Wenn hoher Besuch auf die griechischen Inseln zu den Camps voller Geflüchteter kommt, dann „wird eine Simulation von Pressefreiheit aufgebaut“. Dann sind kurze kontrollierte Besuche von Pressevertreter*innen im Lager möglich. So hat die deutsche Journalistin Franziska Grillmeier den Besuchstag der EU-Kommissarin Ylva Johansson auf Lesbos Ende März erlebt. Sonst möchte die Regierung das Thema aus der Öffentlichkeit heraushalten und behindert jede Berichterstattung.
Auf Lesbos leben geschätzt 6500 Flüchtlinge, nach dem Brand des Lagers Moria im September 2020 sind sie im Zeltlager Karatepe untergebracht. Weitere rund 6000 Geflüchtete leben auf den Inseln Samos, Chios, Kos und Leros. Mit 276 Millionen Euro will die Europäische Union den Bau neuer Lager auf diesen fünf Inseln unterstützen, erklärte Johansson bei ihrem Besuch, bei dem Journalist*innen vorher eingereichte Fragen stellen durften.
Mit der EU-Kommissarin kam eine ganze Reihe von Journalist*innen zur Stippvisite auf die Insel. Franziska Grillmeier lebt seit 2018 dort und hat seither erfahren, dass es im Alltag immer schwieriger wird, für ihre Reportagen mit geflüchteten Familien ins Gespräch zu kommen oder von den Behörden Antworten auf Presseanfragen zu erhalten.
Die Stimmung ist längst gekippt
Der Besuch in den Camps, die meist auf militärischem Gelände errichtet sind, war auch schon früher nicht gestattet. Aber der Kontakt zu den Menschen im sogenannten Dschungel, der um das eigentliche Lesbos-Lager Moria herumgewachsenen Hüttenstadt, sei wenig reglementiert gewesen. „Hier konnte ich mich frei bewegen, mit den Leuten reden und kochen“, erinnert sich Grillmeier bei einer von der dju organsierten Online-Diskussion „Angriff auf die Pressefreiheit: Journalistische Arbeit an der EU-Außengrenze“ Ende März. Natürlich habe auch die Corona-Pandemie vieles verändert, räumt sie ein. Aber auch mit Test sei eine Kontaktaufnahme nicht möglich, „zum Schutz der Menschen und ihrer Persönlichkeitsrechte“, heiße es von Seiten der Behörden.
Dadurch habe es authentische Informationen aus dem Lager nur noch von Vertreter*innen von Nichtregierungs-Organisationen (NGOs) gegeben. Doch auch diese seien inzwischen zur Verschwiegenheit vergattert worden, wenn sie ihre Arbeit dort nicht gefährden wollen. Videos, Fotos oder Nachrichten von den Bewohner*innen der Lager selbst seien wegen des Informantenschutzes nur sehr eingeschränkt verwendbar. Die einst flüchtlingsfreundliche Stimmung auf Lesbos sei ins Negative gekippt, berichtete Grillmeier. Auch den Reporter*innen gegenüber. Wenn diese attackiert oder bespuckt würden, griffe die Polizei nicht ein.
Das hat auch der Fotograf Michael Trammer im Februar 2020 erfahren. Als er ein in den Hafen gezogenes Flüchtlingsboot filmte, wurde er von rechten Inselbewohnern angegriffen, verprügelt und seine Kameras wurden ins Wasser geworfen. Hilfe bekam er nur von Kolleg*innen, die den Vorfall auch filmten. Trammer verließ danach, auch auf Anraten der deutschen Botschaft, die Insel. Kurz darauf landete der Dokumentarfilmer Arne Büttner mit einem Kollegen auf Lesbos. Sie wurden sofort von Polizisten mit auf das Revier genommen, dort zwei bis drei Stunden festgehalten und nach ihren Plänen gefragt. Das habe für sie die Atmosphäre auf der Insel klar gemacht und gezeigt, „dass die Behörden sehr genau gucken, wer kommt und dort arbeitet.“
Ähnliche Erfahrungen teilten Filmer*innen auch auf Samos, die ebenfalls stundenlang festgehalten und durchsucht wurden. Dass Journalist*innen in ihrer Arbeit eingeschränkt werden, dass die Berichterstattung behindert wird, ist durch die Initiative „Media Freedom Rapid Response“ für Lesbos ebenfalls belegt und bei den Behörden beklagt worden.
Das hat nicht mehr viel mit Journalismus zu tun
Dokumentarfilmer Büttner hat den Sonderfall Prominentenbesuch ebenso erlebt wie Grillmeier, nämlich als im Sommer der heutige CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet das alte Lager Moria besichtigte oder als das neue Lager nach dem Brand offiziell vorgestellt wurde: Wenige Minuten, unter Aufsicht, ohne Gespräch, hundert Meter hinein bis zu den ersten weißen Zelten, so hat Büttner den Pressetermin im Karatepe in Erinnerung.
Statt weniger Wochen blieb Büttner elf Monate auf der Insel, sein Film ist zurzeit in der Postproduktion. Vom griechischen Ministerium für maritime Angelegenheiten hat er zwar eine Erlaubnis bekommen zu filmen, aber auch das Verbot, mit den Geflüchteten zu sprechen. „Aber es ist unsere Arbeit, mit den Menschen zu sprechen“, sagt Büttner. „Wenn die Regeln der Behörden darauf abzielen, diesen Dialog zu unterbinden, hat das nicht mehr viel mit Journalismus zu tun.“ Bei Bevölkerung und Lokalpresse kämen ausländische Journalist*innen zum Teil sogar in den Verdacht, illegale Flüchtlingshelfer zu sein oder Situationen für nachteilige Berichte zulasten Griechenlands zu fälschen. „NGO“ sei offenbar bei manchem zum Schimpfwort mutiert.
„Fotojournalisten sind das Lästigste der Welt, denn die rennen nicht weg, sondern fotografieren“, wenn sie angegriffen oder gemaßregelt werden. So fasst Fotojournalist Wassilios Aswestopoulos die Einstellung vieler griechischer Offizieller gegenüber der Presse zusammen. Seit 2016 habe es erstmals massive Gewalt gegen Journalist*innen in Griechenland gegeben. Inzwischen versuche das Ministerium, Fotojournalisten nur noch zu offiziellen Terminen im Pulk zuzulassen oder den Polizisten Kameras für gefällige Bilder in die Hand zu drücken. „Das ist das Ende jedes Journalismus“, warnt der in Aachen und Athen lebende Aswestopoulos, der auch Generalsekretär der griechischen Fotojournalisten-Union ist. Die hatte zusammen mit anderen Presseorganisationen in den vergangenen Wochen genug Anlass zum Protest gegen die griechische Pressepolitik, nicht nur auf den Inseln, wie in den Berichten von „Mapping Media Freedom“ nachzulesen ist. „Pro Woche zwei bis drei Beschwerden“ verfasse seine Gewerkschaft inzwischen.
Signal-Gruppe soll helfen
Bei Befragungen von Journalist*innen durch die Polizei seien oft unautorisierte Dritte anwesend, Ausweise würden von Polizisten fotografiert. Wohin die Informationen dann gelangten, sei für die Journalist*innen nicht zu kontrollieren. Massive Drohungen gegen einzelne, Einbestellungen von Chefredakteuren, folgenlose Dienstaufsichtsbeschwerden oder Anzeigen begleiteten die Pressearbeit ebenso wie unmöglich gewordene Diskussionen mit Polizeibeamten vor Ort, denn Widerworte würden flugs als Widerstand gegen die Staatsgewalt gewertet und ziehen nach Aswestopoulos‘ Erfahrung ein Verfahren nach sich. Der Öffentlichkeit vermittle die Regierung gerne den Eindruck, dass Journalist*innen eigentlich negative Aktivist*innen seien. Die EU bezeichne sich bei Klagen über den griechischen Umgang mit der Pressefreiheit als nicht zuständig, was von der Regierung in Zustimmung umgemünzt werde.
Bei der Online-Diskussion „Angriff auf die Pressefreiheit: Journalistische Arbeit an der EU-Außengrenze (Lesbos)“, organisiert Ende März von der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di zusammen mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Athen, fragte Tina Fritsche, dju-Landesgeschäftsführerin Nord, nach rechten Netzwerken bei der griechischen Polizei. Aswestopoulos verwies auf die Wahlergebnisse: Es gebe in Griechenland Wahlpflicht und Wahllokale, in denen nur Polizeiangehörige abstimmten. Dort erreiche die rechtsextreme Partei „Goldene Morgenröte“ zweistellige Ergebnisse.
Maria Oshana arbeitet in Athen für die Rosa-Luxemburg-Stiftung und kündigte eine Studie zur griechischen Medienlandschaft an. Sie beobachtet in diesem Land – wie auch bei einigen anderen EU-Mitgliedern, etwa Ungarn oder Polen – den Versuch, die Medien auf Regierungslinie zu bringen. Dagegen würden nur europäische Öffentlichkeit und kritische Berichte, vor allem in Deutschland und auf EU-Ebene helfen: über Menschenrechte, Pressefreiheit und die Verwendung von EU-Geld. Die Bedeutung solcher Berichte und ihr Einfluss auf die griechische Politik und Öffentlichkeit würden leider oft unterschätzt.
Ein Lobbyregister für NGOs in der EU regte Aswestopoulos an, denn es tauchten in Griechenland neue, dubiose Organisationen auf, die erfahrene NGOs beim Kampf um finanzielle Unterstützung „rauskegeln“.
Um ihre journalistische Arbeit fortsetzen zu können, schließen sich die von den griechischen Inseln am Außenrand der Europäischen Union berichtenden Journalistinnen und Journalisten jetzt in einer Signal-Gruppe zusammen. Sie wollen Informationen austauschen, sich bei gefährlichen Situationen warnen und helfen oder auch juristischen Beistand organisieren. Informationen dazu gibt es bei Tina.Fritsche@verdi.de .
Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf den Button unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
3. Mai Tag der Pressefreiheit
dju in ver.di fordert breites gesellschaftliches Bündnis zur Verteidigung der Pressefreiheit
„Pressefreiheit darf nicht nur ein Anliegen von Journalistinnen und Journalisten sein. Sie muss von der ganzen Gesellschaft immer wieder aufs Neue erstritten und verteidigt werden, weil sie auch dem Allgemeinwohl dient”, erklärt die Bundesvorsitzende der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di, Tina Groll, zum Internationalen Tag der Pressefreiheit am 3. Mai. „Wir erleben seit langem, dass Journalist*innen weltweit immer stärker unter Druck geraten und die Pressefreiheit zunehmend ins Wanken gerät.“
Podcast zum Tag der Pressefreiheit 2021
Zum „Tag der Pressefreiheit“ 2021 sprach M im Medienpodcast mit Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen (RSF) auch über das Abrutschen Deutschlands in der weltweiten RSF-Rangliste der Pressefreiheit. Ein Grund: 65 gewalttätige Übergriffe auf Journalist*innen 2020. Aber natürlich richtet sich der Blick vor allem auch auf die Situation in anderen Ländern.
Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von SoundCloud. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf den Button unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.