Mit verbalen Angriffe gegen unliebsame Journalisten geht Guatemalas Präsident Alejandro Giammattei mit schlechtem Beispiel voran. Ein Grund, weshalb das mittelamerikanische Land zu einem immer riskanteren Pflaster für kritische Journalist*innen wird. Lokale Journalistenorganisationen dokumentieren zunehmende Angriffe auf unbequeme Berichterstatter*innen. Marvin Del Cid und Sonny Figueroa sind zwei von denen, die nicht nur die Regierung kritisch unter die Lupe nehmen.
Die Journalisten Marvin Del Cid und Sonny Figueroa stehen bei Guatemalas Präsident Alejandro Giammattei nicht sonderlich hoch im Kurs. Hinter vorgehaltener Hand schimpft er über „El Combo“ („das Team“). Sie würden immer wieder dafür sorgen, dass die Veruntreuung öffentlicher Mittel ans Licht komme und die Vermehrung von Eigentum von Menschen aus dem direkten Umfeld des Präsidenten kritisch hinterfragt werde.
Zuletzt haben die beiden umtriebigen Reporter Mitte August ein Buch mit 15 ihrer besten Reportagen über Korruptionsfälle in Guatemala veröffentlicht und dafür einen provokanten Titel gewählt: „Ich will nicht, dass man sich an mich als einen weiteren Hurensohn erinnert“, heißt es. Das war auch einer der Slogans, mit denen der konservative Kandidat Giammattei in seinem Präsidentschaftswahlkampf 2019 aufgetreten war. Viele Wähler*innen sind darauf hereingefallen. Sie vertrauten dem Politiker, der gern auf sich aufmerksam macht und sich zuvor bereits drei Mal erfolglos für das höchste Staatsamt beworben hatte. Korruption war für Giammattei damals erklärtermaßen undenkbar. Die Reportagen der beiden engagierten Journalisten, die auf den beiden Online-Plattformen „Artículo 35“ und „Vox Populi“ erschienen sind und nun in Buchform vorliegen, vermitteln nun allerdings einen ganz anderen Eindruck.
„Das nervt die Regierung“, ist sich Sonny Figueroa sicher und verweist auf die verbalen Attacken Giammatteis gegen ihn und seinen Kollegen Del Cid. Hinzu kommen mehrere Anzeigen gegen das unbequeme Duo sowie ein Raubüberfall vor dem Präsidentenpalast, wo sich weder die Wache noch die Polizei für Figueroa einsetzten. Sämtliches Equipment wurde ihm gestohlen, er wurde eigener Aussage zufolge von der Palastwache geschlagen und anschließend mehrere Stunden auf der nächsten Polizeiwache festgehalten.
Zweierlei Realitäten im Mediensektor
Für den 29-Jährigen von eher schmächtiger Statur sind das Indizien für die Kriminalisierung unbequemer Journalisten. „Incomodo“ heißt das auf spanisch und ist in Guatemala eine gängige Bezeichnung für die Kolleg*innen, die investigativ arbeiten, kritisch nachfragen und ihren Job ernst nehmen. Jedoch sind längst nicht alle Berichterstatter*innen in Guatemala „unbequem“. Es gibt durchaus auch die Redaktionen, die von den Anzeigen der Regierung leben, die offizielle Sichtweisen für bare Münzen nehmen und entsprechend berichten. „Vor allem für die Fernsehkanäle 3,7,11 und 13 triff das zu“, so Sonny Figueroa. Aus Perspektive der Regierung arbeiten diese „comodo“. Dagegen bilden Tageszeitungen wie „El Periódico“, „La Hora“, Online-Medien wie „Con criterio“, „Plaza Pública“ oder „Artículo35“ das Gegengewicht, so der Ombudsmann für Menschenrechte Jordán Rodas.
Rodas hat Figueroa und Del Cid mehrfach unterstützt. Gleiches gilt für die Menschenrechtsorganisation Udefegua, die den beiden im Juli Anwälte zur Seite stellte, um sie wegen einer Anzeige aus dem Umfeld des Präsidenten zu verteidigen. Erfolgreich. Anfang August erfolgte der Freispruch des investigativen Duos. Sie hatten wieder einmal nachgefragt, wie es kommt, dass Menschen aus dem engsten Umfeld des Präsidenten in kurzer Zeit ihr Vermögen merklich aufstocken und sich Luxusanwesen zulegen konnten. Derart unbequeme Fragen und Reportagen haben seit der Vereidigung Giammatteis im Januar 2020 spürbar zugenommen. Ursache sind der Anstieg von Korruptionsskandalen sowie unnötige oder schlecht koordinierte Ausgaben in der Corona-Krise. Die wird vom Präsident – immerhin ein Mediziner – ausgesprochen mies gemanagt.
Verschiedene Indizien für eine Zäsur
Pressekonferenzen finden immer öfter ohne das Staatsoberhaupt statt, der nach der Entlassung des obersten Korruptionsermittlers Juan Francisco Sandoval Ende Juli mehr und mehr unter Druck aus den USA gerät. Für Sonny Figueroa eine Zäsur in der jüngeren Geschichte des Landes: „Tatsache ist, dass die Korruption und die Unterwanderung des Staates dazu geführt haben, dass ein Staatsanwalt in dieser Position einfach entlassen wird. Wir erleben die Konsequenzen der Beendigung des CICIG-Mandats“, kritisiert Figueroa. Die UN-Kommission gegen die Straflosigkeit in Guatemala (CICIG) musste im September 2019 nach fast zwölf Jahren erfolgreicher Arbeit das Land verlassen. Sie hatte es gewagt, gegen Giammatteis Vorgänger Jimmy Morales zu ermitteln.
Unter dem amtierenden Präsidenten stehen Journalist*innen nun zunehmend im Fokus von Angriffen. 149 Attacken auf Berichterstatter*innen hat die Journalistenvereinigung Guatemalas (APG) bis zum Dezember 2020 dokumentiert – fast doppelt so viele wie die 85 im Jahr zuvor. Hinzu kommt der erste Journalistenmord in der Amtszeit von Alejandro Giammattei. Am 30. Juli dieses Jahres wurde Pedro Guadrón Hernández in der Gemeinde Concepción Las Minas ermordet. Er hatte über Korruption berichtet. Darauf haben nicht nur Reporter ohne Grenzen, sondern auch die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch hingewiesen. In deren Warnungen tauchten auch die Namen von Sonny Figueroa und Marvin Del Cid auf.