Korrespondenten in China nach wie vor in der Arbeit behindert
Die ermutigende Versicherung kam vom chinesischen Präsidenten Hu Jintao höchstpersönlich. China werde die Arbeit ausländischer Journalisten auch nach dem Ende der Sommerspiele weiterhin „erleichtern“, sagte Hu Anfang August. Liu Binjie, Minister für Buch- und Pressepublikationen, legte wenige Tage später nach. Die „offene Tür“ für die ausländische Presse „wird sich auch nach den Spielen nicht schließen“, beteuerte er. Aber richtig offen, wie es die Regierung versprochen hatte, war die Tür nie.
Zwar hatten die chinesischen Behörden schon zum 1. Januar 2007 die Arbeitsbedingungen für ausländische Korrespondenten deutlich verbessert. Im Vorfeld der Olympischen Sommerspiele brauchte man für Reisen und Interviews außerhalb Pekings keine Genehmigung der örtlichen Behörden mehr. Es reicht das Einverständnis des Interviewpartners. Zumindest steht es so im Erlass 477 des Staatsrates, der Zentralregierung also. Aber in der Praxis sah es auch schon vor den Sommerspielen oft anders aus. Allein im Jahr 2007 registrierte der Club der Auslandspresse in Peking (FCCC) 160 Fälle von Behinderungen von Korrespondenten. Mal wurden Journalisten stundenlang festgehalten oder mussten ihre Film- und Fotoaufnahmen löschen, mal wurden Interviewpartner anschließend festgenommen oder unter Druck gesetzt.
Auch im Olympiajahr sieht die Bilanz nicht besser aus. In den ersten sieben Monaten des Jahres registrierte der Club der Auslandspresse bereits 174 Fälle von Behinderungen. Als im März Unruhen in Lhasa ausbrachen, wurden Tibet und die angrenzenden tibetischen Regionen in den Nachbarprovinzen einfach für Journalisten gesperrt. Auch nach dem schweren Erdbeben im Mai im südwestchinesischen Sichuan wurden nach einer kurzen Periode der Öffnung die Zügel wieder angezogen. Über Pfusch an Schulgebäuden und örtliche Korruption sollte keiner offen sprechen.
Einige Fortschritte
Und dann Olympia. Allein während der Sommerspiele wurden ausländische Journalisten nach Angaben der FCCC in 59 Fällen behindert. Während Sportreporter auf dem Olympiagelände ungestört arbeiten konnten, gerieten Kollegen, die sich mit den Protesten oder anderen „sensiblen“ Themen befassten, immer wieder in Schwierigkeiten. Prominentestes Beispiel: der britische ITN-Korrespondent John Ray. Er wurde von Polizisten überwältigt, über den Boden geschleift und in ein Polizeifahrzeug gestoßen, als er über eine pro-tibetische Protestaktion in der Nähe des Olympiageländes berichten wollte. „In Sachen Pressefreiheit hat es die chinesische Regierung nicht aufs Siegertreppchen geschafft“, kommentiert FCCC-Präsident Jonathan Watts.
Und trotzdem gab es Fortschritte, glaubt Watts, der als Korrespondent für die britische Tageszeitung The Guardian arbeitet. Einige Websites wurden entsperrt – darunter die von Human Rights Watch. Auch die Behörden zeigten sich ungewohnt offen: Anders als sonst in China standen Behördenvertreter den Journalisten innerhalb des Olympiageländes und im Internationalen Pressezentrum der Stadt regelmäßig Rede und Antwort.
Zwar blieben die Antworten oft unbefriedigend, aber immerhin gab es überhaupt die Möglichkeit, Fragen zu stellen. Allerdings mussten Journalisten zehn Tage lang insistieren, bis die Behörden schließlich Details über die so genannten Protestzonen vorlegten, die für die Spiele eingerichtet worden waren. Warum keine einzige Demo zugelassen wurde, blieb bis zum Schluss unklar.
„Es bleibt noch viel zu tun“, sagt daher auch die FCCC. So gilt der Erlass 477, der den Journalisten zumindest gewisse Erleichterungen verschaffte, nur bis zum 17. Oktober 2008. Was dann passiert, ist noch völlig offen. Zwar deuten die Äußerungen von Präsident Hu Jintao und anderen darauf hin, dass die neuen Freiheiten vielleicht auch weiterhin gelten könnten. Aber entsprechende Verlautbarungen seitens der Regierung stehen noch aus.
Und selbst wenn die temporären Regelungen verlängert werden, müssten sie besser umgesetzt werden, fordern Organisationen wie Reporter ohne Grenzen. Ausländische Korrespondenten berichten immer wieder, dass sie bei ihrer Arbeit überwacht werden. „Sie folgen mir ständig, machen Fotos und filmen mich“, sagt eine Journalistin, die in Peking für eine ausländische Nachrichtenagentur arbeitet. „Ich denke zweimal darüber nach, ob ich Chinesen zu heiklen Themen interviewe, denn ich fürchte, sie könnten festgenommen werden.“ Dass Gespräche mit ausländischen Reportern für Chinesen unliebsame Folgen haben können, ist mehrfach belegt. Bekanntestes Beispiel: Der Bürgerrechtler und Aids-Aktivist Hu Jia. Er war im Frühjahr wegen „Untergrabung der Staatsgewalt“ zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Als Beweismaterial dienten unter anderem Interviews mit Auslandskorrespondenten in Peking und Veröffentlichungen von Hu auf ausländischen Websites. Deshalb fordert auch der FCCC einen besseren Schutz für Journalisten und Informanten. „Gewalt gegen Journalisten muss sofort aufhören“, so Watts. „Die Behörden müssen weitere Schritte Richtung Transparenz und Offenheit einleiten.“ Dann könnte das Erbe der Sommerspiele sogar noch positiv ausfallen, sagt er.
und seit 2005 freie Korrespondentin in Peking