Journalistenstreik gegen Entlassungen

Großbritanniens Medien-Gegenwart – Deutschlands Zukunft?

Zeitungs-Streik, ausländische Unternehmen kaufen TV Anstalten auf, der kommerzielle Fernseh-Bereich stagniert dank unfähigem Management, die öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt steht besser da als je zuvor. Wenn weiterhin gilt, dass Großbritanniens Medien-Ereignisse wenige Monate später auch in Deutschland stattfinden, dann ist dieses Medienszenario Deutschlands Zukunft.

Belege gefällig? Rupert Murdoch gründete in London das Medienunternehmen BSB British Sky Broadcasting. Ein Münchner Medien-Unternehmer machte es ihm nach. Die britische kommerzielle Digital-Fernseh-Plattform ITV Digital ging durch horrende Finanz-Zusagen im Bereich Fußball-Fernsehrechte in Konkurs, ein Münchner Medien- Unternehmer folgte. Die BBC erfand die TV Sendung Teletubbies, öffentlich-rechtliche Sender in Deutschland griffen zu. Die BBC exportierte die Hitparaden-Sendung Top of the Pops, ein deutsches Kommerz TV legte freudig viel Cash auf den Tisch.

So gesehen steht Deutschland bald ein großer Zeitungsstreik bevor. In Schottland führten sinkende Werbeeinnahmen und eine strikte anti-europäische Ausrichtung beim Verlag Scotsman Publications zu einem riesigen Auflageneinbruch. Vor vier Jahren verkaufte die Edinburgher Zeitung „Scotsman“ noch 120.000 Exemplare täglich, jetzt steht die offizielle Zählung für Schottlands National Newspaper bei 72.000. Mit sieben Chef-Redakteuren in vier Jahren gings bergab, „Scotsman“-Redaktionsposten sind als Hire und Fire Posten bekannt. Auch beim Schwesterblatt, der Sonntagszeitung „Scotland on Sunday SoS“, geht es nicht anders zu. Da in solchen Situationen britischen Verlegern ebenso wenig einfällt wie deutschen Verlegern sucht Herausgeber Andrew Neil ohne vorherige Information der Angestellten sein Heil in dieser Idee: Die bislang streng getrennten Wirtschafts-, Sport – und Aktuell-Redaktionen beider Zeitungen werden zusammengelegt. Rund 30 Redakteure werden entlassen. Doch während deutsche Redakteure ihr ähnliches Schicksal widerspruchslos hinnehmen, stimmten alle (!!!) „Scotsman“- und „SoS“-Mitglieder der Gewerkschaft National Union of Journalists für Streik.

Schottische Redakteure sind empört

Der wird in den nächsten Wochen den Zeitungsverlag im Edinburgher Osten stilllegen und Andrew Neil zwingen, öfter als bisher sein Süd-Frankreich Domizil zu verlassen und sich der rauen schottischen Wirklichkeit zu stellen. Auf britischen Bildschirmen ist er bereits angekommen. Vor wenigen Wochen war Mr. Neil als möglicher neuer Moderator der BBC-TV-Politiksendung Panorama erstmals zu bewundern. Persönliches Ego vor Sorge um den Arbeitsplatz anderer, das fanden hartgesottene schottische Redakteure absolut empörend. Auch in Glasgow brodelt die Journalistenseele. Die Redaktionen von „Scottish Daily Record“ und „Scottish Daily Mail“ planen ebenfalls journalistische Arbeitskampfmaßnahmen. Die Londoner Zentralen wollen ihre schottische Redakteure entlassen, um Kosten aufzufangen. Die Redakteure von „Financial Times“ und „Guardian“ verfolgen gespannt die schottische Entwicklung. Beide Zeitungsverlage haben mit den größten Anzeigeneinbrüchen ihrer Geschichte zu kämpfen.

Die Lage im britischen kommerziellen Fernsehen ist noch viel schlimmer, sie gleicht einem Desaster. Weil 400 Mio. Pfund Schulden dem Glasgower Medienkonzern Scottish Media Group SMG schwer zu schaffen machen, will er seine Zeitungen „Herald“, „Sundayherald“ und „Evening Times“ in Glasgow zwar behalten, aber den Radio / TV-Bereich für 300 Mio. Pfund (456 Mio. Euro) verkaufen. Die kommerziellen Sender Scottish TV, Grampian TV und die UK-weit sendende Virgin Radio-Gruppe sollen neue Besitzer finden. In Verhandlungen ist der britische Konkurrenzkonzern Granada, der an SMG finanziell beteiligt ist. Granada konnte in den letzten Wochen selbst durch Gerichtsverfahren nicht gezwungen werden, für die Schulden seiner Tochter ITV Digital (zu jeweils 50 Prozent im Besitz der Konzerne Granada und Carlton) einzustehen. Seit Wochen warten 72 Vereine der 2. – 4 englischen Fußball-Liga auf immerhin 178 Mio. Pfund vertraglich zugesagte Fernsehgelder. Sie haben dieses Geld schon lange für neue Spieler und neue Stadien ausgegeben. Rund 30 Profi-Clubs stehen vor dem finanziellen Aus. Granada und Carlton besitzen auch die kommerzielle ITV (Independent Television) -Fernsehkette, die ähnlich wie die ARD in viele regionale TV-Stationen mit eigenen Programmen unterteilt ist. Das zentrale Programm wird aus einem Broadcasting Center in London gesendet.

Neues Mediengesetz

ITV war nicht nur bei der Fußball-WM deutlicher Quotenverlierer gegen Konkurrent BBC und machte in den letzten Monaten mehr durch Management Querelen als durch Programmhits von sich reden. Beim gerade zu Ende gegangenen Guardian Edinburgh International TV Festival wurde bekannt, dass sich Einstiegs-Interessenten für ITV gemeldet haben. Vor wenigen Wochen hat die britische Regierung die Communications Bill, das neue Mediengesetz angekündigt. Dieses ermöglicht es ausländischen Investoren erstmals britische Medienunternehmen komplett aufzukaufen. Bis zum Abdanken von Dr. Thomas Middelhoff war Bertelsmann ein ganz heißer ITV-Übernahmekandidat. Die Gütersloher sind über die RTL Gruppe bereits am kommerziellen ITV-Konkurrenten Channel 5 mit 65 Prozent beteiligt. Jetzt werden US-Unternehmen mit hohem ITV-Interesse gehandelt. Sie sollen mit hohen Investitionen bereit sein, der öffentlich-rechtlichen British Broadcasting Corporation BBC die Medienhölle zu bereiten. Seit dort vor knapp 2 Jahren der vielfache Millionär, ehemalige Manchester United Direktor und Ex-Granada Vorstandsvorsitzende Greg Dyke Generaldirektor wurde, sind in den Wirtschafts-, Finanz- und Verwaltungsabteilungen 1.500 „Anzüge“ entlassen worden. Das dadurch frei gewordende Geld wurde sofort ins Programm gesteckt und 2002 eine Programm-Großoffensive durchgeführt. Zwei neue landesweite TV-Stationen ergänzten BBC 1 und BBC 2 , über den Kulturkanal BBC 3 wird noch mit der britischen Regierung gestritten. Vier neue digitale Radios ergänzen die landesweit sendenden BBC Radios 1 bis 5. Digitalradio 1Xtra wendet sich zum Beispiel an die asiatische Bevölkerung. Radio und TV der Zukunft ist interaktiv, hat Greg – wie ihn die 25.000 BBC Mitarbeiter nennen (müssen!) – verkündet, eine dreistellige Millionensumme wird in BBCi, den interaktiven BBC Bereich investiert. Bei der Fußball-WM 2002 gab es einen Vorgeschmack darauf. Jeder Spieler konnte mit eigener Kamera verfolgt und aktuelle Spieldaten während des laufenden Spiels abgerufen werden. Per Knopfdruck war auch BBC News ständig aktuell mit dabei. Nicht zuletzt, weil bekanntlich deutsche Medien-Obere oft wie gebannt auf britische Vorbilder wie die BBC schauen, könnte so bald auch Deutschlands Medienzukunft aussehen.

Deutsche Medienbosse fehlen

Die Frage ist derzeit allerdings, ob deutsche Medienchefs das überhaupt schon mitbekommen haben? Obwohl alle britischen bzw. englischsprachigen TV-Anstalten und TV-Unternehmen alle Jahre wieder Ende August die britische Medienentwicklung beim TV-Festival in Edinburgh ganz offiziell besprechen und vorstellen, waren dort deutsche Medienbosse in den letzten Jahren nur selten bis gar nicht zu sehen. Tolle Aussichten: Britannia rules the (air) waves und Deutschland schaut und hört aus großer Ferne zu.

 

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