orientierung) als Quelle von Instabilität.

Besonders augenfällig ist die Problematik – wie eingangs beschrieben – bei gesellschaftlich umstrittenen Industriezweigen wie etwa bei der Atom- oder der Rüs­tungsindustrie. Wie sich der potentielle Einfluss auf die Redaktion bzw. die JournalistInnen auswirkt, ist schwer zu kalkulieren. Eindeutige Zensureingriffe erfolgen wohl je nach Land eher selten. Viel wahrscheinlicher sind dagegen subtilere Methoden und Mechanismen: Wird Zensur durchgeführt, angedroht oder auch nur befürchtet, so sind in diesem Machtinstrument bereits (un)bewusste selbstzensorische Maßnahmen von Medienschaffenden angelegt. Diese sollen einem möglichen zensorischen Akt vorbeugen. Diese enge Verbindung von Zensur und Selbstzensur lässt sich mit dem Begriff SelbstZensur fassen. Kritische oder auch einfach nur in irgendeiner Hinsicht problematische Inhalte in den Medien kommen so bei privat-industriellen Interessenlagen, speziell bei branchenfremdem Verflechtungen, kaum noch vor. Chancen zur Veröffentlichung haben dagegen marktgängige Inhalte, was nicht selten als vermeintlicher Nachfragesachzwang getarnt wird. Andere fallen strukturell aus der Konstruktion medialer Realität heraus.

  1. Die Verfügung über Medieninhalte als weiteres und damit zusammenhängendes, besonderes Element der Globalisierung der Medien bedeutet im Vergleich zu anderen Waren erstens die Möglichkeit der strukturellen Begrenzung des Zugangs zu Öffentlichkeiten und zweitens die quantitativ wie qualitativ extensive Möglichkeit, auf Öffentlichkeiten politisch, kulturell und sozial Einfluss zu nehmen. Damit verfügen die herrschaftlich oligopolisierten oder gar monopolisierten Konzerne der entfesselten Medienwirtschaft über ein immenses politisches Machtpotential der Strukturierung und Beherrschung der Öffentlichkeit. Dies gilt es auf unterschiedlichen Wegen politisch, etwa supra-nationalstaatlich re-regulierend und gesellschaftlich zu begrenzen und zwar auch mit grundlegenden politischen Partizipationsmöglichkeiten der BürgerInnen.

Breite Diskussion anfachen

Nicht zuletzt mit Blick auf teils schwindende kritische Ansprüche im Berufsverständnis von JournalistInnen, auf die Verengung des Erwerbsmarktes und auf die fortschreitende Prekarisierung von journalistischen Arbeitsbedingungen sind als Folgen der Medienglobalisierung Praktiken marktstrukturell vermittelter SelbstZensur zu befürchten. Dieses Potential konzentrationsmitbedingter SelbstZensur stellt in eklatanter Weise die Unabhängigkeit der Medien in Frage und bedroht massiv die autonome Arbeit von Journalistinnen und Journalisten. Eine Enttabuisierung selbstzensorischer Praktiken wäre ein erster Schritt, eine breite Diskussion anzufachen und damit auch Widerstandsmöglichkeiten auszuloten.

Zur Autorin

Christiane Leidinger, promovierte Politologin, Lehrbeauftragte in Berlin und Autorin des Buches: Medien – Herrschaft – Globalisierung. Folgenabschätzung zu Medieninhalten im Zuge transnationaler Konzentrationsprozesse.

Münster: Westfälisches Dampfboot 2003

 

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